Berlin Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wird sich am Donnerstag in einem ungarischen Fall mit den Mindestruhezeiten von Arbeitnehmern beschäftigen. Das Thema ist auch in Deutschland umstritten, wenn auch aus anderen Gründen als in dem Fall, der zur Entscheidung ansteht. Ein Überblick:
Die EU-Arbeitszeitrichtlinie sieht vor, dass jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt werden muss. Darüber hinaus steht Beschäftigten pro Siebentageszeitraum eine wöchentliche Ruhezeit von mindestens 24 Stunden zu.
Auf die Klage eines Lokführers hin muss der EuGH nun entscheiden, ob die tägliche Ruhezeit Bestandteil der wöchentlichen Ruhezeit ist. Konkret, ob vor einem arbeitsfreien Tag beispielsweise am Wochenende oder einem Urlaub zusätzlich die tägliche Ruhezeit gewährt werden muss, sodass sich die wöchentliche Ruhezeit auf mindestens 35 zusammenhängende Stunden verlängert.
Das deutsche Arbeitszeitgesetz regelt, dass zwischen dem Feierabend und dem nächsten Arbeitsbeginn elf Stunden Pause liegen müssen. „Die elf Stunden tägliche Ruhezeit sind gesetzt“, sagt Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht der Universität Bonn. „Denn die akkumulierte Nachholung am Wochenende durch Narkoseschlaf hat nicht die gleiche regenerative Wirkung.“
Soll heißen: Beschäftigte brauchen zwischen zwei Arbeitstagen ausreichende Erholungspausen, um ihre Gesundheit nicht zu gefährden und ihre Leistungsfähigkeit bei der Arbeit zu erhalten.
>> Lesen Sie hier: Strikte Kontrollen, harte Strafen: Wie Spaniens Arbeitsministerin die Zeiterfassung erzwingt
„Tägliche Ruhezeiten von elf Stunden sind elementar wichtig für die Gesundheit und die Work-Life-Balance von Beschäftigten“, betont auch Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Verkürzte Ruhepausen machten es schwierig bis unmöglich, Arbeit und Leben vernünftig miteinander zu vereinbaren. Das belegten arbeitsmedizinische Studien.
Gibt es Ausnahmen von der täglichen Ruhezeit?
In bestimmten Bereichen kann die Ruhezeit um bis zu eine Stunde verkürzt werden. Dies gilt etwa in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Hotels und Gaststätten, Verkehrsbetrieben oder in der Landwirtschaft. Per Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung kann die tägliche Ruhezeit sogar um bis zu zwei Stunden verkürzt werden.
So sieht beispielsweise der zwischen den Metalltarifparteien in Baden-Württemberg geschlossene Tarifvertrag zum mobilen Arbeiten die Möglichkeit vor, die tägliche Ruhezeit unter bestimmten Bedingungen auf bis zu neun Stunden zu verkürzen. In allen Ausnahmefällen gilt aber: Der Arbeitgeber muss dann in angemessener Frist dafür sorgen, dass die Beschäftigten die versäumten Ruhephasen nachholen können.
Bereitschaftsdienst gilt als Arbeitszeit, die Rufbereitschaft dagegen als Ruhezeit – es sei denn, die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer wird zum Dienst beordert.
Welche Kritik gibt es an der Ruhezeit-Regelung in Deutschland?
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) argumentiert, dass das deutsche Arbeitszeitgesetz mit seiner Ruhezeit-Regelung im digitalen Zeitalter nicht mehr zeitgemäß sei.
Der Verband hat dabei beispielsweise den Fall vor Augen, dass Beschäftigte nachmittags ihre Kinder von der Schule oder der Kita abholen und sich zunächst mit ihnen beschäftigen, sich dafür aber abends noch einen Moment hinsetzen, um zu arbeiten. Schalten sie den Rechner um 23 Uhr aus, dürfen sie nach strenger Auslegung des Arbeitszeitgesetzes am nächsten Morgen frühestens um 10 Uhr wieder im Büro erscheinen.
Beginnt die Ruhezeit wirklich nach jeder Unterbrechung von vorn?
In einer im vergangenen Sommer erschienenen Expertise verweisen die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags auf die vorherrschende Meinung unter Juristen, dass nicht jede freiwillige Arbeitsleistung des Arbeitnehmers als Unterbrechung der Ruhezeit gewertet werden kann. Vielmehr sei eine „gewisse Erheblichkeitsschwelle“ erforderlich.
Die Beantwortung einer einzelnen dienstlichen Mail am späten Abend dürfte also kaum dazu führen, dass die elfstündige Ruhezeit wieder von vorn beginnt. Es sei denn, der Arbeitgeber hat die umgehende Beantwortung verlangt. Es komme auf „die jeweiligen Umstände des Einzelfalls an“, schreiben die Parlamentsjuristen.
>> Lesen Sie hier: So sind Pausen, Ruhezeit und Überstunden gesetzlich geregelt
Dessen ungeachtet wünscht sich die BDA aber mehr Möglichkeiten als bisher, per Tarifvertrag von der Ruhezeitregelung abzuweichen. So könnte sie beispielsweise vorübergehend auf neun Stunden angepasst oder in zwei Blöcke aufgeteilt werden, von denen einer eine störungsfreie Kernruhezeit von sieben Stunden umfasst.
Die Gewerkschaften wollen dagegen am geltenden Arbeitszeitgesetz nicht rütteln lassen. Mit Blick auf das erwartete EuGH-Urteil sagt DGB-Vorstandsmitglied Piel, sie hoffe auf eine Entscheidung, die „dem Arbeitsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, mitten in oft abwegigen Debatten, den erforderlichen Raum gibt“.
Mehr: Regelmäßige Nachtschichten dürfen anders vergütet werden als gelegentliche Nachtarbeit
<< Den vollständigen Artikel: Arbeitsrecht: Mindestruhezeit für Arbeitnehmer: Ein EuGH-Urteil könnte die deutsche Debatte neu anheizen >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.