Mar 15, 2023
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Großbritannien : London will die chronische Wachstumsschwäche mit steuerlichen Anreizen bekämpfen

Written by Torsten Riecke


London Mit höheren staatlichen Zuschüssen für die Kinderbetreuung, steuerlichen Anreizen für ältere Arbeitnehmer und Investitionshilfen für Unternehmen will die britische Regierung die chronische Wachstumsschwäche Großbritanniens überwinden. „Im Herbst haben wir schwierige Entscheidungen getroffen, um für Stabilität und solide Finanzen zu sorgen“, sagte Finanzminister Jeremy Hunt bei der Vorlage seines Haushaltsentwurfs für das Finanzjahr 2023/24 im Unterhaus in Westminister, „heute liefern wir den nächsten Teil unseres Plans, einen Haushalt für Wachstum“.

Rückenwind erhält der Schatzkanzler dabei von der wirtschaftlichen Entwicklung, die nicht so schlecht verläuft, wie das parteiunabhängige Office for Budget Responsibility (OBR) noch im Herbst befürchtet hatte. „Nach Angaben des OBR wird Großbritannien nicht in eine Rezession rutschen“, verkündete Hunt.

Demnach sagen die Experten für das laufende Jahr jetzt nur noch einen leichten Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität von 0,2 Prozent voraus. Im nächsten Jahr soll es dann mit einem Plus von 1,8 Prozent wieder aufwärts gehen. Zugleich geht die Regierung davon aus, dass die Inflationsrate von zuletzt rund zehn Prozent bis Ende 2023 auf 2,9 Prozent zurückgeht. Die Arbeitslosenquote werde nicht höher als 4,4 Prozent klettern.

Nach Voraussage des Internationalen Währungsfonds (IWF) weist Großbritannien in diesem Jahr die niedrigste Wachstumsrate aller großen Industrieländer (G7) auf und hat sein Wohlstandsniveau aus der Zeit vor der Pandemie noch nicht wieder erreicht.

Hunt leitet mehr verbal als tatsächlich eine finanzpolitische Wende ein. Im November 2022 hatte der Finanzminister noch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen von insgesamt 55 Milliarden Pfund (etwa 62 Milliarden Euro) verkündet, um die Nerven der Finanzmärkte nach dem Schock über das berüchtigte „Mini-Budget“ der früheren Premierministerin Liz Truss zu beruhigen. Die Tory-Politikerin wollte massive Steuersenkungen auf Pump durchsetzen. Hunt zog die Notbremse, Truss musste auf Druck ihrer Partei wenig später zurücktreten.

Schatzkanzler hält an Erhöhung der Körperschaftsteuer für Unternehmen fest

Seitdem ringen die regierenden Konservativen vor allem mit sich selbst über die richtige Balance zwischen solider Haushaltsführung, Bekämpfung der Inflation und einer Wachstumspolitik. Trotz seiner Wachstumsrhetorik räumt Hunt mit seinem neuen Haushaltsentwurf eindeutig den ersten beiden Zielen Vorrang ein. Der wichtigste Beleg dafür ist, dass der britische Schatzkanzler an der geplanten Erhöhung der Körperschaftsteuer für Unternehmen von 19 auf 25 Prozent festhält.

„Wenn die letzte Regierung sich der ungedeckten Steuersenkungen schuldig gemacht hat, dann ist diese Regierung vielleicht der ungedeckten Steuererhöhungen schuldig“, kritisierte Mark Littlewood, Direktor der neoliberalen Denkfabrik Institute of Economic Affairs, Hunts Agenda gegenüber der Nachrichten-Plattform Politico. Die Steuerbelastung in Großbritannien wird nach Voraussage des OBR im Jahr 2027/28 einen Nachkriegshöchststand von 37,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen. Dies beinhaltet den höchsten Anteil der Körperschaftsteuereinnahmen am BIP seit Einführung der Abgabe im Jahr 1965.

Statt auf einen niedrigen Körperschaftsteuersatz setzt der Finanzminister künftig auf bessere Abschreibungsmöglichkeiten, um die Investitionen der Unternehmen zu steigern. Zwar lässt Hunt die bisherigen „Superabschreibungen“ von 130 Prozent für Maschinen und Anlagen wie geplant auslaufen. Zugleich sollen Firmen jedoch die Möglichkeit bekommen, in den kommenden drei Jahren bestimmte Investitionsausgaben von der Steuerschuld zu 100 Prozent abzuziehen.

Hunt bezifferte die Kosten des neuen Programms auf neun Milliarden Pfund pro Jahr. Weitere Steuererleichterungen kündigte er für Ausgaben für Forschung und Entwicklung an, deren Absetzbarkeit er erst im Herbst eingeschränkt hatte.

Massenstreiks in Großbritannien

Ärzte und Lehrer streiken am „Budget Day“ in London für mehr Gehalt.


(Foto: Bloomberg)

„Zu wenig Investitionen sind nur ein Grund für unsere Produktivitätsschwäche“, diagnostizierte Hunt, „hinzu kommt eine zu geringe wirtschaftliche Aktivität.“ Nach Angaben des Finanzministers gibt es in Großbritannien sieben Millionen arbeitsfähige Erwachsene, die sich vom Arbeitsmarkt abgewandt haben.

Um das zu ändern, will die Regierung mit zusätzlichen Hilfen für die Kinderbetreuung und höheren steuerlichen Freibeträgen für die Altersvorsorge die Arbeitsanreize stärken. So können Arbeitnehmer künftig so viel Geld in ihre private Altersvorsorge einzahlen, wie sie möchten, ohne dafür Steuern zahlen zu müssen.

Atomkraft soll stärker gefördert werden

Dadurch, dass das Wirtschaftswachstum in Großbritannien voraussichtlich weniger stark zurückgeht als befürchtet, ergeben sich für die Regierung auch neue finanzielle Spielräume. So soll die Staatsverschuldung nicht die Marke von 100 Prozent des BIP übersteigen und das Haushaltsdefizit bis 2027 unter zwei Prozent sinken.

Die Ausgaben für Verteidigung sollen in diesem und im kommenden Finanzjahr um insgesamt fünf Milliarden Pfund erhöht werden. In den nächsten fünf Jahren will London insgesamt elf Milliarden Pfund mehr für die Verteidigung ausgeben und künftig ein Ausgabenziel von mindestens 2,25 Prozent des BIP anpeilen.

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Die im Herbst eingeführten Energiehilfen für die britischen Verbraucher werden bis Ende Juni verlängert. Für drei weitere Monate sollen die Energiekosten für „einen typischen Haushalt“ bei 2500 Pfund pro Jahr gedeckelt werden. Zugleich bleibt die Kraftstoffsteuer eingefroren und die Biersteuer wird sogar leicht gesenkt. Hunt sprach von einer „Brexit-Pub-Garantie“.

Für die eigene Energiesicherheit setzt London verstärkt auf die „Carbon Capture and Storage“-Technologie, bei der klimaschädliche Kohlenstoffe aus der Luft gefiltert und eingelagert werden. Mit rund 20 Milliarden Pfund will die Regierung in den nächsten 20 Jahren diese Technik fördern. Außerdem soll die Atomkraft zu einer „nachhaltigen Umwelttechnologie“ erklärt werden und damit die gleiche staatliche Förderung wie die erneuerbaren Energien erhalten.

Finanzzentrum Canary Wharf in London

Canary Wharf soll Vorbild für zwölf neue Investmentzonen sein.



(Foto: Reuters)

Damit sich der Wohlstand nicht weiter nur im Süden des Inselreichs und in London konzentriert, greift Hunt auf eine Idee von Liz Truss zurück und will landesweit zwölf neue „Investmentzonen“ einrichten, die steuerlich besonders gefördert werden. „Das sind zwölf potenzielle Canary Wharf“, sagte Hunt mit Blick auf die erfolgreiche Verwandlung ehemaliger Hafengebiete im Osten Londons zu einem weltberühmten Finanzzentrum.

Nach Berechnungen des OBR gibt der Finanzminister der britischen Wirtschaft insgesamt eine konjunkturelle Anschubhilfe von etwa 22 Milliarden Pfund. Die schlechte Stimmung im Land wird er damit jedoch nicht so schnell vertreiben können. Nach einer Meinungsumfrage des Instituts Savanta vor seiner Rede im Unterhaus glauben 60 Prozent der Briten nicht, dass der neue Haushalt die Lage der Wirtschaft verbessern werde.

Eine Kostprobe des Unmuts bekam Hunt vor dem Parlament in Westminster zu spüren: Dort protestierten Beschäftigte des öffentlichen Dienstes für einen Inflationsausgleich ihrer Löhne. Insgesamt legten am Mittwoch mehr als 400.000 Lehrer, Ärzte, Eisenbahner und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung ihre Arbeit nieder.

Mehr: London steckt zusätzliche Milliarden in die Verteidigung



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