Berlin Nach acht Jahren verlässt Lothar Wieler am Freitag das Robert-Koch-Institut. Er wechselt zum Hasso-Plattner-Institut nach Potsdam.
Wer am RKI, in der Politik oder in der Wissenschaft nach Wielers Bilanz fragt, hört viel Anerkennung – aber auch Kritik. Die Digitalisierung der Behörde blieb während der Pandemie auf der Strecke, außerdem galt Wielers Verhältnis zu Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) als angespannt. Vorerst leitet Wielers Vize Lars Schaade kommissarisch das Institut.
Gleichzeitig, heißt es unisono, waren Wieler und das RKI während der Pandemie unverzichtbar. Er habe sich „aufgeopfert“, heißt es aus seinem Umfeld. Insbesondere in der Anfangszeit trat der 62-Jährige wöchentlich in der Bundespressekonferenz auf, um die Krise zu erklären. Stets im Anzug referierte er die aktuellen Coronazahlen.
In der Debatte um Schutzmaßnahmen wie Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen vertrat Wieler zudem eine strengere Haltung als manch anderer, was ihm teils scharfe Kritik einbrachte. Nicht nur die FDP forderte seinen Rücktritt, mitunter erhielt er auch Morddrohungen.
An seine Rolle musste sich Wieler erst gewöhnen, vorher stand er kaum je in der Öffentlichkeit. Vor seinem Wechsel zum RKI war er Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Tierseuchen an der FU Berlin gewesen. Wieler studierte in den 1980er-Jahren Veterinärmedizin in Berlin und München.
Wieler modernisierte ein steinzeitliches Institut
Als er im Jahr 2015 an der Spitze des Instituts übernahm, trat er als Erneuerer an. Beschäftigten zufolge war das RKI damals in einer steinzeitlichen Verfassung. Wielers Vorgänger soll sich seine E-Mails noch ausdrucken und vorlegen haben lassen. Im Institut habe eine „Wagenburg-Mentalität“ gegenüber modernen, digitalen Forschungsmethoden geherrscht.
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Zum Antritt habe Wieler viel frischen Wind mitgebracht und versucht, innere Widerstände aufzubrechen. In einem Meeting habe er einmal gesagt, er wolle das Wort Behörde als Entschuldigung für Stillstand nicht mehr hören.
Wieler versuchte, junge Wissenschaftler für das Institut zu gewinnen und die veraltete IT zu modernisieren. Viele Projekte von heute waren damals undenkbar – etwa das Corona-Dashboard des RKI und Echtzeitmonitoring mit Daten von Fachgesellschaften. Zudem baute Wieler ein KI-Zentrum auf.
In der Pandemie aber blieben Modernisierungsprojekte stecken, die Schwächen traten offen zutage, etwa in Form von unvollständigen Pandemiedaten. Das RKI, sagen Kritiker, sei nie über den Status eines Käfer- und Virenzählerinstituts hinausgekommen. Zudem genieße das Institut zwar Ansehen, habe aber weiterhin ein angestaubtes Image. Mitunter fällt es deswegen schwer, Stellen in Bereichen wie der Künstlichen Intelligenz zu besetzen.
Weggefährten sagen zudem, dass Wieler während der Pandemie in ständiger Angst gelebt habe, gefeuert zu werden. „Das Ziel war, dem Gesundheitsminister zu gefallen – und nichts zu riskieren“, heißt es.
Zukunftsängste am RKI
Mit dem früheren Minister Jens Spahn (CDU) habe Wieler gut zusammengearbeitet, mit Lauterbach aber änderte sich die Lage offenbar schlagartig. Der SPD-Politiker habe sich als studierter Mediziner und Gesundheitsökonom teils besser ausgekannt als Wieler. Zudem habe Lauterbach den Institutschef gern einmal übergangen und sich bei RKI-Forschern persönlich gemeldet, wenn ihn etwas interessierte.
Vor mehr als einem Jahr knirschte es zwischen Lauterbach und Wieler dann auch öffentlich. Wielers Institut pochte in Empfehlungen auf „maximale Kontaktbeschränkungen“, während Bund und Länder deutlich weniger scharfe Maßnahmen erwogen. Wenige Wochen später verkürzte Wielers Institut dann den Zeitraum für den Genesenenstatus überraschend von sechs auf drei Monate, was eine Welle der Kritik auslöste.
Wieler verlässt ein Institut mit ungewisser Zukunft. Weder seine Nachfolge ist geklärt noch die Aufgaben, die es künftig übernehmen soll. Minister Lauterbach plant ein neues Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit, das neben dem RKI agieren soll.
„Wieler haben wir exzellentes Krisenmanagement und exzellente Kommunikation in der größten Gesundheitskrise des Jahrhunderts zu verdanken“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen.
Nichtsdestotrotz habe Deutschland versäumt, ein „wettbewerbsfähiges Public-Health-Institut nach internationalem Vorbild aufzubauen“. Wenn die Struktur stehe, werde Wielers Nachfolge geklärt. Am Institut gibt es deswegen, so beschreiben es Mitarbeiter, Ängste vor einem Bedeutungsverlust.
Wieler wiederum dürfte der Abschied nicht schwerfallen. Das politische Geschäft habe ihn ermüdet, heißt es. Es war immer klar, dass er was anderes machen würde, wenn die Pandemie zu Ende gehe. Am Hasso-Plattner-Institut wird er Sprecher des neuen Clusters „Digital Health“, in dem es um die Digitalisierung von Medizin und Gesundheitswesen geht.
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