Mar 19, 2023
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Rentenproteste in Frankreich: Welche Chancen hat der Misstrauensantrag gegen die Regierung?

Written by Gregor Waschinski

Paris Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire gab sich zuversichtlich: „Es wird keine Mehrheit geben, um die Regierung zu Fall zu bringen“, sagte er der Zeitung „Le Parisien“. Doch die Unsicherheit ist groß nach der Entscheidung von Präsident Emmanuel Macron, seine umstrittene Rentenreform mit einer Sondervollmacht am Parlament vorbei durchzusetzen. Am Montag muss sich seine Regierung in der Nationalversammlung einem Misstrauensvotum stellen.

Acht von zehn Franzosen stellen sich in Umfragen gegen den Einsatz des Verfassungsartikels 49.3, mit dem Macron die schrittweise Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre auch ohne Zustimmung des Parlaments in Kraft setzen will.

Der Ärger über das Vorgehen des Staatschefs entlud sich am Wochenende auf den Straßen von Paris und anderen großen Städten, die Gewerkschaften kündigten eine Fortsetzung der Streiks an. Macrons Regierung steht vor einer Schicksalswoche.

In der Nationalversammlung wurden zwei Misstrauensanträge gestellt, der eine vom rechtsnationalen Rassemblement National (Nationaler Zusammenschluss, RN), der andere von der kleinen Zentrumspartei Liot. Das linke Oppositionsbündnis Nupes will mit dem RN von Marine Le Pen nicht gemeinsame Sache machen, unterstützt aber die Initiative von Liot.

Denkbar wäre, dass am Montagnachmittag auch die rechtsnationalen Abgeordneten am Ende für den fraktionsübergreifenden Antrag der kleinen Zentrumspartei stimmen. Dann kommt es auf die konservativ-bürgerlichen Republikaner an. Macrons Mitte-Bündnis hat seit den Parlamentswahlen im vergangenen Sommer keine eigene Mehrheit mehr.

>> Lesen Sie hier auch: Macron drückt Rentenreform am Parlament vorbei durch – und riskiert politische Krise

Damit der Misstrauensantrag erfolgreich ist, müssen 287 Abgeordnete gegen die Regierung stimmen, die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Alle Oppositionsparteien kommen in der Parlamentskammer zusammen auf 298 Abgeordnete, also ein rechnerischer Vorsprung von elf Stimmen. Doch der Republikaner-Chef Éric Ciotti hat erklärt, dass seine 61 Abgeordnete starke Fraktion keinem Misstrauensantrag zustimmen werde.

Allerdings ist fraglich, ob alle Abgeordneten dieser Linie folgen: Ein Teil der Republikaner hatte sich, entgegen den Wünschen der Parteispitze, bereits der Unterstützung der Rentenreform verweigert, was Macron schließlich zur Nutzung des Artikels 49.3 veranlasste.

Finanzminister Le Maire sagte: „Hoffen wir, dass die Republikaner ihre Orientierung wiederfinden.“ Sollte das Misstrauensvotum Erfolg haben, ist Macron zwar nicht gezwungen, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen. Dieser Schritt gilt dann aber als wahrscheinlich.

Nehmen die Proteste zu – und werden sie gewalttätiger?

Macrons Premierministerin Élisabeth Borne ist sich bewusst, dass Regierungsmitglieder derzeit keine gern gesehenen Gäste sind: Ihr Büro wies die Ministerinnen und Minister an, bis auf Weiteres alle geplanten Reisen im Land auszusetzen. Seit der Rentenentscheidung am Donnerstag kam es nicht nur in Paris zu spontanen abendlichen Protesten.

Brennende Müllberge in Paris

Die Entscheidung von Macrons Regierung bei der Rentenreform hat heftige Proteste ausgelöst.


(Foto: dpa)

Demonstranten zündeten Mülltonnen an und bauten Barrikaden auf. In Lyon drangen Gegner der Rentenreform gewaltsam in ein Bezirksrathaus ein. Die Polizei setzte in mehreren Städten Wasserwerfer und Tränengas ein, Hunderte Menschen wurden festgenommen. Innenminister Gérard Darmanin sagte, dass es an verschiedenen Orten in Frankreich auch Angriffe auf Präfekturen des Staates sowie Wahlkreisbüros von Abgeordneten gegeben habe.

Das Gewerkschaftsbündnis hat für Donnerstag einen weiteren nationalen Protesttag angekündigt. Zu diesen Kundgebungen versammelten sich seit Januar oft mehr als eine Million Menschen landesweit.

„Im Großen und Ganzen bleibt es eine friedliche soziale Bewegung“, sagte der Soziologe Laurent Frajerman, der sich mit der Radikalisierung von Protestbewegungen befasst, dem Nachrichtensender BFMTV. Der Einsatz des Verfassungsartikels 49.3 habe aber „zweifellos eine große Wut hervorgerufen“.

Wird Frankreich jetzt durch flächendeckende Streiks lahmgelegt?

Die Proteste gegen Macrons Rentenreform beeinträchtigen das öffentliche Leben in Frankreich bereits seit Januar: Fernzüge fielen aus, U-Bahnen fuhren unregelmäßig, Schulen und Kindergärten blieben tageweise geschlossen. Lastwagenfahrer blockierten Straßen, die Mitarbeiter der Müllabfuhr erschienen nicht zur Arbeit.

Die Gewerkschaften wollen die Streiks fortsetzen. Besonders groß ist ihr Einfluss beim staatlichen Bahnunternehmen SNCF, aber auch andere Bereiche im Verkehrssektor wie der Nahverkehr und die Flughäfen sind betroffen. Stark befolgt wird der Ausstand auch bei den Energieunternehmen Total Energies und EDF. Die Folge könnten lahmgelegte Raffinerien und eine gedrosselte Stromproduktion in den Atomkraftwerken sein.

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Die Hoffnung der Gewerkschaften ist, dass Macron unter dem Druck der Straße noch einknickt. Als Beispiel nennen sie die geplante Flexibilisierung des Arbeitsmarkts unter Präsident Jacques Chirac im Jahr 2006: Angesichts massiver Proteste gegen einen aufgeweichten Kündigungsschutz bei Erstverträgen für junge Arbeitnehmer zog die damalige Regierung das Gesetz wieder zurück.

Was bedeutet die Rentenkrise für die restliche Amtszeit von Macron?

Nach seiner knappen Wiederwahl im Frühjahr 2022 hatte Macron den Franzosen einen neuen politischen Stil versprochen. „Ich weiß, dass viele Landsleute für mich gestimmt haben, nicht, um mich zu unterstützen, sondern um ein Bollwerk gegen die extreme Rechte zu errichten“, sagt er bei einer Rede am Wahlabend vor dem Eiffelturm. „Ich weiß, dass Ihre Stimme mich für die kommenden Jahre verpflichtet.“

Mit dem Alleingang bei der Rente hat er in den Augen seiner Kritiker aber das Bild des abgehobenen Staatschefs bestätigt. Auch wenn Macrons Regierung das Misstrauensvotum am Montag übersteht, ist die politische Krise noch nicht entschärft. Der Präsident könnte mit einer Regierungsumbildung reagieren und Premierministerin Borne ersetzen.

Doch ohne parlamentarische Mehrheit und nach dem umstrittenen Vorgehen bei der Rente dürfte es für Macron schwierig sein, weitere große Reformprojekte auf den Weg zu bringen. Von der politischen Stimmung könnte vor allem Marine Le Pen profitieren, die in Umfragen zuletzt zulegte.

Die Politikwissenschaftler Bruno Palier und Paulus Wagner vom Thinktank Terra Nova schrieben in einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Analyse, dass der Rentenstreit „die Dynamik des RN nur noch verstärken dürfte“.

Mehr: Marine Le Pen profitiert vom Streit um die Rentenreform



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