Berlin „Ich kenne niemand, der ChatGPT noch nicht nutzt“, erzählt die 19-jährige Karina Schiller*. „Etwa für die Hausaufgabe, was eine altertümliche Fabel für uns heute bedeutet, oder für die Übertragung eines Goethe-Gedichts in moderne Sprache. Die Antworten waren meisterhaft“, erzählt die Zwölftklässlerin aus Norddeutschland.
„Ich musste sie nur noch abschreiben – Freunde, die mit Tablets arbeiten, lesen sie einfach direkt daraus vor.“ ChatGPT sei in allen Fächern einsetzbar: „Selbst in Informatik ist es fantastisch, es liefert super Algorithmen.“
ChatGPT ist ein sogenannter Chatbot, ein textbasiertes Dialogsystem, das auf Künstlicher Intelligenz (KI) basiert. Die US-Firma OpenAI veröffentlichte ChatGPT im November 2022. Auch an Deutschlands Schulen und Hochschulen ist das System mittlerweile allgegenwärtig.
ChatGPT kann Gedichte analysieren, Aufsätze und Computerprogramme schreiben oder Texte zusammenfassen.
Der Chatbot liefert in Sekundenschnelle einen Text etwa nach diesen Anweisungen: „schreibe mir einen Text zu Robotern in der Wirtschaft“, „schreibe das wissenschaftlicher“ oder „übersetze es ins Englische“.
ChatGPT: Lehrerverband plädiert für Offenheit an Schulen
Selbst der Ethikrat, der die Bundesregierung berät, attestierte ChatGPT in seiner Stellungnahme zu KI soeben, das System sei „so überzeugend und differenziert, dass sich selbst Antworten auf komplexe Aufgaben wie die Erstellung wissenschaftlicher Hausarbeiten nicht von qualitativ hochwertigen menschlich verfassten Eingaben unterscheiden lassen“.
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Lehrkräfte müssen nun entscheiden: Was sind Noten noch wert, wenn Schüler und Studierende Künstliche Intelligenz für sich arbeiten lassen, und was bedeutet das für den Unterricht von morgen? New York etwa hatte den Zugang von Schulservern zu ChatGPT gesperrt, der deutsche Lehrerverband dagegen plädiert für einen offenen Umgang.
Einige wenige Kultusminister wähnen sich noch sicher: Grundsätzlich könne das Programm zwar Hausaufgaben und Facharbeiten schreiben, heißt es etwa in Niedersachsen. Allerdings habe es noch so große Schwächen, dass es in der Regel von der Lehrkraft als Fremdarbeit erkannt werde oder erkennbar Fehler enthalte, sagt ein Sprecher der niedersächsischen Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne).
ChatGPT erkennen: Niedersachsen vertraut auf Gespür der Lehrer
Schülerin Karina lacht: „Die Lehrer glauben das, aber ich kenne unzählige Fälle, in denen sie keinen Schimmer haben, dass wir die Texte nicht selbst schreiben.“ Die ersten Pädagogen reagieren allerdings: „Unsere Englischlehrerin misstraut schon allen, lässt uns zu Hause nur noch Texte lesen und macht im Unterricht Tests mit Fragen nach dem Inhalt – die muss sie dann allerdings auch noch kontrollieren.“
Während Niedersachsen auf das Gespür der Lehrkräfte vertraut, hat NRW eine Handreichung für Lehrkräfte verfasst: Ein Verbot sei „realitätsfern“, heißt es darin. ChatGPT und Co. – bei den Konkurrenten von OpenAI sind diverse Programme in Arbeit oder schon auf dem Markt – seien Chance und Gefahr zugleich. „Wir möchten Sie daher bitten, sich offen und konstruktiv mit den neuen Möglichkeiten auseinanderzusetzen und diese im Unterricht zu thematisieren“, appelliert Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU).
ChatGPT schreckt die Kultusminister auf
Die Kultusministerkonferenz befasste sich schon Anfang März mit ChatGPT und lud dazu die Kieler Wirtschaftsinformatikerin Doris Weßels ein. Sie plädierte gegenüber dem Handelsblatt eindringlich dafür, diese Technologie „mit ihren Potenzialen in den Unterricht zu integrieren, natürlich unter Berücksichtigung der Risiken“. Denn: „Es hilft nichts, Schule und Hochschule dürfen keine abgeschotteten Universen sein. ChatGPT und vergleichbare KI zwingen uns zu intensiver Selbstreflexion: Wir müssen die heutigen Aufgabenstellungen für Haus- und Studienarbeiten inklusive unserer Prüfungskultur überdenken, auch wenn die daraus resultierenden Veränderungen sehr anstrengend sein werden.“
Aber es mache nun eben keinen Sinn mehr, Schüler Aufsätze über die Habsburger oder seltene Erden schreiben zu lassen, wenn dabei nur Wissen reproduziert werde, sagt Weßels. Um zu verhindern, dass KI die Hausaufgaben macht, „müssen die Themen genügend Raum zur persönlichen Entfaltung geben, damit Schülerinnen und Schüler sich mit ihren Perspektiven und Erfahrungen einbringen können“.
KI-Expertin: Lehrer müssen Schüler für ChatGPT sensibilisieren
Lehrkräfte müssten mit den Schülern die neuen Formen des Lernens in einer Welt mit KI diskutieren und sie für den Einsatz des Bots schulen, meint KI-Expertin Weßels. „Damit sie verstehen, wie solche Programme funktionieren, was sie können und wie man die Ergebnisse kritisch hinterfragt.“ Dafür sei allerdings nicht viel Zeit, „wir können das nicht ein Jahr lang erforschen, wir müssen den Mut aufbringen, das neue Terrain schnell zu erkunden und das Ausprobieren wagen“.
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Für die Hochschulen verweisen die Wissenschaftsminister auf deren Autonomie. „Trotz des bemerkenswerten Fortschritts der KI gibt es derzeit keinen Anlass für Alarmismus“, sagt ihr Präsident Peter-André Alt. Grundsätzlich sei die heimliche Verwendung von KI nach den Studienordnungen verboten. Zudem seien die Leistungen der KI „noch begrenzt“ und ließen sich „noch relativ leicht identifizieren“. Vor allem könne das System keine Quellenangaben liefern.
„ChatGPT hat mir das Kapitel zum Stand der Technik geschrieben“
Das gelte für komplette Arbeiten, nicht aber für Teile, erzählt der Mechatronikstudent Christian Renge*. „Ich habe ChatGPT für eine Arbeit das Kapitel zum Stand der Technik bei Delta-Robotern, also solche mit Armen, die etwa für die Verpackung eingesetzt werden, schreiben lassen. Das war so gut, dass ich es eins zu eins übernehmen konnte.“ Der Student hat sich so die aufwendige Literaturrecherche erspart, er findet das „einfach geil“.
Für seine Bachelorarbeit über Batterien hat ihm ChatGPT die Einleitung formuliert. Um allerdings sicher zu sein, dass der Bot keinen Quatsch schreibe, „musst du dich schon auskennen“, räumt er ein.
Natürlich könne ChatGPT keine echten Quellen angeben, es sei „keine Suchmaschine, sondern ein Textgenerator, der auf Basis statistischer Plausibilität Wortsilben aneinanderreiht“, stellt Weßels klar. Aber: „Der Chatbot erfindet Quellen so gut, dass für Nichtexperten nicht einmal der Verdacht aufkommt, sie könnten falsch sein.“ Daher stelle sich die Frage, ob Schulen oder Hochschulen künftig Software, sogenannte „Detektoren“, einsetzen müssten, um KI-generierte Texte aufzuspüren. Open AI selbst hat das Programm AI Text Classifier veröffentlicht, mit dem man viele, aber nicht alle KI-verfassten Texte entdecken kann.
Ethikrat: ChatGPT erzwingt neue Bildungsdebatte
„Dieses Hase-Igel-Rennen sollten wir vermeiden und unsere Energie besser nutzen, um unsere Didaktik neu auszurichten“, empfiehlt die Informatikerin. Es gelte, Aufgaben zu formulieren, die die Eigeninitiative der Studierenden erfordern: „Projektarbeiten, in denen sie realitätsnahe Probleme lösen.“ Das sei ohnehin motivierender. „So zwingt uns die generative KI, die Pädagogik zu modernisieren, wie wir es längst hätten tun sollen.“ Sie selbst vergebe nur noch Bachelor- und Masterarbeiten, bei denen Studierende ihre Problemlösungskompetenz mit Unternehmen an realen Aufgaben unter Beweis stellen können.
Auch der Ethikrat meint, ChatGPT erzwinge „eine erneute Auseinandersetzung damit, was Bildung ist und sein soll“. Man müsse klären, was relevantes Wissen sei und welche Fertigkeiten und Fähigkeiten Lernende weiterhin benötigten – und welche vielleicht an Relevanz verloren hätten.
* Namen von der Redaktion geändert
<< Den vollständigen Artikel: ChatGPT in Schulen: Wenn der Chatbot die Hausaufgaben schreibt >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.