Mar 10, 2023
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Frankreich: Au revoir Inflation: Der verblüffende Triumph der Pariser Billig-Restaurants

Written by Tanja Kuchenbecker

Ab 19 Uhr bilden sich lange Schlangen vor dem „Bouillon République“, sogar an Wochentagen. Jung und Alt warten geduldig auf Einlass in das Restaurant an der Place de la République. Es ist unmöglich zu reservieren, weil das 1800 Quadratmeter große Lokal – altmodisch, mit viel Holz, Messing und Jugendstildekor – so angesagt ist.

Die bis vor Kurzem fast in Vergessenheit geratenen „Bouillons“, die Speisesäle des Volks, erleben in Paris und mittlerweile auch in anderen Städten in Frankreich eine verblüffende Renaissance.

Derzeit eröffnen jeden Monat neue Restaurants. Die Inflation bringt ihnen Zulauf, denn die Franzosen wollen auch in Zeiten steigender Preise nicht auf ihre Lieblingsbeschäftigung verzichten: das Essen.

In Krisenzeiten ist „Comfort Food“ wie zu Omas Zeiten wieder angesagt. Die traditionellen Speisen lösen die Esstrends der vergangenen Jahre ab, die vor allem durch internationale Einflüsse oder Fast Food gekennzeichnet waren. Die „Bouillons“ sind laute und riesige Bistros, die Kellner servieren im Eiltempo, sind meist nicht besonders freundlich und geduldig – aber das gehört eben zum Pariser Flair.

Die Begrifflichkeit der neuen „Bouillons“ führt in die Irre: Nicht nur Brühen (Bouillon) werden hier serviert, die Gaststätten haben nichts mit modischen Suppenrestaurants gemeinsam: Es geht um französische Hausmannskost. Angerichtet werden unter anderem Klassiker wie Steak Frites, Würstchen mit Kartoffelpüree, Lauch mit Essigsauce, Huhn mit Pommes und Rindfleischeintöpfe.

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Das Publikum ist gemischt, es kommen viele junge Leute, die auf die Preise achten. Sehr nostalgisch muten die Restaurants an, mit viel Holz, Spiegeln, Stuck, alten Bistrostühlen und Plakaten mit Paris-Motiven. Die neue Generation der Gastronomen siedelt sich oft in alten Restaurants an, die nicht mehr laufen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Betrieben bieten die Bouillons meist den ganzen Tag warmes Essen an. Das ist im „Bouillon Chartier Montparnasse“ so oder im „Bouillon Chartier Gare de l’Est“. Das sind die zwei Ableger des berühmten „Chartier“, das sich in der Nähe der große Kaufhäuser Printemps und Galeries Lafayette befindet. „Die Idee ist es, eine Vorspeise, eine Hauptspeise und einen Nachtisch für weniger als 20 Euro anzubieten“, erklärt Christophe Joulie, einer der Besitzer der Bouillon Chartier. Das ist etwa die Hälfte dessen, was Kundinnen und Kunden normalerweise in Pariser Restaurants zahlen.

Das legendäre „Chartier“

Das Chartier-Bouillon-Restaurant in der Nähe der Grands Boulevards ist das historische Vorbild der neuen Restaurantszene.


(Foto: Getty Images)

Das Chartier entstand im Jahr 1896 und hat als einziges Restaurant seiner Art bis heute überlebt. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es noch über 200 dieser Lokale, deren wirtschaftlicher Erfolg auf Massenabfertigung beruhte. Sie waren um 1860 im Pariser Hallenviertel entstanden und dienten Arbeitern als Kantine, damals gab es tatsächlich hauptsächlich Suppe.

Ende des 20. Jahrhunderts waren alle bis auf das Chartier verschwunden, umgewandelt in teure Restaurants. Doch nun ist ihr Konzept aktueller denn je. Ausgehend von Paris breitete sich der Trend wie eine Welle aus – heute verfügen auch Lille, Grenoble, Lyon, Orléans und andere Provinzstädte über Bouillons.

Großmarkt „Marché de Rungis“

Auf dem größten Pariser Großmarkt decken sich die Gastronomen ein – gekauft wird, was aktuell günstig angeboten wird.


(Foto: Rungis)

Die meisten entstanden nach den Lockdowns der Pandemie, als steigende Preise und Kaufkraft immer mehr Franzosen finanziell überforderten. Selbst in Versailles gibt es seit Januar das „Petit Bouillon Versailles“. „Das läuft in Zeiten der schwierigen Konjunktur bestens“, sagt dessen Chef Didier Lacoste, der 500 Essen pro Tag serviert. Bei ihm kostet eine Mahlzeit inklusive Getränken und Schlossblick 22 Euro.

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Das Wirtschaftsmodell der Bouillons funktioniert durch die Menge, sie haben oft mehr als 300 Plätze, servieren bis zu 3000 Mahlzeiten am Tag und sind durchgängig geöffnet. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist unschlagbar. Die Chefs kaufen ihre Zutaten in großen Mengen auf dem Großmarkt Rungis außerhalb von Paris und richten ihre Menüs danach, was sie besonders günstig bekommen.

Stadtpanorama von Paris

Frankreichs Hauptstadt ist für Menschen mit mittleren Einkommen in den vergangenen Jahrzehnten fast unerschwinglich geworden, und die Inflation verstärkt diese Tendenz. Nun sorgt eine neue Generation von Gastronomen zumindest wieder für bezahlbare Restaurantbesuche.


(Foto: Luigi Vaccarella/Schapowalow)

Hinter den Bouillons stecken keine riesigen Restaurantketten, sondern Familienunternehmen, die seit Langem im Gastronomiebereich aktiv sind und schon andere Trends gesetzt haben. Christophe Joulie, der aus einer Familie von Restaurantbesitzern aus der Auvergne in Mittelfrankreich stammt, hat vor 15 Jahren das Chartier gekauft. Damals glaubte niemand mehr an das Konzept, und es kamen nur noch wenige Hundert Kunden am Tag. Heute gilt er als Trendsetter.

Joulie ist selbst überrascht vom Erfolg. Bis zu 2400 Kunden bedient er am Tag, für das Jahr 2023 hat er sich eine Million Mahlzeiten pro Jahr vorgenommen. Ihm gehören auch die Ableger bei Montparnasse und an der Gare de l‘Est, die er 2019 und 2022 eröffnet hat.

Sein wichtigster Konkurrent ist Pierre Moussié, der auch schon lange im Restaurant- und Hotelbereich aktiv ist. Er hat erst 2017 „Bouillon Pigalle“ eröffnet und dann Ende 2021 einen Ableger an der République. Beide unterbieten sich mit den Preisen. Gemüsesuppen gibt es schon ab einem Euro, Eier und Mayonnaise ab zwei Euro. Wer am Nachmittag essen geht und nicht zur Mittags- oder Abendzeit, muss nicht einmal Schlange stehen.

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