Mar 1, 2023
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Pandemie: Laborunfall oder nicht? Der Corona-Ursprung bleibt ein Rätsel

Written by Jan Dirk Herbermann

Genf, Washington Es geschah Ende 2019. Damals traten in der chinesischen Stadt Wuhan erstmals Infektionen mit dem neuen Coronavirus auf. In mindestens zwei Laboren – dem Wuhan Institute of Virology (WIV) und dem Wuhan Center for Disease Control and Prevention (WHCDC) – wurde damals an Coronaviren in Fledermäusen geforscht.

In Wuhan befindet sich auch der Lebensmittelmarkt, von wo aus sich der Covid-19-Erreger schließlich weltweit verbreitete.

Fand das unheilvolle Virus aus einem der Labore seinen Weg auf den Markt? Zunächst stuften Ermittler der Weltgesundheitsorganisation (WHO) diese „Labortheorie“ als „extrem unwahrscheinlich“ ein. Später räumte die WHO ein, es sei „verfrüht“ gewesen, einen Laborunfall auszuschließen. Allerdings behindert China bis heute eine Aufklärung.

US-Präsident Joe Biden hatte im Frühjahr 2021 eine Untersuchung durch seine Geheimdienste angeordnet. In dieser Woche erhob die US-Regierung neue Vorwürfe, dass ein Laborunfall die Coronapandemie ausgelöst haben könnte.

Die Beantwortung der Fragen, wie sich das Virus auf den Menschen übertragen hat und wie die Coronakatastrophe ihren Lauf nahm, sind der Schlüssel für eine bessere Verteidigung gegen neue Pandemien. „Wir alle können dann zusammen das Risiko reduzieren, dass sich so etwas wiederholt“, erklärt der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Die USA haben von allen westlichen Demokratien die größten Ressourcen, um die Ursprünge des Virus zu ermitteln. Jedes Detail aus Washington wird deshalb genau beobachtet.

Zu welchen Erkenntnissen kommt die US-Regierung?

„Unsere Behörden haben weiterhin keinen Konsens über den Ursprung des Covidvirus“, betont das Weiße Haus. An den Ermittlungen beteiligt sind 18 amerikanische Behörden, darunter die verschiedenen Geheimdienste sowie Ministerien mit einer Geheimdienstabteilung.

Unsere Behörden haben weiterhin keinen Konsens über den Ursprung des Covid-Virus. Weißes Haus

Sie untersuchen, ob das Virus auf natürliche Weise durch menschlichen Kontakt mit infizierten Tieren entstanden ist oder ob der Ausbruch das Ergebnis eines Laborunfalls war. Bis heute sind sie zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen, wie man in dieser Zusammenfassung nachlesen kann.

Ein Zwischenreport, der US-Präsident Biden im September 2021 erreichte, zeigte eine Spaltung der Behörden. „Wir gehen davon aus, dass zwei Hypothesen plausibel sind: erstens die natürliche Exposition gegenüber einem infizierten Tier und zweitens ein Vorfall im Labor“, hieß es darin.

Die überwiegende Mehrheit stützt demnach die Annahme, das Virus sei natürlichen Ursprungs. Doch mindestens zwei Behörden tendieren zum Ursprung im Labor: Der Direktor der US-Bundespolizei FBI, Christopher Wray, räumte am 28. Februar 2023 in einem Interview ein, seine Behörde gehe „seit geraumer Zeit davon aus“, dass die Pandemie „höchstwahrscheinlich durch einen potenziellen Laborunfall“ ausgelöst worden sei. Zuvor hatte das US-Energieministerium mitgeteilt, es halte einen Laborunfall für möglich.

In einer Erkenntnis scheinen die Geheimdienste einig: Das Virus sei wohl nicht von der chinesischen Regierung als biologische Waffe entwickelt worden. Der Report ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich, der US-Kongress hat Einblick in die Unterlagen beantragt.

Wie behindert China die Aufklärung?

Um das Verhältnis zwischen den USA und China steht es ohnehin schlecht, der Streit über die Labortheorie belastet die Beziehungen zusätzlich. China weist den Vorwurf eines Laborunfalls vehement zurück und wirft den USA eine Propagandaschlacht vor. Washington und die WHO kritisieren Peking dafür, dass es kaum Informationen zum Ausbruch des Coronavirus freiwillig zur Verfügung stellt. 

Ein drastisches Beispiel illustriert Pekings Blockadepolitik: Den US-Geheimdiensten zufolge wurden bereits Wochen vor den ersten offiziell gemeldeten Covidfällen in China mindestens drei Wissenschaftler aus Wuhan mit Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert. Bis heute hat Peking dazu keine Befragungen zugelassen.

>> Lesen Sie hier: Taiwan, Russland und neue Sanktionen: Das sind die fünf größten Streitpunkte zwischen China und den USA

Aber selbst bei voller Kooperation wäre es wohl wenig wahrscheinlich, den wahren Ursprung des Erregers zu finden. So wurden die ersten Übertragungen des Ebola-Virus und des HI-Virus auch nach Jahrzehnten Forschung nicht eindeutig geklärt.

Sind Geheimdienste der Aufgabe gewachsen?

Daran gibt es Zweifel. „Sie sind nicht unbedingt geübt darin, sich durch globale Datensätze zur Gesundheit zu wühlen“, sagte ein Insider der Zeitung „Washington Post“. Außerdem wird das Thema in den USA oft politisch instrumentalisiert. Ernsthaft wurde über den Ursprung des Erregers Sars-CoV-2 erst Monate nach dem Ausbruch debattiert.

Lange hatten US-Medien, Denkfabriken und Experten den möglichen Ursprung im Labor als Verschwörungstheorie abgetan. Das lag auch daran, dass Ex-Präsident Donald Trump die Labortheorie gezielt im Wahlkampf nutzte, um Stimmung gegen China zu machen und von eigenen Verfehlungen in der Pandemie abzulenken.

Donald Trump

Der ehemalige US-Präsident nutzte die Labor-Theorie, um Stimmung gegen China zu machen.


(Foto: AP)

So bezeichnete Trump Sars-CoV-2 als „China-Virus“ und behauptete, der Erreger sei einem Labor entsprungen – ohne jemals Beweise dafür vorzulegen. Der amtierende Präsident Biden wiederum gab erst dann eine Untersuchung in Auftrag, als eine Gruppe von Wissenschaftlern dazu aufrief. 

Was sagt die WHO?

Vertreter der Weltgesundheitsorganisation geben kein einheitliches Bild ab, mitunter irritieren die WHO-Wendungen. Im Januar und Februar 2021 ermittelte eine WHO-Untersuchungskommission in Wuhan vor Ort. Danach klassifizierte die Kommission eine Übertragungskette des Erregers von Tieren wie Fledermäusen über andere Tiere zum Menschen als „wahrscheinliche bis sehr wahrscheinliche“ Ursprungsvariante.

Die These, nach der das Virus aus einem Labor stamme, verwarfen sie als „extrem unwahrscheinlich“. Der Kommission gehörten Virologen, Immunologen, Epidemiologen und andere Experten an, der Däne Peter Ben Embarek leitete sie. Allerdings verweigerten Chinas Behörden der WHO-Kommission den vollen Einblick vor Ort.

Fledermaus

Es gibt zahlreiche Fledermausarten und nur einige sind mit Coronaviren infiziert, die auch dem Menschen gefährlich werden können.


(Foto: AP)

Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation Tedros betonte später, es sei „verfrüht“ gewesen, die Labortheorie auszuschließen. „Ich habe im Labor gearbeitet, und Laborunfälle passieren.“ Im Oktober 2021 kündigte die WHO an, dass ein neues Team die Ursprünge der Covid-19-Pandemie untersuchen soll. Im Juni 2022 veröffentlichte dieses Team einen Report. Darin sprachen sich die Experten für weitere Untersuchungen aus, einschließlich solcher zu möglichen Laborlecks.

Um für zukünftige Ausbrüche besser gewappnet zu sein, eröffnete die WHO am 1. September ein Zentrum für Pandemieaufklärung in Berlin, eine Art Frühwarnsystem.

Warum stehen die USA selbst in der Kritik?

Für Irritationen sorgen Finanzströme zwischen dem Wuhan Institute of Virology (WIV) und den amerikanischen National Institutes of Health (NIH). Zwischengeschaltet war der gemeinnützige Verein Eco Health Alliance, der zwischen 2014 und 2019 insgesamt 3,4 Millionen Dollar an Zuschüssen über NIH an das WIV in Wuhan leitete, um die Forschung an Fledermaus-Coronaviren zu unterstützen.

Peter Daszak, der Vorsitzende der Eco Health Alliance, dankte dem ehemaligen amerikanischen Chef-Immunologen Anthony Fauci in einer E-Mail vom April 2020 persönlich dafür, dass er die Labortheorie damals noch als „sehr unwahrscheinlich“ zurückgewiesen hatte.

Die Republikaner im US-Repräsentantenhaus wollen Fauci noch in diesem Jahr als Zeuge vorladen. Sie werfen ihm vor, dass er die US-Finanzierung der Wuhan-Experimente zu den Fledermaus-Coronaviren vertuschen wollte.

Erstpublikation: 5.9.2021, 18:57 Uhr, aktualisiert am 1.3.2023

Mehr: Alles unter Kontrolle: Wie die KP in China Wirtschaft und Gesellschaft beherrscht



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