Istanbul, Riga Russland und die Ukraine haben sich auf eine Verlängerung des Getreideabkommens um mindestens 60 Tage geeinigt. Das teilte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Samstag mit. Auch die Vereinten Nationen bestätigten die Verlängerung.
Mehr als 800 Schiffe hatten im Rahmen des Abkommens bisher 25 Millionen Tonnen Getreide transportiert. Doch nicht nur die Ukraine profitiert bislang von dem Deal. Auch Russland nutzt das Abkommen zu seinem Vorteil. Der Kreml gibt sich kompromissbereit – nutzt aber die Verhandlungen, um eigene Interessen durchzusetzen.
„Das ist so eine Art Geste guten Willens von Russland in der Hoffnung darauf, dass nach Ablauf so langer Zeit die Bedingungen und Verpflichtungen, die bestimmte Seiten auf sich genommen haben, erfüllt werden“, behauptete Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Doch das entspricht nicht der gesamten Wahrheit.
Sowohl die Ukraine als auch Russland sind wichtige Lieferanten von Weizen, Gerste, Sonnenblumenöl und anderen Nahrungsmitteln für Länder in Afrika, im Nahen Osten und in Teilen Asiens. Vor Kriegsbeginn war Russland außerdem der weltweit größte Exporteur von Düngemitteln. Der Ausfall dieser Lieferungen nach der russischen Invasion im Februar 2022 trieb die Lebensmittelpreise weltweit zeitweise in die Höhe und schürte die Sorge vor einer Hungerkrise in ärmeren Ländern.
Russlands Partner im Nahen Osten und in Nordafrika hätten schon im Juli 2022 bei der Entscheidung über das Abkommen einen wesentlichen Einfluss bedeutet, heißt es in einer Analyse des Carnegie Center „Endowment for International Peace“, einem Thinktank aus Washington.
Außerdem gehören mit Syrien, Ägypten und China Länder zu den Empfängern des Getreides, die offiziell oder inoffiziell im Ukrainekrieg auf Russlands Seite stehen oder zumindest die russische Perspektive dulden.
Ein weiterer Anreiz für Moskau, das Abkommen zu unterzeichnen, war, dass die Freigabe der ukrainischen Häfen auch Hindernisse für Russlands eigene Getreide- und Düngemittelexporte beseitigen wird.
„Die Lockerung der Sanktionen zur Erleichterung russischer Agrarexporte war offiziell kein Teil des Abkommens, wurde aber erfolgreich parallel mit den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union ausgehandelt“, hieß es bereits in der Carnegie-Analyse vom Juli. „Einer der Gründe Russlands für die Freigabe von Getreideexporten ist der Wunsch, die Sanktionen gegen seine Düngemittel aufzuheben“, ergänzte der ukrainische Politologe Wolodimir Fesenko.
Gutes Geschäft für russische Firmen
Das ist auch jetzt der Fall. Denn zusätzlich zum neuen Getreidedeal gab es eine Vereinbarung mit Russland, die den Export russischer Nahrungs- und Düngemittel erleichtern sollte.
Russische Firmen verdienen damit viel Geld. 2022 waren Russlands Einnahmen aus dem Export von Düngemitteln sogar gestiegen, obwohl das Land weniger verkaufen konnte – weil die Preise hoch waren. Das machte den Deal für Russland lohnenswert. Denn nicht nur der Ukrainekrieg hat die Preise etwa für Getreide nach oben schnellen lassen. Auch das Ende der Coronapandemie sorgte für einen Preisschub. Schon vor Ausbruch des Krieges lagen die Getreidepreise rund 50 Prozent höher als in den Jahren davor. Inzwischen liegen die Preise wieder auf Vorkriegsniveau.
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Für den Kreml lohnt sich der Deal ebenso, weil Teile der landwirtschaftlichen Produktion eng mit der Regierung in Moskau verbunden sind. So befindet sich der zweitgrößte russische Getreideexporteur, die Demetra Holding, teilweise im Besitz von Strukturen innerhalb der Marathon-Gruppe. Diese wiederum gehört Alexander Winokurow, dem Schwiegersohn des russischen Außenministers Sergei Lawrow.
Ein weiteres Beispiel ist die Firma N.I. Tkachev. Das Unternehmen ist im Besitz des ehemaligen Landwirtschaftsministers Alexander Tkachev. Und die Eigentümer des Fleischproduzenten Miratorg, die Brüder Linnik, werden mit der Frau des ehemaligen Präsidenten Dmitri Medwedew in Verbindung gebracht.
Auch mehrere russische Banken konnten bisher von der Vereinbarung profitieren, da ihre eingefrorenen Vermögenswerte von der EU teilweise freigegeben worden waren, um Zahlungsverzögerungen für landwirtschaftliche Importe zu vermeiden. Zu diesen Banken gehören die Bank Rossiya, die im Besitz der kremlnahen Unternehmer Yury Kovalchuk und Nikolai Shamalov ist, sowie die Promsvyazbank, die wichtigste Bank des russischen Verteidigungssektors.
Für Moskau stehen wichtige Importe auf dem Spiel
Bereits im November hatte Russland die EU laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters um Sanktionslockerungen für Transaktionen im nicht-sanktionierten Handel für die Russische Landwirtschaftsbank gebeten, um die Lieferung von Getreide und Düngemitteln auf den Weltmarkt zu erleichtern.
Die Bank ist auch unter dem Namen Rosselkhozbank oder RSHB bekannt, sie ist in staatlichem Besitz und war im vergangenen Juni von Swift ausgeschlossen worden. Ob die Bank nun wieder Erleichterungen erhalten hat, ist bislang nicht bekannt.
Die Ernte im Jahr 2022 verlief durch den Getreidedeal nach offiziellen Angaben weitestgehend problemlos – nicht nur für die Ukraine, sondern vor allem auch für Russland. Der nun abgeschlossene Deal sichert nicht nur der Ukraine Planungssicherheit über die Getreideexporte – sondern auch Russland selbst.
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