In Brüssel kursieren Analysen, nach denen die Ukraine derzeit 110.000 Granaten pro Monat verschießt, aber 300.000 pro Monat bräuchte, um bei einer Gegenoffensive erfolgreich sein zu können.
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Brüssel Die Sorge um die Kampfkraft der ukrainischen Armee erreicht die höchste politische Ebene der EU: Angeführt von Estland dringen mehrere Staaten darauf, der Ukraine bis zum Jahresende eine Million Artillerie-Granaten zu liefern. Dem Handelsblatt liegt ein Entwurf der Schlussfolgerungen für den EU-Gipfel kommende Woche vor.
In diesem begrüßt der Europäische Rat, „die sofortige Bereitstellung von Munition für die Ukraine zu erleichtern, auch durch gemeinsame Beschaffung, mit dem Ziel, bis Ende 2023 eine Million Schuss Artilleriemunition bereitzustellen“.
Die Passage ist noch nicht endgültig abgestimmt, die Formulierung könnte sich vor Beginn des Gipfels am kommenden Donnerstag noch ändern. Neben den Balten und den Polen dringen auch Finnland und Rumänien auf ein konkretes Lieferversprechen. Frankreich hat Unterstützung signalisiert. Deutschland prüft die Zusage noch, hat aber schon versprochen, „sofortige“ Munitionsbestellungen für die Ukraine aufzugeben.
Die militärische Lage in der Ukraine und der politische Kontext beunruhigt Brüsseler Diplomaten zunehmend: Wenn der Ukraine nicht spätestens im Sommer der Durchbruch gelinge, dann womöglich niemals, heißt es. „Jetzt oder nie“, sagt ein Diplomat.
Russland hat durch die Teilmobilisierung 300.000 zusätzliche Soldaten eingezogen und dadurch die Front stabilisiert. Die Abnutzungsschlachten in der Ostukraine sind für beide Kriegsparteien verlustreich.
Munitionsmangel verschärft Lage
Doch während Russland vor allem Rekruten verliert, fallen auf ukrainischer Seite auch viele erfahrene Kämpfer. Innerhalb der EU wachsen die Zweifel, ob die geplante Gegenoffensive der Ukraine im Frühling und Sommer genug Schlagkraft entfalten kann, um die Russen aus den besetzen Gebieten zurückzudrängen.
Um den Munitionsbedarf der Ukraine zu decken, schauen sich die EU-Staaten längst auch außerhalb Europas um, treffen aber auch dort auf Zurückhaltung.
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Der Munitionsmangel verschärft die Lage: Die Ukraine muss Artilleriegeschosse rationieren, da sie wesentlich mehr verfeuert, als Europa und die USA nachproduzieren können. Zugleich sind die Vorräte der westlichen Armeen dramatisch geschrumpft, so dass auch aus den Beständen kaum noch etwas geliefert werden kann.
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Forderungen, weitere Granaten auf den vorhandenen Depots freizugeben, treffen innerhalb der europäischen und amerikanischen Streitkräfte zunehmend auf Widerstand. Von einem „Riesenproblem“ ist in Brüssel die Rede.
Erst vor ein paar Tagen hatte die deutsche Wehrbeauftragte Eva Högel (SPD) den teils „erbärmlichen“ Zustand der Bundeswehr kritisiert und das „zu behäbige“ Beschaffungswesen hervorgehoben: „Es dauert alles viel zu lang“, sagte sie.
EU-Staaten sehen sich außerhalb Europas um
Um den Munitionsbedarf der Ukraine zu decken, schauen sich die EU-Staaten längst auch außerhalb Europas um, treffen aber auch dort auf Zurückhaltung. So hat Südkorea zwar große Reserven an Munition vom Kaliber 155 Millimeter, das die Ukraine für ihre vom Westen gelieferten Geschütze benötigt. Doch das Land zögert mit einer Freigabe, nicht zuletzt, da es von Nordkorea bedroht wird.
In Brüssel kursieren Analysen, nach denen die Ukraine derzeit 110.000 Granaten pro Monat verschießt, aber 300.000 pro Monat bräuchte, um bei einer Gegenoffensive erfolgreich sein zu können.
Neben der militärischen Situation wird auch das politische Umfeld zunehmend schwierig. Innerhalb der republikanischen Partei in den USA stößt die umfangreiche Unterstützung der Ukraine immer stärker auf Kritik.
So berichtet das Handelsblatt über den Ukraine-Krieg:
Der mögliche Präsidentschaftskandidat Ron DeSantis, dem gute Chancen eingeräumt werden, bezeichnete den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als einen „Territorialdisput“, der kein „nationales Interesse“ der USA darstelle. Die russische Führung könnte dadurch ermutigt werden, den Krieg trotz hoher Verluste weiterzuführen, um nach einem möglichen Machtwechsel in Washington in einer günstigen Position zu sein.
„Die kommende Offensive der Ukraine ist entscheidend“, sagt ein EU-Diplomat. Ein Scheitern könne dramatische Folgen haben – nicht nur für Ukraine, sondern auch für die Sicherheit Europas.
Mehr: Wie die Nato und EU-Staaten der Ukraine mit Munition helfen wollen
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