London Der britische Finanzminister Kwasi Kwarteng ist von Premierministerin Liz Truss entlassen worden. Sie habe schwierige Entscheidungen treffen müssen, um die wirtschaftliche Stabilität im Land zu sichern, erklärte Truss am Freitag in einer Pressekonferenz.
Zugleich beerdigte Truss auch weitere Teile ihrer umstrittenen Steuerreform, die schwere Turbulenzen an den Finanzmärkten ausgelöst hatte. So soll der Körperschaftsteuersatz nun doch im kommenden April von 19 auf 25 Prozent steigen, wie von der Vorgängerregierung geplant. Dies werde 18 Milliarden Pfund an zusätzlichen Einnahmen bringen, sagte Truss.
Es sei klar, dass ihre Haushaltspläne zu weit gegangen seien, räumte die Regierungschefin ein. Deshalb müsse die Regierung jetzt handeln, um den Finanzmärkten zu zeigen, dass sie die Haushaltsdisziplin ernstnehme.
Beim IWF-Treffen in Washington hatte Kwarteng am Donnerstag noch getönt: „Ich gehe nirgendwo hin“. Am Donnerstagabend saß der Schatzkanzler bereits in der letzten British-Airways-Maschine zurück nach London, wo er nach seiner Ankunft sogleich gefeuert wurde.
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Weniger als 40 Tage im Amt – so schnell ist noch kein britischer Finanzminister gescheitert. Der Einzige, der noch kürzer dabei war, war Iain Macleod im Jahr 1970. Der starb allerdings an einem Herzinfarkt.
Kwarteng hingegen wurde von den Finanzmärkten erledigt. In den vergangenen Wochen waren die Renditen auf zehnjährige britische Staatsanleihen zeitweise auf mehr als fünf Prozent gestiegen. Die Anleger stuften Großbritannien als riskanter ein als Italien. Die Bank of England sah sich zu Anleihenkäufen von bis zu zehn Milliarden Pfund am Tag genötigt. Das Pfund ging auf Talfahrt.
Der Auslöser für die Turbulenzen: Kwarteng hatte im September als erste Maßnahme der neuen Regierung Steuersenkungen in Höhe von 45 Milliarden Pfund verkündet. Nach dem Vorbild Margaret Thatchers und Ronald Reagans wollte die frisch ernannte Premierministerin Truss der britischen Wirtschaft einen Wachstumskick geben. Der Schuss ging jedoch nach hinten los: Schuldenfinanzierte Steuersenkungen gelten mitten in der hohen Inflation als brandgefährlich.
Selbst der IWF mischte sich ein und warnte die Regierung, dass ihre Steuerpläne die Inflation anheizen würden. IWF-Chefin Kristina Georgieva riet, „die Schmerzen nicht zu verlängern“. Die Regierung solle besser ihre Fiskalpläne anpassen, um das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen.
Truss will Neustart signalisieren – doch in der Partei brodelt es
Mit Kwartengs Entlassung will Truss nun einen Neustart in London signalisieren. Als Nachfolger wurde bereits Jeremy Hunt bestätigt. Der ehemalige Außenminister unter Theresa May und Gesundheitsminister unter David Cameron gilt als zuverlässiger Allrounder vom moderaten Flügel der Partei. Offenbar hofft Truss, dass er mit seiner langen Erfahrung einen stabilisierenden Einfluss haben kann. Mit der Personalie signalisiert sie auch, dass sie künftig stärker flügelübergreifend agieren will.
Hunt sei jemand, “der meinen Wunsch nach einer Wirtschaft mit hohem Wachstum und niedrigen Steuern teilt”, sagte Truss. Im Kampf um den Tory-Parteivorsitz hatte Hunt im Sommer wie Truss Steuersenkungen versprochen, war aber in der ersten Runde ausgeschieden.
Kwarteng ist in dieser Operation ein klassisches Bauernopfer. Doch ob es Truss gelingt, mit der Entlassung ihres Vertrauten ihre eigene Haut retten, ist fraglich. Zu eng ist der wirtschaftspolitische Kurs mit ihrer eigenen Person verbunden – nicht umsonst wurde er „Trussonomics“ getauft. Sie beharrte am Freitag darauf, weiterhin an ihrer Mission einer Wirtschaft mit hohen Wachstumsraten festzuhalten. Doch das Projekt Steuersenkungen scheint vorerst Geschichte.
Selbst wenn sich die Märkte beruhigen sollten, wonach es am Freitag zunächst aussah, ist Truss‘ Position alles andere als gesichert. Mit ihren Kehrtwenden hat sie die eigene Glaubwürdigkeit noch weiter unterminiert. In der konservativen Unterhausfraktion hatte sie noch nie viele Anhänger, und inzwischen wird schon offen über ihre Ablösung spekuliert. Die BBC berichtet, eine Gruppe einflussreicher Konservativer werde Truss spätestens in der kommenden Woche zu Rücktritt auffordern.
Tories wollen Neuwahlen um jeden Preis vermeiden
Eine vorgezogene Neuwahl wollen die Tories vermeiden, denn in Umfragen führt die Labour-Opposition mit mehr als 30 Prozentpunkten Vorsprung. Doch können sich viele Abgeordnete nicht vorstellen, bis zur nächsten regulären Unterhauswahl im Jahr 2024 mit Truss an der Spitze leben zu müssen. Als Alternativen werden nun die Namen Rishi Sunak und Penny Mordaunt genannt, die Truss bei der Wahl zum Parteivorsitz im Sommer unterlegen waren.
Auch politische Kommentatoren verschiedener britischer Medien sind sich einig, dass Truss mit der Entlassung Kwartengs noch nicht gerettet sei. Sie könne nicht die gesamte Verantwortung für die Haushaltspläne auf den nun Ex-Finanzminister abwälzen –schließlich sei sie regelmäßig vor den Tücken der Pläne gewarnt worden, heißt es.
In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov für die „Times“ sprachen sich 50 Prozent dafür aus, Truss vor die Tür zu setzen, nur 9 Prozent stellten sich hinter die Regierungschefin.
Mit Agenturmaterial.
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