Mar 21, 2023
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Fraktionsklausur: Grüne unter Druck: Wie die Partei mit ihren Klimaschutz-Plänen Wähler vergrault

Written by Silke Kersting

Berlin Die Bilder aus Weimar sollen eine Botschaft vermitteln: Wir halten zusammen, wir stehen das durch. Zum Auftakt der dreitägigen Grünen-Fraktionsklausur traten nicht nur die beiden Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann vor die Kamera, auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck waren nach Thüringen gereist.

Ein Zeichen sollte gesetzt werden angesichts des heftigen Streits über das Verbrenner-Aus und vor allem angesichts des Ärgers über Habecks Heizungspläne. So sollen in der EU ab 2035 keine Diesel oder Benziner mehr neu zugelassen werden. Und bereits ab dem nächsten Jahr, so ein Referentenentwurf, dürften keine neuen Öl- oder Gasheizungen mehr eingebaut werden.

Kritiker, auch aus der eigenen Koalition, werfen dem Vizekanzler Klimaschutz mit der Brechstange vor.

Der reagierte in Weimar verschnupft: „Es kann nicht sein, dass in einer Fortschrittskoalition nur ein Koalitionspartner für den Fortschritt verantwortlich ist und die anderen für die Verhinderung von Fortschritt“, sagte Habeck mit Blick auf Maßnahmen gegen die Erderwärmung.

Der Ärger schlägt sich auch in Umfragen nieder. Die Grünen lagen in einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Insa mit 15 Prozent zuletzt sogar hinter der AfD, die auf 16 Prozent kam.

>> Lesen Sie hier: Das Klimaschutzgesetz ist eine Fehlkonstruktion

Mit Blick auf die drei in diesem Jahr verbleibenden Landtagswahlen in Bremen, Hessen und Bayern fürchten manche in der Partei schon eine Abrechnung an der Wahlurne.

Parteienforscher: Grüne verabschieden sich von dem Ziel, alle Wählerschichten anzusprechen

Nach Ansicht des Düsseldorfer Parteienforschers Thomas Poguntke nehmen die Grünen sehr große Projekte in Angriff, „die stark in die Lebens- und Vermögensplanung der Bevölkerung eingreifen“. Die beiden größten Vermögensentscheidungen im Leben der meisten Bürger seien das Haus oder die Wohnung und das Auto. „Beides wollen die Grünen massiv verteuern“, sagt Poguntke.

Die Grünen würden damit zwar ihre Kernwählerschaft ansprechen, aber auch „Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung“ machen. „Im Grunde verabschieden sich die Grünen von ihrem Ziel, alle Wählerschichten anzusprechen und zur Volkspartei zu werden“, sagt Poguntke. Vor allem im Lager von SPD und Union könnten die Grünen nicht mehr punkten. Der einst formulierte Regierungsanspruch – auch im Bund – rücke damit in weite Ferne.

Der Ärger in der Bevölkerung bleibt den Grünen nicht verborgen. „Ich habe viele kritische Zuschriften insbesondere von älteren Menschen erhalten“, sagt die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen, Sandra Detzer, zu den Reaktionen auf die Heizungspläne. Deren Ängste aber seien „zum Glück“ unberechtigt. Meist reiche es schon, ihnen zu antworten, dass sie ihre Heizung nicht von heute auf morgen rausreißen müssten.

Regieren bedeute auch nicht, dem Willen von Umfragemehrheiten hinterherzulaufen, sagte Detzer dem Handelsblatt. „Wir halten Kurs“, ist ihre Botschaft vor dem nächsten Treffen der Koalitionspartner. Politik müsse für größtmögliche Planungssicherheit für Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger sorgen. „Sonst setzen wir uns dem Vorwurf aus, keine verlässliche Politik zu machen.“

Die Grünen wurden gerade beim Thema Heizungen auf dem falschen Fuß erwischt. Vielleicht hatten sie die Reaktionen unterschätzt, vielleicht sich zu sicher gefühlt, dass ihre Koalitionspartner SPD und FDP mitziehen würden.

Manch Grüner wittert eine Kampagne

Habeck erinnerte in Weimar daran, dass die drei Koalitionspartner gemeinsam beschlossen hätten, den Gebäudesektor zu dekarbonisieren – also dessen CO2-Ausstoß deutlich zu verringern –, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Tatsächlich heißt es im Koalitionsvertrag: „Zum 1. Januar 2025 soll jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden.“ Es war klar, das dies auf ein De-facto-Verbot neuer Öl- und Gasheizungen hinauslaufen würde.

Vor einem Jahr dann, der Krieg gegen die Ukraine hatte gerade erst begonnen, zog der Koalitionsausschuss diesen Beschluss um ein weiteres Jahr vor, um den Sektor unabhängiger von fossilen Energien zu machen.

Inzwischen liegt ein Referentenentwurf vor, der zwischen den Ressorts allerdings noch nicht final abgestimmt ist. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hat schon grundsätzlich zugestimmt.

Sie verteidigte die Pläne am Sonntag, um die Klimaschutzziele im Gebäudesektor zu erreichen. „Wir können diese Heizungsumstellung nicht auf ewig vor uns herschieben“, sagt die Ministerin im Deutschlandfunk. Ihr Ziel sei es, „dass es ökonomisch sinnvoll ist, sozial ausgewogen ist, niemanden überfordert, aber auch die notwendige ökologische Umsteuerung mit sich bringt“.

Weil hält Einbauverbot neuer Öl- und Gasheizungen ab 2024 für „nicht realistisch“

Doch Geywitz dringt weniger durch als etwa Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der in der „Bild am Sonntag“ ein Einbauverbot neuer Öl- und Gasheizungen ab 2024 als „nicht realistisch“ kritisierte.

Am Ende werde mehr Schaden angerichtet als Nutzen gestiftet. Viele Menschen bestellten jetzt panisch neue Gas- und Ölheizungen, sagte Weil. Und zahlreiche Probleme seien nicht geklärt: „Gibt es genug Installateure? Was ist mit den Menschen, die sich keine Wärmepumpe leisten können?“

>> Lesen Sie hier: Geplantes Gesetz sorgt für Boom bei fossilen Heizungen

Wirtschaftsminister Robert Habeck

„Es kann nicht sein, dass in einer Fortschrittskoalition nur ein Koalitionspartner für den Fortschritt verantwortlich ist und die anderen für die Verhinderung von Fortschritt.“



(Foto: dpa)

Habeck kündigte Kompromissbereitschaft an. Natürlich gebe es wichtige, vernünftige Fragen, sagte er. Würde sich die Debatte darauf konzentrieren, wäre das großartig, so der Vizekanzler. Meist gehe es allerdings darum, „uns mit Vorurteilen zu belegen, die Gesellschaft zu spalten, Klimaschutz zu einem Kulturkampf zu machen und daraus einen parteitaktischen Vorteil zu ziehen“. Das stelle er so nüchtern wie irritiert fest, sagte er.

Manch Grüner empfindet die Negativschlagzeilen geradezu als „Kampagne, die uns schaden soll“, aber nicht ehrlich sei. „Wer kommt auf die Idee, dass wir Politik mit der Brechstange betreiben?“, heißt es. Das sei Quatsch. Von beiden Koalitionspartnern hätten sich die Grünen mehr Rückgrat gewünscht, vor allem aber von den Genossen der SPD.

Grünen-Politikerin Detzer sagt dazu, eine verlässliche Zusammenarbeit in der Koalition sei zwingend darauf angewiesen, dass die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag gelten. Der Kritik, viele könnten sich den Heizungstausch nicht leisten, entgegnet sie, dass dieser gegen künftige Preissteigerungen von fossilen Energien absichere. „Zudem wird es großzügige Zuschüsse geben“, versichert sie.

Göring-Eckardt: „Keiner muss die Heizung rausreißen“

Auch die grüne Bundestagsvizepräsidentin Kathrin Göring-Eckardt verteidigte am Montagabend die Pläne. „Keiner muss die Heizung rausreißen“, sagte sie in der ARD und riet: „Man kann sich auch ein bisschen runterkühlen.“ Manchmal seien es erst die Debatten, die zu einer Verunsicherung der Menschen führten.

Derweil kündigt sich bei den Grünen vor dem Koalitionstreffen auch bei einem anderen Thema Ungemach an. Am Montag sagten Beschäftigte im Lausitzer Braunkohlerevier ein Treffen in Weimar ab. Ein kleiner Eklat.

Die Grünen treten dafür ein, das im Kohleausstiegsgesetz verankerte Datum auf 2030 vorzuziehen. Bisher ist das Ende der Kohlekraftwerke in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt für „spätestens 2038“ geplant. Der Konzernbetriebsrat des Energiekonzerns Leag warf den Grünen vor, sie wollten „ein willkürliches neues Ausstiegsdatum“ setzen.

Dabei war das keine neue Idee und auch im Koalitionsvertrag der Ampel als Ziel genannt. Aber in einer Beschlussvorlage für die Klausurtagung wurde es nun noch einmal deutlich aufgeschrieben. Darin heißt es, dies sei ein „notwendiger Schritt, um die Klimaziele zu erreichen“. Für Westdeutschland ist der Kohleausstieg bis 2030 seit vergangenem Jahr bereits besiegelt.

Dröge nannte die Absage bedauerlich. „Das Gespräch lohnt sich doch gerade dann, wenn es unterschiedliche Perspektiven gibt“, erklärte sie. „Wir wollen Planungssicherheit und Zuverlässigkeit für die Beschäftigten in der Region.“

Mehr: Bericht des Weltklimarats: Bis 2040 könnte das 1,5-Grad-Ziel überschritten werden



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