Berlin Es ist ein ambitioniertes Versprechen des Bundeswirtschaftsministeriums: Man wolle den „neuen technologiebasierten Mittelstand von morgen“ entwickeln, heißt es in der Beschreibung des neuen Deep-Tech-and-Climate-Fonds, der jetzt an den Start gehen soll. Ziel des Fonds ist es, hochtechnologisierte Start-ups bis hin zum Börsengang zu fördern und auch langfristig hier in Deutschland zu halten.
Doch der technologiebasierte Mittelstand von morgen könnte andere Pläne haben. Während hierzulande fehlende Finanzierung, überbordende Bürokratie und Langsamkeit die Start-ups ausbremsen, werden die USA durch den Inflation Reduction Act (IRA) gerade für viele Gründer und Investoren als Standort attraktiv. Der IRA ist ein amerikanisches Subventionsprogramm für grüne Technologien. Die USA stellen für diesen Investitionsplan rund 370 Milliarden Dollar zur Verfügung.
„Der Inflation Reduction Act gießt nun Öl ins Feuer“, sagt Christian Miele, Vorstandsvorsitzender des Startup-Verbands. Er beobachtet, dass der internationale Wettbewerb um Zukunftstechnologien gerade immer schärfer wird – und legt Gründern nahe, sich mit den Vorzügen der USA auseinanderzusetzen. „Deep-Tech-Start-ups werden besonders umworben, denn sie bringen bahnbrechende Innovationen auf den Markt“, erklärt Miele.
Fabriken in Deutschland bauen – oder lieber nicht?
Gerade für diese Firmen hält der Standort Deutschland ein Problem bereit: Die sogenannten Deep-Tech-Start-ups, die ihre Innovationen auf Technologien basieren und anfassbare Anwendungen produzieren, statt nur eine Website zu bauen, sind auf viel Kapital angewiesen. Verbandschef Miele beschreibt das Problem so: „Herausforderung ist es, dass nach der ersten Erprobung von Innovationen im Labor schon früh größere Investitionen anstehen.“ Die Kosten für etwa Pilotanlagen und stromintensive Set-ups seien hoch.
Marvel Fusion etwa steht vor genau dieser Herausforderung. Das Münchener Start-up setzt auf Energieproduktion durch laserbasierte Kernfusion. Das klingt futuristisch und ist es momentan auch noch – frühestens in zehn Jahren könnte das erste Kraftwerk an den Start gehen. Bis dahin braucht es viel Kapital, etwa um Testanlagen aufzubauen. Wann das junge Unternehmen selbst Energie erzeugt und somit Gewinne macht, ist bisher noch nicht sicher. Der Nutzen allerdings wäre immens: Kernfusion verspricht eine saubere und praktisch unerschöpfliche Energiequelle.
Für Marvel Fusion stellt sich deshalb die Frage, ob die ersten Prototypen ihrer Technologie wirklich in Deutschland am besten aufgehoben sind. „Wir haben hierzulande zwar eine tolle Forschung und Industrie, wir müssen uns aber auch monetäre Anreize und Regulatorik anschauen“, gibt Geschäftsführerin Heike Freund zu bedenken.
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Wie für viele technologiebasierte Unternehmen ist auch für Marvel Fusion die Finanzierungsfrage einer der wichtigsten Faktoren. Den Deep-Tech-and-Climate-Fonds des Wirtschaftsministeriums begrüßt Freund zwar, wendet aber ein: „Dieser Fonds wurde bereits vor über zwei Jahren angekündigt.“
In der sich rasant weiterentwickelnden Technologiewelt sei das eine Ewigkeit. Außerdem würden vor allem solche Ideen gefördert, die schon bald Gewinne generieren könnten, kritisiert Freund. „Deep Tech und kurzfristige Kommerzialisierung sind aber ein ziemlicher Widerspruch.“ Einige Investoren würden Marvel Fusion daher dazu drängen, gegebenenfalls einen Standort in den USA in Betracht zu ziehen.
Neuer paneuropäischer Fördertopf soll helfen
Um die Abwanderung zu verhindern, wollen Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Belgien mit der „European Tech Champion Initiative“ gegensteuern und ihre eigenes Förderprogramm aufsetzen. Europäische Start-ups sollen mit rund 3,7 Milliarden Euro gefördert werden, Deutschland will eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und die Start-up-Beauftragte im Bundeswirtschaftsministerium, Anna Christmann (Grüne), unterzeichneten am Montag in Brüssel die entsprechende Mandatsvereinbarung.
Doch die Finanzierung ist nur eines der Probleme der Start-up-Szene in Deutschland. Das andere heißt Überregulierung. „Momentan werfen wir ein riesiges Sammelsurium an Regulatorik über die Innovationen und ersticken sie so im Keim“, klagt Freund. Auch deshalb würden Unternehmen verstärkt abwandern.
Was Freund berichtet, bestätigt auch Verbandschef Miele: Neben dem geringen Wagniskapital hierzulande seien es vor allem die Bürokratie und langsame Prozesse, die Start-ups ausbremsten. Ein Faktor, der auch die deutschen „Coronahelden“, das Mainzer Start-up Biontech, dazu veranlasste, ihr neues Krebsforschungszentrum nicht in Deutschland, sondern in Großbritannien zu bauen.
Von der „neuen Deutschland-Geschwindigkeit“, die Bundeskanzler Olaf Scholz nach der Eröffnung des Flüssiggasterminals in Wilhelmshaven im Dezember anpries, merken die Start-ups nach ihrer Aussage bisher noch nichts.
So auch Gideon Schwich, der mit zwei Mitgründern das Technologie-Start-up Cylib gegründet hat. Seine Firma konnte am Mittwoch eine neue Finanzierung von acht Millionen Euro verkünden. Cylib hat sich auf das Recycling von Lithium-Ionen-Batterien spezialisiert und will so der Rohstoffknappheit unter anderem für Elektroautos entgegenwirken.
Eine vorläufige Bewilligung brauche teilweise zwei Jahre
Schwich betont, dass es in Deutschland eine große Bandbreite an Finanzierungsinstrumenten gebe, „aber es dauert sehr lange, bis man die Projekte wirklich ans Laufen bekommt“. Teilweise brauche es zwei Jahre, bis überhaupt erst eine vorläufige Bewilligung vorliege. „Dabei ist Zeit in unserem Bereich ein sehr wichtiger Faktor.“
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Der Inflation Reduction Act funktioniere hingegen sehr unbürokratisch und schnell. Die Frage, ob Deutschland noch der beste Standpunkt sei, stelle sich in der Tech-Szene gerade oft, sagt Schwich. Auch Cylib wird in den kommenden Jahren noch mehr Kapital brauchen, um Fabriken zu bauen und seine Recyclingpläne umzusetzen. Durch den IRA könnten die Finanzierungskonditionen in den USA deutlich besser sein.
Doch Cylib-Gründer Schwich sieht auch einen klaren Vorteil für den Standort Deutschland – und das ausgerechnet doch in den vielen Regeln. So könnten jedenfalls Unternehmen mit hoher Qualität punkten und würden nicht von schlechteren, aber billigeren Wettbewerbern aus dem Markt gedrängt.
In Asien beispielsweise gebe es viel staatliche subventionierte Konkurrenz, so Schwich. Aber: „Wenn wir uns mit unserer Technologie im Markt durchsetzen wollen, müssen wir auf Qualität setzen und gleichzeitig schnell sein.“
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