Brüssel Die EU-Kommission will Bürger und Unternehmen vor hohen und stark schwankenden Strompreisen schützen. Dazu will sie mehr langfristige Verträge im Strommarkt einführen und staatliche Unterstützung dabei vereinfachen.
Das geht aus einer vorläufigen Version eines Gesetzesvorschlags hervor, den die EU-Kommission am 16. März vorstellen wird. Der Entwurf liegt dem Handelsblatt vor.
Die Unternehmen der Branche warnen vor zu harten Eingriffen wie einer Pflicht, sich gegen Preisschwankungen abzusichern. Die Branche befürchte, dass dadurch hohe Strompreise festgeschrieben würden, mahnt Kristian Ruby, Generalsekretär des Unternehmensverbands Eurelectric. An hohen Preisen hat die Branche kein Interesse, da sich dadurch die Elektrifizierung vieler Bereiche wie des Straßenverkehrs und des Heizens von Gebäuden verlangsamen könnte.
Die Diskussion um Änderungen im Strommarktdesign wirkt sich jetzt schon negativ aus. Die für die Energiewende notwendigen Milliardeninvestitionen kämen vor allem aus amerikanischen Pensionsfonds, mahnte Ruby kürzlich bei einer Anhörung im Europaparlament. Diese Unternehmen würden sich genau überlegen, ob sie im europäischen Markt investieren, wenn sich die Regeln zu oft ändern – oder ob sie lieber auf die Zuschüsse aus dem Inflation Reduction Act in den USA setzen.
„Seit die Diskussion um das Strommarktdesign aufgekommen ist, sind wir vorsichtiger mit Investitionsentscheidungen“, bestätigte Sjur Jensen, Energiemarktexperte bei Vattenfall, dem Handelsblatt. „Wir prüfen, was sich zurückstellen lässt.“
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm verwies darauf, dass es noch Zeit braucht, die Vorgaben aus Brüssel in den Mitgliedstaaten umzusetzen. „Je länger der politische Prozess dauert, desto länger warten die Investoren“, sagte sie dem Handelsblatt. „Das ist eine große Gefahr.“
Langfristige Verträge sollen gefördert werden
Hintergrund ist, dass einige EU-Länder seit rund anderthalb Jahren Druck auf die EU machen, mit einer Reform des Marktdesigns die Strompreise zu drücken. Mit dem Gesetzentwurf spielt die EU-Kommission diese Idee an die Mitgliedstaaten zurück: Diese bekommen neue Möglichkeiten, mit staatlichen Preisgarantien Investitionen zu unterstützen.
Ermöglicht wird das unter anderem über sogenannte Differenzverträge („Contracts for Difference“, CfD), die nicht nur für Investitionen in erneuerbare Energie, sondern auch für Atomkraft offenstehen sollen. Über Differenzverträge vereinbaren Stromerzeuger und Staaten einen festen Strompreis.
Erzielt der Erzeuger am Markt einen niedrigeren Preis, kriegt er die Differenz vom Staat erstattet. Erzielt er einen höheren Preis, muss er den Gewinn abführen. Wenn ein hoher Preis angesetzt wird, kann der Staat dadurch einen Anreiz für den Bau von Kraftwerken liefern.
Außerdem sollen schon im Großhandel für Strom langfristige Verträge, sogenannte Power Purchase Agreements (PPA), gefördert und die Bedingungen für Termingeschäfte verbessert werden. Berechenbare Preise zu haben ist im Prinzip im Sinne der Kunden.
Es könnte sich auf den Strommarkt aber auch negativ auswirken. Denn je mehr erneuerbare Energien ausgebaut werden, desto mehr schwankt das Angebot an Strom. Wenn gleichzeitig der Strompreis schwankt, gibt es einen Anreiz für Stromabnehmer, ihren Bedarf in Zeiten zu verschieben, in denen das Stromangebot groß ist.
Das ist ein Kernbestandteil aller Überlegungen dazu, wie sich die Stromerzeugung in Europa voll auf CO2-freie Technologien umstellen lässt. Doch je mehr Preise festgeschrieben werden, desto weniger funktioniert dieser Marktmechanismus.
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„Wenn wir zu viel Strom über langfristige Verträge verkaufen, entziehen wir dem Terminmarkt Liquidität“, sagt Vattenfall-Experte Jensen. „Die Liquidität des Terminmarktes ist notwendig, um den Verbrauchern Stabilität zu bieten.“ Dabei ist es der erklärte Wille der EU-Kommission, mehr Flexibilität bei den Stromnachfragern zu erzeugen und mehr Speicherkapazitäten für Strom aufzubauen.
Unklar, ob Vorschlag Mehrheit findet
Die Forderungen, hohe Gewinne abzuschöpfen oder die niedrigen Erzeugungskosten aus Wind und Solar schneller an die Kunden weiterzugeben, wurden nicht berücksichtigt. Solche Forderungen kamen vor allem aus Spanien und Frankreich, seit die Stromkosten Ende 2021 stark stiegen, wobei sie danach aufgrund des Angriffs Russlands auf die Ukraine noch deutlich höher kletterten.
Angesichts dieser Erwartung ist unklar, ob der Vorschlag der Kommission eine Mehrheit unter den EU-Mitgliedstaaten findet oder ob sich diese wieder in monatelangem Streit verstricken, wie es bei Energiefragen im vergangenen Jahr mehrfach der Fall war. Immer wieder war es dabei Deutschland, das sich gegen staatliche Eingriffe in den Gaspreis und in den Strommarkt wehrte.
Eine Sonderregelung für Spanien und Portugal machte es schließlich möglich, dass dort die Stromerzeugung subventioniert wurde. Würden solche Regelungen europaweit erlaubt, müssten sich die Staaten davor schützen, dass der verbilligte Strom ins Ausland abfließt. „Wenn sich Frankreich und Spanien mit ihren Vorstellungen einer massiven Ausweitung der Rolle des Staates durchsetzen würden, könnte das zu einem Auseinanderbrechen des Strom-Binnenmarktes führen“, warnte Ökonomin Grimm darum.
Weitreichende Forderungen, in die Preisgestaltung nach dem Prinzip der Merit-Order einzugreifen, finden sich nicht in dem Papier. Dies hatte Griechenland gefordert. Die Merit-Order beschreibt den Effekt, dass teure Kraftwerke nur dann anspringen, wenn sie wirklich gebraucht werden, dann aber den Preis für den kompletten Markt setzen. In der Praxis heißt das, dass der günstig mit Wind und Sonne produzierte Strom zu bestimmten Zeiten genauso vergütet wird wie der teuer mit Gas produzierte Strom.
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Anstatt daran zu rütteln, versucht die Kommission nun auf andere Weise, Schwankungen im Markt gering zu halten. Kunden sollen europaweit künftig die Möglichkeit haben, langfristige Stromverträge zu festen Preisen abzuschließen. Das ist in Deutschland schon der Fall, in vielen anderen Ländern zahlen die Kunden aber einen Preis, der sich stark am schwankenden Preis im Großhandel orientiert.
<< Den vollständigen Artikel: Energie: EU drängt auf mehr langfristige Verträge im Strommarkt >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.