Zossen Der Druck auf Deutschlands Gewerbesteueroasen steigt. Finanzämter wollen verstärkt gegen Firmen vorgehen, die ihren Betriebssitz nur zum Schein verlegen. Die Politik nimmt das Thema auf die Agenda.
Die Gewerbsteuer ist die wichtigste Einnahmequelle für Kommunen. In Zeiten der Geldnot ärgern sich viele Städte und Gemeinden besonders über die Konkurrenz durch Steuerdumping.
In Nordrhein-Westfalen wolle die neue schwarz-grüne Landesregierung Gewerbesteueroasen noch in dieser Legislaturperiode „entgegentreten“, heißt es im Koalitionsvertrag. Jetzt führen sogar einzelne Staatsanwaltschaften Verfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung.
Gewerbesteuer: Einige Kommunen versuchen, ihre Nachbarn zu unterbieten
Der Grund? Gewerbesteueroasen wie Monheim, Zossen, Grünwald, Lützen und Walldorf erheben deutlich niedrigere Gewerbesteuerhebesätze als der Bundesschnitt. Der Gewerbesteuerhebesatz regelt die Höhe der Steuer, die Unternehmen auf ihren Gewinn zahlen. Der deutsche Durchschnittssatz beträgt 435 Prozent. Die sogenannten Gewerbesteueroasen veranschlagen deutlich unter 300 Prozent. Das sorgt für Kritik vonseiten der Nachbarkommunen und Landesregierungen.
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Sie werfen den Gemeinden mit niedrigen Gewerbesteuern vor, Gewerbesteuerdumping zu betreiben, Briefkastenfirmen zu züchten, Nährboden für Steuerhinterziehung zu sein und unsolidarisch zu handeln. Denn Firmen wandern aus den Nachbarkommunen in die Oasen ab. Der Berliner Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) sagt: „Wir stellen fest, dass die Verlagerung von Gewinnen in Gewerbesteueroasen ein beliebtes Mittel zur Steueroptimierung geworden ist.“
Die Bundesländer sagen den Gewerbesteueroasen den Kampf an
Der öffentlichen Hand entgehen so deutschlandweit Gewerbesteuereinnahmen von einer Milliarde Euro pro Jahr. Das haben Berechnungen des Netzwerks Steuergerechtigkeit ergeben. Neben Monheim, Zossen und Co. gibt es in Deutschland 85 weitere sogenannte Gewerbesteueroasen. Sie liegen vor allem in Bayern, aber auch in Brandenburg, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen (NRW).
In NRW soll aber bald Schluss sein mit Gewerbesteuerdumping und Briefkastenfirmen. Die neue schwarz-grüne Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, Gewerbesteueroasen „entgegentreten zu wollen“. Sie plant, Finanzämter bei den Betriebsprüfungen zu unterstützen und einen Ausgleich über negative Schlüsselzuweisungen zu schaffen.
Steuerdumping
85
Gewerbesteueroasen
gibt es im Bundesgebiet.
NRW ist nicht das erste Bundesland, das gegen Kommunen mit einer niedrigen Gewerbesteuer vorgeht. Auch in Brandenburg, Hessen und Bayern wurden Maßnahmen ergriffen.
Stärkere Zusammenarbeit mit dem Finanzamt
In Brandenburg teilte das Finanzministerium bereits 2021 mit, dass es die Zusammenarbeit mit dem zuständigen Finanzamt für Zossen intensivieren will, um die Angaben der Unternehmen genauer zu prüfen. Viel geändert hat sich in Zossen seitdem allerdings nicht.
Mitten im historischen Stadtkern der brandenburgischen Kleinstadt hängen auch heute noch lange Namenslisten an den Briefkästen der alten bunten Häuser. Knapp 175 Firmen sollen ihren Sitz allein in vier Häusern der Baruther Straße haben. Auf dem Klingelschild der Adresse Bürogemeinschaft in der Hauptstraße 28 in Zossen sind sogar 203 Firmen aufgelistet.
Ein Sprecher des Finanzamts Zossen sagte dazu: „Die Maßnahmen sind noch nicht abgeschlossen.“ Ziel sei es, die Angaben der Unternehmen zur Geschäftsleitungsbetriebsstätte zu überprüfen, den tatsächlichen Ort der Geschäftsleitung zu ermitteln sowie die Frage nach dem zutreffenden örtlich zuständigen Finanzamt für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags zu beantworten.
>> Lesen Sie hier: Steueroasen wie Monheim geraten unter Druck
In München und Hessen wurden nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ Anfang des Jahres E-Mails mit dem Betreff „Gewerbesteueroasen – Briefkastenfirmen“ an die Finanzämter versandt. In diesen wurden die Finanzämter in Bayern aufgefordert, Fälle zu melden. Ähnliche Abfragen liefen im Herbst auch in hessischen Finanzämtern.
Staatsanwaltschaften ermitteln gegen Briefkastenfirmen
Noch dünner wird die Luft für Briefkastenfirmen in München und Berlin. Dort ermitteln jetzt sogar Staatsanwaltschaften wegen Gewerbesteuerhinterziehung gegen einige Unternehmer. Das bestätigten dem Handelsblatt mit der Sache betraute Personen. Zu den Ermittlungen sei es teils im Zuge des Maskenskandals im vergangenen Jahr gekommen. Dabei war den Ermittlungsbehörden aufgefallen, dass sich die Firmen womöglich zu Unrecht in einer Steueroase angemeldet hatten.
Verbände und Steuerrechtsexperten fordern seit Jahren eine Reform der Gewerbesteuer, um Ungleichheiten durch den Steuerwettbewerb vorzubeugen. Bereits 2019 kritisierte Johanna Hey, Leiterin des Instituts für Steuerrecht der Universität zu Köln, den deutschen Alleingang bei der Unternehmensteuer. Hey fordert eine Umgestaltung der Gewerbesteuer „zum Beispiel in einen kommunalen Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer“.
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Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) unterstützt die Reformvorschläge. Statt des derzeitigen Modells solle die Steuer in die übrigen Ertragsteuern integriert werden. Nur so ließen sich auf EU-Ebene einheitliche Bemessungsgrundlagen für Unternehmensteuern erreichen, heißt es im Grundsatzpapier des Verbands.
Im September äußerte sich auch der Deutsche Städtetag erneut kritisch über die innerdeutschen Steuerparadiese. Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy (SPD) fordert von der Bundesregierung, „die unfaire Steuerpraxis der Gewerbesteueroasen entschlossen zu bekämpfen“. Der Städtetag habe dem Bundesfinanzministerium dazu Vorschläge übermittelt. Konkrete Pläne der Bundesregierung gibt es allerdings noch nicht.
Mehr zu Steueroasen allgemein:
<< Den vollständigen Artikel: Steuerpolitik: Finanzämter nehmen deutsche Gewerbesteuer-Steueroasen ins Visier >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.