Berlin Der von den Gewerkschaften angekündigte Großstreik am Montag wird voraussichtlich zu erheblichen Verkehrsbehinderungen in Deutschland führen. Die wirtschaftlichen Schäden dürften sich aber in Grenzen halten. Der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, schätzt die direkten Kosten durch gestrichene Flüge, ausgefallene Bahnverbindungen oder blockierte Häfen auf maximal 181 Millionen Euro.
Das wären nur rund 0,006 Prozent der jährlichen Wertschöpfung der deutschen Wirtschaft. „Der unmittelbare wirtschaftliche Schaden ist aus volkswirtschaftlicher Sicht gering“, sagte Krämer dem Handelsblatt.
Die Gewerkschaften Verdi und EVG haben für Montag angesichts der aus ihrer Sicht unzureichenden Fortschritte in den Tarifrunden für Bund und Kommunen, bei der Deutschen Bahn und anderen Verkehrsunternehmen sowie für Teile des Flughafenpersonals zu einem ganztägigen Warnstreik aufgerufen. In Frankfurt, München und Hamburg wird der Flugbetrieb ruhen, auch der Bahnverkehr wird weitgehend ausfallen. Darüber hinaus sind auch Autobahnen betroffen, etwa Mitarbeiter der Tunnelüberwaschung in Deutschland wurden aufgerufen, ihre Arbeit niederzulegen. Daher könnten etwa diese gesperrt werden. Außerdem sind Häfen von den Streiks betroffen.
Für seine Rechnung hat Commerzbank-Ökonom Krämer die jährliche Bruttowertschöpfung in den Bereichen „Landverkehr und Transport in Rohrfernleitungen“, „Schifffahrt“ und „Luftverkehr“ zugrunde gelegt und ist auf 66 Milliarden Euro gekommen. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2019, jüngere Daten sind durch die Coronapandemie verzehrt.
Auf den Tag gerechnet, sind das 181 Millionen Euro. „Diese werden am Montag allerdings nicht ganz wegfallen, da beispielsweise Taxis und Lastwagen weiter fahren“, erklärte Krämer. Doch selbst wenn man den kompletten Ausfall unterstelle, sei der Effekt im Vergleich zur gesamten Wirtschaftsleistung gering.
Schaden für Image des Wirtschaftsstandorts
Krämer beschreibt nur die direkten Kosten durch den ausfallenden Verkehr. Folgeeffekte sind nicht enthalten. Die hält der Ökonom aber ohnehin für gering: „Wirtschaftlich dürften sich die Verluste auf die Transportwirtschaft begrenzen, weil die Fabriken weiterlaufen und viele Angestellte von zu Hause aus arbeiten werden.“
Öffentlicher Verkehr droht am Montag zusammenzubrechen
Der Ökonom warnt allerdings vor wirtschaftliche Folgen, die nicht so einfach zu beziffern sind. Er befürchtet durch den Streik einen Schaden für das Image des Wirtschaftsstandorts Deutschland. „Wir brauchen keine französischen Verhältnisse.“
Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hält den angekündigten koordinierten Arbeitskampf für völlig überzogen: „Wer so handelt, handelt unverhältnismäßig und gefährdet die Akzeptanz für das Streikrecht“, sagte Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter der Deutschen Presse-Agentur.
Der Kampf um Mitglieder dürfe die Tarifautonomie in Deutschland nicht radikalisieren, mahnte Kampeter. „Ein Blick nach Frankreich zeigt, wohin es führt, wenn man sich auf die schiefe Ebene begibt.“ Generalstreiks für politische Ziele, so wie aktuell in Frankreich, wären in Deutschland allerdings nicht zulässig. Denn das Streikrecht lässt Arbeitskämpfe nur zu, wenn es um tariflich regelbare Ziele geht.
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Auch wenn jetzt alle vom Mega- oder Superstreik redeten, dürfe man nicht vergessen, dass Deutschland im internationalen Vergleich ein eher streikarmes Land sei, schreibt denn auch der Leiter des WSI-Tarifarchivs der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Thorsten Schulten, auf Twitter.
In der Streik-Rangliste vom WSI-Tarifarchiv liegt Deutschland nur im Mittelfeld. Hierzulande fielen in den Jahren 2011 bis 2020 im Durchschnitt 18 Arbeitstage pro 1000 Beschäftigte arbeitskampfbedingt aus. In Belgien und Frankreich waren es jeweils mehr als 90.
Wissing erwägt auf Lkw-Sonntagsfahrverbot zu verichten
Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) konstatiert in seinem jüngsten tarifpolitischen Bericht, dass die Tarifverhandlungen im vergangenen Jahr deutlich harmonischer und weniger konfliktintensiv verliefen als ein Jahr zuvor – trotz öffentlichkeitswirksamer Streiks wie bei den Piloten, den Banken oder in der Metall- und Elektroindustrie.
Der angekündigte Warnstreik am Montag kann auch deshalb eine solche Wirkung entfalten, weil mehrere Tarifverhandlungen parallel stattfinden, die alle auch den Verkehrssektor betreffen.
Um die wirtschaftlichen Folgen so klein wie möglich zu halten, will Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) auf das Lkw-Fahrverbot am kommenden Sonntag verzichten und zugleich Nachtflüge ermöglichen. „Um die Lieferketten möglichst stabil zu halten und die Versorgung nicht zu gefährden, habe ich die zuständigen Länder gebeten, von Kontrollen des Sonntagsfahrverbots für Lkw abzusehen“, sagte Wissing der „Bild“-Zeitung.
Landesluftfahrtbehörden und Flughäfen seien gefordert, verspätete Landungen und Abflüge zu ermöglichen, damit gestrandete Passagiere ihr Ziel erreichen könnten. Der Präsident des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Dirk Engelhardt, hatte zuvor vor einem „Versorgungschaos“ gewarnt, wenn wie geplant auch die Autobahnen von den Streiks betroffen sein sollten.
Dagegen zeigte sich der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbands HDE, Stefan Genth, gelassener. Im Vergleich zur schwierigen Versorgungslage zu Beginn der Corona-Pandemie sei der eintägige Streik eine „verkraftbare Herausforderung“.
Verschärft sich der Arbeitskampf weiter?
Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass sich der Arbeitskampf noch weiter verschärft, wenn auch die dritte Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst keine Einigung bringt. Sie läuft von Montag bis Mittwoch. Sollte ein Streik mehrere Tage andauern und auch die Sperrung von Tunneln beinhalten, dann wäre mit massiven wirtschaftlichen Schäden zu rechnen, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Freitag in Berlin, man wolle sich nicht in die Tarifauseinandersetzungen einmischen. Ziel müsse aber eine tragfähige Lösung sein, um die Auswirkungen des Streiks am Montag nicht zu arg für die Bürger werden zu lassen.
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Verkehrsminister Wissing betonte, Bund und Länder täten „alles, um die Auswirkungen des Streiks auf die Bevölkerung so gering wie möglich zu halten“. Der FDP-Politiker appellierte zugleich an die Tarifparteien alles zu tun, um ein Verkehrschaos zu vermeiden. „Der Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst sollte nicht zu Lasten der Bevölkerung geführt werden.“
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