Feb 17, 2023
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Sanktionen: Wie Russland seine Handelsströme umlenkt und den Westen austrickst

Written by pinmin


Brüssel, Peking, Berlin Vor einem Jahr, als die russische Invasionsarmee schon an den Grenzen der Ukraine aufmarschiert war, schickte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen eine Warnung nach Moskau. Sollte Russland das Nachbarland überfallen, sagte von der Leyen im Interview mit dem Handelsblatt, würden die Europäer eng abgestimmt mit den USA Handelsstrafen erlassen, die von der „Kappung des Zugangs zu ausländischem Kapital bis zu Exportkontrollen vor allem technischer Güter“ reichten. Diese Strafmaßnahmen würden „die russische Wirtschaft noch brüchiger“ machen.

Neun Sanktionspakete hat die EU seither in Kraft gesetzt – und das zehnte ist in Arbeit. Doch die russische Wirtschaft zeigt sich erstaunlich widerstandsfähig. Nach einem Einbruch um 2,2 Prozent im vergangenen Jahr erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF), dass die russische Wirtschaft 2023 ein leichtes Wachstum verzeichnet. Mit einem prognostizierten Plus von 0,3 Prozent steht Russland nach den Berechnungen des IWF sogar besser da als die Bundesrepublik, deren Wirtschaft nur um 0,1 Prozent zulegen dürfte.

Wie kommt das? Ein Grund dafür ist, dass es Russland gelungen ist, neue Handelsbeziehungen zu knüpfen. „Russland umgeht aktiv unsere Sanktionen“, räumte EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis kürzlich ein.

Daten belegen dies: Die russischen Importe aus der EU sanken von acht Milliarden Dollar im Januar 2022 auf fünf Milliarden Dollar im November 2022. Dafür stiegen die russischen Importe aus China, Indien und anderen asiatischen Ländern deutlich. Die Einfuhren aus China etwa wuchsen in dem Zeitraum von 7,7 Milliarden auf 10,5 Milliarden Dollar, die aus Indien von 1,1 Milliarden auf 4,6 Milliarden Dollar.

>> Lesen Sie hier: „Russische Wirtschaft noch brüchiger machen“ – EU will Moskau mit Kapitalsperren und Tech-Embargo stoppen

Das heißt nicht, dass die Sanktionen wirkungslos wären. „Die russische Rüstungsindustrie hat die Herstellung mehrerer Hightech-Waffensysteme eingestellt, reduziert oder heruntergestuft, da die Sanktionen ihren Zugang zu der erforderlichen Technologie eingeschränkt haben“, bilanziert die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in einer aktuellen Studie.

Und der Ölpreisdeckel, den die G7-Staaten zum Jahreswechsel verhängt haben, schmälert Russlands Handelseinnahmen. 

Doch die westliche Hoffnung, dass den russischen Truppen der Nachschub ausgeht, hat sich nicht erfüllt. „Russland passt sich an, verwandelt seine Wirtschaft in eine Kriegswirtschaft, fährt die Militärproduktion hoch und stellt sich auf die Sanktionen ein“, heißt es in der DGAP-Studie weiter.

Nachbarländer helfen dem Kreml, die Sanktionen zu umgehen

Etliche Nachbarländer sind den Russen dabei behilflich. Sie haben offenbar ein lukratives Geschäft entdeckt: Ihre Firmen kaufen westliche Waren und verkaufen sie weiter an das vom Westen geächtete Russland. 

Einen solchen Zwischenhandel könne man etwa in der Türkei oder Armenien beobachten, sagt Tobias Gehrke von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR). „Auf einmal exportieren diese Länder Sachen, die sie gar nicht selbst herstellen.“

Die Umlenkung der Handelsströme hilft dem Kreml, seine Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten. Die russische Armee hat in der Ukraine schwere Verluste erlitten, doch sie schickt unablässig Menschen und Material an die Front. „Die Russen setzen auf Masse, sie haben gewaltige Reserven“, sagt ein westlicher Diplomat.

>> Lesen Sie hier: Weshalb Russland jetzt sein Öl verramschen muss

Zur wichtigen Drehscheibe bei der Sanktionsumgehung hat sich Kasachstan entwickelt. Das Land „verkauft achtzehnmal so viele Mikrochips an Russland wie vor einem Jahr“, sagte Peter Piatetsky, Chef des US-Datenanbieters Castellum.AI, kürzlich auf einer Veranstaltung der US-Organisation Atlantic Council.

„Dafür gibt es nur eine Erklärung: Lieferungen, die früher nach Russland gingen, gehen jetzt nach Kasachstan, von wo sie weiterverkauft werden.“ Dabei hilft eine gemeinsame Grenze. „Es ist viel einfacher, Kontrollen zu vermeiden, wenn man die Güter nicht noch mal in ein Flugzeug laden muss.“

Wie Kühlschränke die russische Rüstung stärken

Westliche Nachrichtendienste zeigen sich beunruhigt. Es sei auffällig, dass Kasachstan im vergangenen Jahr überdurchschnittlich viele Kühlschränke nach Russland geliefert habe, sagten mehrere mit dem Thema vertraute Geheimdienstler dem Handelsblatt. Die Geräte seien zuvor aus der EU nach Kasachstan geliefert worden. Die Beobachtung der Geheimdienste deckt sich mit Zahlen der Statistikbehörde Eurostat. 

In den ersten acht Monaten des Jahres 2022 habe Kasachstan Kühlschränke im Wert von 21,4 Millionen Dollar aus Europa eingeführt – mehr als dreimal so viel wie im Vorjahreszeitraum. Ein ähnliches Bild ergibt sich für Armenien: Das Land hat von Januar bis August 2022 mehr Waschmaschinen aus der EU importiert als in den vergangenen zwei Jahren zusammen.

Viele der Geräte landen offenbar in Russland. Das legen Daten der kasachischen Regierung nahe, über die das Wirtschaftsmedium Bloomberg im Oktober 2022 berichtet hatte. Demnach sei der Export von Kühlschränken, Waschmaschinen und elektrischen Milchpumpen nach Russland „sprunghaft“ angestiegen. 

Dass Russland Chips aus solchen einfachen Haushaltsgeräten für Militärgerät nutzt, steht für die EU außer Zweifel. Schon im September hatte Kommissionschefin von der Leyen gesagt: „Das russische Militär nimmt Chips aus Geschirrspülern und Kühlschränken, um militärisches Gerät zu reparieren, weil ihnen die Halbleiter ausgegangen sind.“

EU setzt Sanktionsbeauftragten ein

Ende 2022 setzte die EU-Kommission extra einen Sanktionsbeauftragten ein, um der Umgehung entgegenzuwirken: Der ehemalige EU-Botschafter David O’Sullivan soll Drittstaaten dazu bewegen, ihre Kontrollen zu verschärfen. Bisher war das nicht sonderlich erfolgreich. Nur 34 Länder haben seit Kriegsbeginn umfassende Sanktionen gegen Russland verhängt, die 27 EU-Staaten mitgezählt. 

Schwellenländer wie Indien und Südafrika kritisieren die westlichen Sanktionen teils schärfer als den Angriffskrieg der Russen. Russland hebt seinerseits Handelshemmnisse auf, um den Austausch mit diesen Ländern zu fördern. Gerade Indien profitiert davon, wie ein hochrangiger Diplomat erläutert.

Hauptproblem bei der Sanktionskontrolle ist der Dual-Use-Charakter, also die zivile und militärische Verwendbarkeit vieler Importe. So finden sich Halbleiter, die für moderne Militärtechnik dringend benötigt werden, auch in Haushaltgeräten. Eine Analyse des Instituts für Internationale Finanzen (IIF) kommt zu dem Schluss, dass es Russland gelungen sei, „seinen Handel erfolgreich über China und andere Länder umzulenken“. 

Trotz der Sanktionen habe Moskau es geschafft, seine Importe von Halbleitern und elektronischen Schaltkreisen zu erhöhen. So stiegen die Chipimporte zwischen Januar und September auf 2,45 Milliarden Dollar im Vergleich zu 1,8 Milliarden Dollar im Vorjahreszeitraum, schreiben die IIF-Analysten.

Der Wert der Chipimporte aus China und Hongkong hat sich dabei mehr als verdoppelt. Insgesamt decken diese 40 Prozent des russischen Bedarfs. Die Autoren schränken allerdings ein, dass unklar ist, ob alle Chips den Sanktionen unterliegen.

Liefert China kriegswichtige Bauteile?

China versorgt Russland auch mit anderen Dual-Use-Gütern, wie jüngst die Wirtschaftszeitung „Wall Street Journal“ unter Berufung auf eine Analyse des US-Thinktanks C4ADS berichtete. Demnach sollen staatliche chinesische Rüstungsunternehmen Navigationsgeräte, Störsender und Teile für Kampfflugzeuge an sanktionierte russische Rüstungsunternehmen geliefert haben, teils über Tochterunternehmen oder Zwischenhändler in Usbekistan und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Chinesische Neuwagen in Wladiwostok

Liefert China Russland auch kriegswichtige Bauteile?


(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Dem Bericht zufolge hat der russische Rüstungskonzern JSC Rosoboronexport von den chinesischen Unternehmen Poly Technologies und Fujian Nanan Baofeng Electronic Navigationsgeräte und Teleskopantennen für Militärhubschrauber und -fahrzeuge erhalten. Der Flugzeughersteller Avic International soll zudem Teile für den russischen Kampfjet SU-35 an ein Tochterunternehmen des sanktionierten Staatskonzerns Rostec geliefert haben. 

Chinas Staatsführung weist Vorwürfe zurück, Russland militärisch zu unterstützen. Doch das lässt sich schwer kontrollieren. Die Handelspartner seien nicht auf globale Logistikzentren und Speditionen angewiesen und könnten Zahlungen in chinesischer Währung abwickeln, erläutert der russische Chinaexperte Alexander Gabuev. Peking achte darauf, Russland „nicht mit fertigen Waffen zu beliefern“. 

Doch es habe schon vor dem Krieg eine militärtechnische Zusammenarbeit zwischen China und Russland gegeben, und es sei unwahrscheinlich, dass der Westen diese stoppen könne. Je schlechter das Verhältnis zwischen China und den USA werde, „desto weniger Anreize“ gebe es für China, den Handel mit Russland einzuschränken.

Auch das Nato-Mitglied Türkei soll sanktionierte russische Firmen beliefert haben

Auch die Türkei soll sanktionierte russische Firmen beliefert haben. Zu Monatsbeginn ließ die Kölner Staatsanwaltschaft Geschäftsräume im Rhein-Erft-Kreis durchsuchen. Die Smart Impex GmbH steht im Verdacht, über eine Firma in der Türkei elektronische Bauteile nach Russland verkauft zu haben, die auch militärisch genutzt werden können. Smart Impex gab gegenüber „Monitor“ an, die Vorwürfe zu prüfen und bislang keine Verstöße festgestellt zu haben.

Die EU will die Exportkontrollen jetzt weiter verschärfen. Das zehnte Sanktionspaket ist vor allem auf Dual-Use-Güter ausgerichtet. Konkret: elektronische Bauteile für Drohnen, Hubschrauber und Lenkwaffen sowie Platinen und Kameras.

Doch das grundsätzliche Problem, dass Russland Handelsströme über andere Länder lenken kann, bleibt. 

ECFR-Experte Gehrke sagt, um den Schmuggel von Dual-Use-Gütern zu entdecken, brauche man nachrichtendienstliche Kapazitäten in den betreffenden Ländern. Die EU sei hier abhängig von den Amerikanern. Zudem braucht es politischen Willen, den Zwischenhandel zu unterbinden – und hier zögern sowohl die USA wie die EU, um Länder wie Indien und die Türkei nicht in die Arme Russlands zu treiben.

Mehr: Russland verstärkt seine Luftangriffe – ist das jetzt die Großoffensive?



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