Bangalore Indiens Wirtschaftswachstum schwächt sich spürbar ab: Im letzten Quartal des Jahres 2022 wuchs Asiens drittgrößte Volkswirtschaft im Vergleich zum Vorjahr nur noch um 4,4 Prozent, wie die Statistikbehörde des Landes bekannt gab. Das ist weniger als von Analystinnen und Analysten erwartet – und auch ein deutlich geringerer Wert als die Wachstumsrate von 6,3 Prozent im Quartal zuvor.
Das 1,4 Milliarden Einwohner große Land, das zuletzt als wichtiger Motor für die Weltwirtschaft galt, verfehlt damit sein Ziel, der wachstumsstärkste G20-Staat zu sein, im zweiten Quartal in Folge. Sowohl Saudi-Arabien als auch Indonesien meldeten für den Zeitraum von Oktober bis Dezember einen Zuwachs der Wirtschaftsleistung um mehr als fünf Prozent. Auch im Gesamtjahr 2022 lag Saudi-Arabien mit einer Wachstumsrate von 8,7 Prozent vorne – angetrieben vom guten Ölgeschäft. Indien erwartet für das aktuelle Fiskaljahr, das bis Ende März dauert, eine Wachstumsrate von rund sieben Prozent.
Anschließend dürfte Indiens Konjunktur das Land aber wieder an die Weltspitze bringen: Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht dann von einer Wachstumsrate von rund sechs Prozent aus. Indien wird damit nach IWF-Prognosen für 15 Prozent des globalen Wirtschaftswachstums sorgen.
Volkswirte sehen die Abkühlung der indischen Konjunktur unter anderem als Folge gestiegener Leitzinsen und eines schwachen Exportgeschäfts. Zur Inflationsbekämpfung hatte die Zentralbank im vergangenen Jahr die Zinsen um 2,5 Prozentpunkte angehoben.
Zinserhöhungen als weiteres Abwärtsrisiko
„Es gibt Anzeichen dafür, dass sich die höheren Zinssätze auf die Realwirtschaft auswirken“, kommentierte Shilan Shah, Indien-Volkswirt bei dem Analysehaus Capital Economics. Sowohl das Wachstum des privaten Konsums als auch das von Investitionen sei „höchstwahrscheinlich als Reaktion auf höhere Zinsen“ zurückgegangen. Leicht gestiegene Staatsausgaben hätten dies nicht kompensieren können.
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Rupa Rege Nitsure, Chefvolkswirtin bei dem indischen Finanzdienstleister L&T Finance, sieht ein zusätzliches Abwärtsrisiko durch „mögliche weitere Zinserhöhungen in Verbindung mit einer Verlangsamung der Gesamtnachfrage“. Kunal Kundu, Indienanalyst bei der französischen Bank Société Générale, merkte an, dass der reale Wert des Konsums nach wie vor kaum über dem Niveau von vor Beginn der Covid-19-Pandemie liege.
Analysten erwarten, dass die Zentralbank die Zinsen in den kommenden Monaten um weitere 0,25 Prozentpunkte anheben wird – trotz wachsender Kritik an dem Kurs. Der Ökonom Jayanth Varma, der externes Mitglied des geldpolitischen Ausschusses der Zentralbank ist, klagte laut Protokoll bei einer der jüngsten Sitzungen, die Geldpolitik sei in Bezug auf das Wachstum behäbig geworden. „Ich hoffe inständig, dass wir den Preis dafür nicht in Form eines unannehmbar niedrigen Wachstums zahlen werden“, fügte er hinzu. Innerhalb des Gremiums vertrat er damit aber eine Minderheitsmeinung.
Schlechte Nachrichten für die deutsche Wirtschaft
Indiens Inflationsrate hatte im Januar ihren Abwärtstrend der vergangenen Monate gestoppt und stieg auf 6,5 Prozent. Sie lag damit wieder oberhalb des Zielrahmens der Zentralbank von bis zu sechs Prozent. Die nächsten Inflationsdaten, die Mitte März veröffentlicht werden, gelten als richtungsweisend für die weitere Geldpolitik.
Zu schaffen macht Indien auch die Schwäche der globalen Konjunktur – insbesondere im wichtigen Exportmarkt USA. Im Januar sank der Wert von Indiens Warenausfuhren um 6,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Dezember waren die Exporte bereits um 12,2 Prozent zurückgegangen. Ökonom Varma warnte kürzlich in einem Interview, „dass alle Nachfragequellen in der Wirtschaft gleichzeitig schrumpfen“ könnten.
Sollte sich die Sorge vor einem schwächeren Wirtschaftswachstum in Indien bewahrheiten, wäre das auch für die deutsche Wirtschaft eine schlechte Nachricht. Deutsche Unternehmer bemühen sich derzeit gezielt darum, ihre Präsenz in Indien zu stärken – auch um ihre Abhängigkeit vom chinesischen Markt zu reduzieren.
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Wochenende bei einem Indienbesuch über das Engagement der deutschen Wirtschaft, es sei die Absicht, dass „Investitionen ausgebaut werden und die Zahl der Beschäftigten massiv erhöht wird“. Er wurde bei der Reise in das Schwellenland von einer ranghohen Wirtschaftsdelegation begleitet. „Wir wollen und müssen die Potenziale, die hier existieren, nutzen“, sagte Scholz.
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