Oct 6, 2022
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Gewerbesteuer: Bürgermeister von Monheim unter Druck – denn er schuf eine „Steueroase“

Written by Luisa Bomke

Monheim Das hell geklinkerte Einfamilienhaus in der Sandstraße 104 wirkt auf den ersten Blick nicht wie ein Gewerbezentrum. Auch die Umgebung nicht, in den umliegenden Häusern sind die Baumberger Sportfreunde angesiedelt, etwas weiter die Briefmarkenfreunde Monheim am Rhein. Nur der dunkelgraue Briefkasten von Nummer 104 deutet auf ein außerordentliches Geschäftsleben hin. Laut den Schildchen darauf befinden sich in dem Einfamilienhaus ein Fleischhandel, einige Immobilienfirmen, ein Reifenhandel und viele mehr: 129 Unternehmen insgesamt.

Die Gewerbesteuer ist die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen. Der Hebesatz regelt die Höhe der Steuer, die Unternehmen auf ihren Gewinn zahlen. Der deutsche Durchschnittssatz beträgt 435 Prozent. In Monheim liegt er bei 250 Prozent.

Monheim am Rhein: Niedrige Gewerbesteuer zieht Unternehmen aus ganz Deutschland an

Das zieht Unternehmen aus der ganzen Republik an – und sorgt für Ärger mit den Nachbarkommunen. Jetzt will die nordrhein-westfälische Landesregierung Schritte unternehmen, um die Steueroasen trockenzulegen. Das hat sie im neuen Koalitionsvertrag beschlossen.

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„Wir wollen, dass Kommunen wie Monheim über negative Schlüsselzuweisungen einen gewissen Ausgleich für ärmere Kommunen zahlen“, sagt Simon Rock, finanzpolitischer Sprecher der NRW-Landtagsfraktion der Grünen. Die Praxis, Unternehmen aus anderen Kommunen mit niedrigen Gewerbesteuersätzen abzuwerben, nennt er „unsolidarisch“. Denn die Kommunen hätten sich „auf Kosten anderer gesund saniert“.

Gewerbesteueroase Monheim am Rhein

Monheim am Rhein ist eine von 90 Gewerbesteueroasen in Deutschland. Sie alle haben einen Hebesatz von unter 300 Prozent und ziehen damit dubiose Geschäftsmodelle an.



(Foto: dpa)

Es ist ein Vorwurf, den Daniel Zimmermann scharf zurückweisen würde. Zwar hat sich die Zahl der Unternehmen in seiner Stadt drastisch erhöht, seit er 2009 mit 27 Jahren Bürgermeister in Monheim wurde. UPS, DHL, Deutsche Post, Bayer, BASF, Henkel, OQ Chemicals – sie alle haben Tochterfirmen mit Sitz in Monheim gegründet oder ihren Sitz in die Stadt verlegt.

500 neue Firmen in Monheim am Rhein seit Antritt des Bürgermeisters

Zimmermann sieht die Lösung für die Probleme in anderen Teilen seines Bundeslandes trotzdem nicht bei sich. „Statt dafür zu sorgen, dass die Steuersätze in Monheim am Rhein steigen, sollte die Landesregierung lieber dafür sorgen, dass sie zum Beispiel in Oberhausen sinken“, sagt der Bürgermeister. Der dort erhobene Hebesatz von 580 Prozent sei nicht wettbewerbsfähig.

In Monheim glänzt Zimmermanns Bilanz. 1900 Firmen gibt es heute in dem 46.000 Einwohner zählenden Städtchen – fast 500 mehr als vor dem Antritt des Jungpolitikers. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse stieg um 48 Prozent.

Das bringt Geld in die Kasse. 6341 Euro pro Einwohner und Jahr nimmt Monheim inzwischen an Gewerbesteuern ein. Zum Vergleich: Im zwei Stunden entfernten Verl sind es knapp über 2000 Euro. Verl hat das zweithöchste Gewerbesteuereinkommen pro Kopf in Nordrhein-Westfalen.

Niedriger Gewerbesteuerhebesatz sorgt für Unmut in umliegenden Städten

Zimmermann hat in seiner Amtszeit 120 Millionen Euro städtische Schulden abgebaut. Heute gibt es Glasfaser für jeden Haushalt, Erholungsgebiete, einen Wasserpark und kostenlosen Nahverkehr. Überall in der Stadt wird gebaut.

Spitzenreiter

6341

Euro pro Einwohner

nimmt Monheim inzwischen jährlich an Gewerbesteuern ein – mehr als jede andere Kommune in Nordrhein-Westfalen.

Lance Gregorchuk hat den Wandel der Stadt miterlebt. „Monheim war eine Katastrophe“, sagt er. Die Kriminalität sei hoch gewesen, erzählt der Kanadier, der Fitness First auf den deutschen Markt brachte und seit 20 Jahren in Monheim wohnt. Heute sei er stolz auf seine kleine Stadt. Sie sei sauber und sicher. Das könne man nicht von jeder Stadt in NRW behaupten.

Tatsächlich gibt es bei Monheims Nachbarn Probleme. In den benachbarten Großstädten an Rhein und Ruhr verkommen Schulen und Straßen, Freibäder und Jugendtreffs müssen geschlossen werden. Vielerorts wächst deshalb der Zorn – auf genau solche Arrangements wie in der Sandstraße 104.

„Virtuelles Büro + Firmensitz ab 79,50 €* netto/mtl. in Monheim am Rhein“, heißt es auf dem Portal Ebay-Kleinanzeigen. Wer Büroräume in der „1A Bürogemeinschafts & Dienstleistungs GmbH“ mietet, kann sich Post weiterleiten lassen, erhält ein Briefkastenschildchen und eine Telefonnummer. Die Rufumleitung kostet 25 Euro im Monat extra.

>> Lesen Sie hier: Gemeinden verbuchen 35 Prozent mehr aus Gewerbesteuern als 2020

Die Macher hinter der Bürogemeinschaft heißen Michael Tiskens und Michael Hermanns. Tiskens ist eigentlich Versicherungsmakler. Firmensitze bietet Tiskens als Nebenerwerb an, auf die Idee brachte ihn sein Steuerberater. Die 1A Bürogemeinschaft in der Sandstraße 104 liegt im ersten Stock in einer ehemaligen Einliegerwohnung.

In der offenen Küche steht der Schreibtisch der Sekretärin. Postablage, Kopierer und Telefonanlage sind direkt neben Kühlschrank, Backofen und Spülmaschine platziert. Im Bad steht eine Badewanne. In die restlichen Räume wurden Trennwände eingezogen. Regale oder Unterlagen sucht man vergeblich.

Die paar Schreibtische und Stühle in den ansonsten kahlen Räumen repräsentieren offiziell zwölf Arbeitsplätze, nutzbar für 129 Firmen. Damit nicht genug. Als weiteres Angebot der Bürogemeinschaft vermieten Tiskens und Hermanns dieselben Tische und Stühle abends und an Wochenenden an Studierende und Schüler, die Firmen gründen.

>> Lesen Sie hier: Das sind Deutschlands Gewerbesteuerparadiese

Tiskens und Hermanns finden daran nichts falsch. Ihre Kunden seien angehalten, ihre Anwesenheit in einen Belegungsplan einzutragen. Die meisten aber würden das Homeoffice bevorzugen. Und tatsächlich: Als das Handelsblatt die Räume besichtigt, befindet sich ein einziger Mieter im Büro. Michael Hermanns sagt: „Wir bieten unseren Mietern alle Mietoptionen, die der rechtliche Rahmen hergibt. Darüber hinaus gehen wir jedoch nicht.“

Briefkastenfirma oder legale Steuervermeidung?

Gerade Bürogemeinschaften erschweren es den Finanzbehörden zu erkennen, ob sie es mit Briefkastenfirmen oder legaler Steuervermeidung zu tun haben. Wie sollen Finanzbehörden in der digitalen Arbeitswelt mit solchen Arrangements zurechtkommen? Steuerrechtsprofessorin Johanna Hey von der Universität Köln erklärt, Gewerbesteueroasen seien nicht illegal. Zwar sei es nicht ausreichend, den Firmensitz nur formal zu ändern. Andererseits brauche es auch nicht viel Aufwand, um einer frischen Adresse Umsätze zuzurechnen. Ihr Fazit: Es gibt viel Spielraum.

Politiker wie Simon Rock wollen diesen Raum einengen. Die NRW-Landesregierung will die Kommunen und Finanzämter bei der Betriebsstättenprüfung unterstützen, heißt es im Koalitionsvertrag. Rock: „Eine Möglichkeit wäre, dass die Finanzämter den Kommunen, in denen die wirklichen Betriebsstätten der Unternehmen sitzen, bei der Prüfung helfen.“

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Für die Firmen in der Sandstraße 104 wäre das neu. Die 1A Bürogemeinschaft sei 2016 im Zuge der Eröffnung geprüft worden, sagen die Vermieter. Hermanns berichtet: „Der Beamte, der damals beim Finanzamt Hilden für Monheim zuständig war, hat vier Häuser weiter gewohnt.“ Während der Umbaumaßnahmen sei der Beamte dann einmal vorbeigekommen.

Behörden-Schreibtisch

Recherchen zeigen, dasss Gewerbesteuerparadiese dazu führen können, dass sich dort Briefkastenfirmen ansiedeln, deren eigentlicher Sitz anderswo ist.



(Foto: dpa)

Seitdem hält das Finanzamt sich fern. Zwar habe es bei einzelnen Unternehmen der Bürogemeinschaft Betriebsprüfungen gegeben, sagt Hermanns. Diese hätten aber im Finanzamt stattgefunden. Hermanns: „Damit ist, glaube ich, alles gesagt.“

Gewerbesteuer: Niedriger Hebesatz verschlechtert Situation anderer Kommunen

Kritiker der Steueroasen haben dagegen noch viele Worte. Dormagens Bürgermeister Erik Lierenfeld bezichtigte seine Nachbarstadt Leverkusen des „Gewerbesteuer-Dumpings“, als diese 2019 ihren Hebesatz auf 250 Prozent halbierte. Dormagen und Oberhausen schlossen sich dem Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Stadt“ an. Deutschlandweit beteiligen sich daran 65 strukturschwache Kommunen aus sieben Bundesländern. 36 von ihnen stammen aus NRW.

„Durch Steuerdumping haben Kommunen Unternehmen dazu gebracht, den Standort zu wechseln. Dadurch hat sich die Lage in Kommunen mit ohnehin unterdurchschnittlichen Steuereinnahmen weiter verschlechtert“, teilt das Bündnis mit. Das zeige auch das Beispiel Monheim.

Vor der Senkung der Gewerbesteuer habe die Stadt noch eine normierte Steuerkraft von 38,7 Millionen Euro gehabt. Durch die Zuwanderung zahlreicher Unternehmen aus Nachbarkommunen liege diese 2022 bei rund 385 Millionen Euro. Deshalb begrüße „Für die Würde unserer Stadt“ die Ankündigung der Landesregierung NRW, dem „unsolidarischen Verhalten nun Einhalt“ zu gebieten. In Kraft treten werden die geplanten Maßnahmen der Landesregierung aber wohl erst 2024. Bis dahin müssen sich Lierenfeld und Rock noch gedulden.

Mehr: Gemeinden verbuchen 35 Prozent mehr Gewerbesteuer als 2020

Erstpublikation: 06.10.22, 18:50 Uhr.



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Politik

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