Berlin Olaf Scholz (SPD) will Harmonie demonstrieren. Es sei eine „sehr gute Kabinettsklausur“ gewesen, sagt der Kanzler, nachdem er mit den Ministern zwei Tage lang auf Schloss Meseberg beraten hat. Man habe „sehr konstruktiv“ gearbeitet, das könnten „Robert und Christian“ bestätigen.
Gemeint sind Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die gemeinsam mit dem Kanzler am Montagnachmittag über das Treffen im Gästehaus der Bundesregierung informierten. Nach dem Dauerstreit der vergangenen Wochen will Scholz etwas Aufbruch vermitteln.
„Ich kann Ihnen berichten, dass wir auch Fortschritte gemacht haben bei vielen Fragen, die wir im Alltagsgeschäft verhandeln“, sagte Scholz. Die Ampelkoalition wolle „in ganz kurzer Zeit“ verschiedene Vorhaben zum Abschluss bringen.
Doch konkrete Einigungen verkündeten Scholz, Habeck und Lindner nicht. Schon im Vorfeld der Kabinettsklausur waren die Erwartungen gedämpft worden. Ergebnisse werde es erst Ende März beim Koalitionsausschuss geben, hieß es in der Regierung. In Meseberg gehe es eher um die großen Linien der Politik, keine Detailverhandlungen. Und um die Möglichkeit, abends bei Bier und Wein in entspannter Atmosphäre miteinander zu sprechen.
Das ist dringend nötig. Ob beim Bundeshaushalt, beim Bau von Autobahnen oder jüngst beim Verbrenner-Aus – vor allem Grüne und FDP beharken sich derzeit permanent. „Es ist viel Beziehungsarbeit nötig“, heißt es in der Koalition.
Meseberg: Ampelkoalition ist auf der Suche nach Zuversicht
FDP behaart im Streit um E-Fuels auf Rechtssicherheit
Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) machte zuletzt keinen Hehl daraus, dass es innerhalb der Bundesregierung ordentlich rumst. Beim Thema Autobahnen würden sie „heftig streiten“, räumte er ein. Natürlich nicht „in schlechtem Ton“, wie er nachschob. Immer wieder geht es um die Grundsatzfrage, wie die Menschen mobil sein können – und gleichzeitig deutlich weniger Kohlendioxid in die Luft pusten als heute.
Neuester Konflikt: Das Aus des Verbrennungsmotors in Europa ab 2035. Deutschland hatte dem eigentlich schon zu gestimmt – unter der Bedingung, dass synthetische Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien (E-Fuels) eine Chance erhalten, um sich bis 2035 am Markt zu behaupten, und damit die Antriebstechnik retten könnten.
Diese Bedingung ist allerdings aus Sicht der Liberalen von der EU-Kommission nicht erfüllt worden. Vor einer Woche stellte sich die FDP in der Bundesregierung deshalb quer, sodass die nötige Mehrheit unter den Staats- und Regierungschefs für die finale Abstimmung, eigentlich eine Formsache, nun wieder wackelt.
Sie wackelt so sehr, dass die Abstimmung diese Woche auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. „Es gibt keine Rechtssicherheit“, erklärte Lindner. „Diese Rechtssicherheit brauchen wir.“
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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte sich in Meseberg zu dem unüblichen Vorgehen eines Mitgliedstaats geäußert. Die EU-Kommission trete auch für Technologie‧offenheit ein – im Einklang mit den Klimaschutzzielen, sagte sie. Diese Balance gelte es zu finden.
Grüne hofften vergeblich auf ein Machtwort des Kanzlers
Scholz sieht Brüssel in der Pflicht, wie er nach der Klausur noch mal deutlich machte. Die Bundesregierung sei sich einig, dass die Kommission einen Vorschlag machen werde. Damit stützt der Kanzler die Linie der FDP.
Das hatten sich einige Grüne anders vorgestellt. Sie erhofften sich im Vorfeld von Meseberg in vielen Streitpunkten ein Machtwort des Kanzlers. Ob beim Verbrenner-Aus oder bei der Kindergrundsicherung – viele Grüne fühlen sich vom größeren Koalitionspartner im Stich gelassen.
Der Kanzler regiere nach dem Prinzip „Teile und herrsche“, heißt es aus der Grünen-Fraktion. Im Zwiegespräch mit der FDP werde man aber zu keinen Vereinbarungen kommen.
Scholz nahm den von den Grünen heftig kritisierten Wissing in Schutz. „Ein sehr, sehr guter Verkehrsminister“ sei er, betonte der Kanzler in Meseberg. Wissing müsse viele liegen gebliebene Dinge anpacken. Dazu gehört nicht nur, bröckelnde Autobahnbrücken und zerbröselnde Schienentrassen zu sanieren.
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Eigentlich will die Koalition das Planungs- und Genehmigungsrecht modernisieren. Wichtige Investitionen für die politisch gewollte Transformation des Energie- wie des Verkehrssektors will sie so zügig umsetzen. Doch anstatt über die vielen kleinen Stellschrauben im Genehmigungsrecht zu reden, mit denen mehr Tempo entsteht und trotzdem Umweltschutzbelange berücksichtigt werden, dreht sich alles um die große Frage: Wollen wir auch noch Straßen bauen oder nur Windräder, Stromnetze und Schienenwege?
FDP und Grüne streiten um Autobahnen
In der SPD sind einige Fraktionsmitglieder genervt angesichts des Streits, den vornehmlich FDP und Grüne austragen. „Wir diskutieren Verkehrspolitik sehr ideologisch.“
Hinter den Kulissen hat Fraktionsvize Detlef Müller längst Kanzler Scholz vorgeschlagen, die besonders wichtigen, in der Planung bis 2030 aufgelisteten Straßenprojekte schneller zu planen und zu genehmigen. Andere sollen dafür aber zurückgestellt werden. Das Kanzleramt lote einen Kompromiss aus, hieß es. Doch Müllers Vorschlag scheint weder bei Grünen noch bei FDP eine Mehrheit zu finden.
Wissing hatte pünktlich vor der Klausur eine neue Prognose vorgelegt. Demnach wird der Verkehr zunehmen – vor allem auf der Straße. Das bedeutet für Wissing auch Wirtschaftswachstum. Wer das Wachstum „heben“ wolle, der müsse „Verkehrswege und Infrastruktur ausbauen“, rechtfertigt er sein Ziel, Autobahnen zu erweitern oder gar neu zu bauen.
Die Grünen sehen dies ganz anders. Nötig seien „massive Investitionen in die Schiene, um zu sanieren, zu elektrifizieren, zu digitalisieren“, sagt der verkehrspolitische Sprecher Stefan Gelbhaar. „Wir müssen stillgelegte Strecken wieder reaktivieren und das Streckennetz weiter ausbauen. Eine zukunftsfeste Schieneninfrastruktur ist Grundvoraussetzung für Verkehrswende und Klimaschutz.“ Woher das Geld kommen soll, steht indes noch in den Sternen.
Der Haushalt ist ein weiteres Streitthema in der Ampel. Finanzminister Lindner ist derzeit dabei, die Eckwerte für den Etat 2024 aufzustellen. Sie sollen in der kommenden Woche vom Kabinett beschlossen werden. Doch es hakt auch an dieser Stelle deutlich.
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In der vergangenen Woche waren alle Minister bei Lindner, um über ihre Etats zu verhandeln. Die meisten wollen mehr Geld, auf 70 Milliarden Euro belaufen sich die Zusatzwünsche insgesamt. Lindner will diese nicht erfüllen, schließlich will er auch 2024 die Schuldenbremse einhalten und auf Steuererhöhungen verzichten.
Kommen die Etateckwerte später?
„Wir haben keine Haushaltsgespräche hier geführt“, sagte Lindner nach der Kabinettsklausur. Allerdings wird er mit einigen Kollegen noch verhandeln müssen. Bei vielen Ministergesprächen in der vergangenen Woche habe es keine Einigung gegeben, heißt es in Regierungskreisen.
Die Lücke sei sogar eher größer geworden, weil man mit weiter steigenden Zinsausgaben kalkulieren müsse. „Das ist ein Riesenproblem“, heißt es. Lindner hat bereits öffentlich gewarnt, dass man bei den Zinsausgaben mittlerweile mit fast 40 Milliarden Euro kalkuliere. Im Jahr 2021 betrug der Schuldendienst noch vier Milliarden.
Die steigenden Zinskosten schmälern die Spielräume im Haushalt weiter – und machen eine Einigung in der Bundesregierung schwieriger. Bis kommenden Freitag wollte das Finanzministerium die Haushaltseckwerte fertig haben. Mittlerweile ist unsicher, ob das klappt. Das Risiko steige, dass der Kabinettsbeschluss verschoben werden müsse, heißt es.
Es wäre das Gegenteil von Scholz“ Ankündigung in Meseberg, die Ampel werde „in ganz kurzer Zeit“ Vorhaben zum Abschluss bringen.
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