Apr 4, 2023
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Friendshoring: Lula 100 Tage im Amt: Deutsche Industrie setzt auf Comeback Brasiliens

Written by Alexander Busch

Belo Horizonte Ende März machten die Kurse an der brasilianischen Börse einen Sprung. Auch der brasilianische Real gewann an Wert. Die Regierung hatte neue Regeln für den Staatshaushalt angekündigt. Bis 2026 will sie mehr einnehmen als ausgeben. Der Ökonom Samuel Pessôa, sonst eher kritisch gegenüber der ausgabefreudigen Linksregierung, sagt: „Lula hat nun die Voraussetzungen geschaffen, dass sich das Unternehmerklima deutlich verbessern kann.“

Luiz Inácio Lula da Silva regiert das Land seit rund 100 Tagen. Eigentlich gilt er nicht als Mann der Wirtschaft. Aber die Hoffnungen sind groß, dass Brasilien unter Lula einen Aufschwung erfährt und für westliche Unternehmen interessant wird, die nach Alternativen zu China suchen.

„Die Regierung will Brasilien wieder als Industriestandort stärken“, sagt Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Russwurm war kürzlich bei den Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstagen in Belo Horizonte. „In Brasilien passieren gerade viele spannende Dinge gleichzeitig“, sagte er dort dem Handelsblatt. Das Land habe eine gute Chance, die Weichen für eine erfolgreiche Entwicklung zu stellen, und stoße dabei auch international auf viel Aufmerksamkeit.

Lulas Strategie: Er will eine neue Industrialisierung anstoßen. Als er vor 20 Jahren zuletzt regierte, betrug der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt noch knapp 18 Prozent. Jetzt sind es noch elf Prozent.

Auch deutsche Unternehmen reduzierten ihr Engagement in Brasilien. Das Land habe sich durch Zölle zunehmend abgeschottet, sagt Russwurm. Und der brasilianische Markt sei nicht ausreichend gewachsen.

Autobauer verloren das Interesse

Für die Autoindustrie war Brasilien zwischenzeitig einer der wichtigsten Standorte weltweit. Mittlerweile sind in Brasilien hergestellte Fahrzeuge immer weniger wettbewerbsfähig. Die Präsenz der deutschen Autobauer stagniert, die Kapazitäten sind nur knapp zur Hälfte ausgelastet.

Der Anteil von Software in Autos nehme stark zu, sagt Russwurm. Da mache es keinen Sinn, den eigenen Softwarecode in Brasilien zu entwickeln, statt auf globale Plattformen zu setzen. „Je mehr Skaleneffekte eine Rolle spielten, umso weniger funktioniert das jetzige Modell, das massiv auf lokale Wertschöpfung drängt.“

BDI-Präsident Siegfried Russwurm und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Belo Horizonte

Deutschlands Wirtschaft sucht die Zusammenarbeit mit Brasilien.

(Foto: dpa)

Noch ist dieser Trend nicht gestoppt. Gerade hat etwa Morgan Stanley die diesjährigen Wachstumsaussichten für Brasilien auf ein Prozent gesenkt. Einer der Gründe dafür ist, dass Lula immer wieder die Konfrontation mit der Zentralbank sucht. Er will eine Zinssenkung, die Zentralbank beharrt aber auf ihrer Unabhängigkeit. Die Meinung der Finanzmärkte scheint Lula oft egal zu sein.

>> Lesen Sie hier: Mehr als 100 Prozent Inflation in einem Jahr: Argentinien findet keinen Weg aus der Preiskrise

Es sei entscheidend, dass die Regierung jetzt besonnen und entschlossen handele, um die Rückschläge der vergangenen Jahre zu überwinden, sagt Russwurm, der Mitglied des Vorstands der Siemens AG war und heute die Aufsichtsräte von Voith und Thyssen-Krupp leitet. Dann sei er zuversichtlich, dass der Prozess umgedreht werden kann.

Die Neuorientierung des Westens hilft dabei. Multinationale Konzerne ziehen derzeit Investitionen aus China ab und verlagern sie in westliche Staaten. „Friendshoring oder nearshoring sind bereits Realität“, sagt Marc Melino, globaler Direktor für multinationale Unternehmen bei Citi. Brasilien profitiere davon bereits jetzt neben Mexiko am stärksten in Lateinamerika. „Brasilien ist ein befreundetes Land, und das ist derzeit wichtig als Standortfaktor.“

Geschäfte mit China und dem Westen

Gleichzeitig steht das Land aber auch im regen Austausch mit China und kann vom Wachstum dort profitieren. „Sind Sie optimistisch für China? Dann kaufen Sie Brasilien“, sagte US-Finanzinvestor Rajiv Jain den Börsenexperten von Themarket aus Zürich. Jain hat mit seinem Investmentfonds GQG rund zehn Milliarden Dollar in brasilianische Aktien investiert, darunter als einer der größten Einzelinvestoren bei Petrobras. Auch die Morgan-Stanley-Analysten sehen Chinas Erholung als stabilisierend für Brasiliens Wirtschaft.

Zwar gebe es „viel politischen Lärm“ in Brasilien, meint Jain. Lula sei jedoch pragmatisch. Zudem seien die Fundamentaldaten Brasiliens überzeugend: Das Bankensystem sei solide, die Inflation niedriger als in Europa oder den USA.

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Brasilien habe industrielles und marktwirtschaftliches Denken nie völlig aufgegeben, sagt Russwurm. „Qualitativ finden Sie hier Technologiekompetenz und Menschen, die versiert und kreativ sind – auf Augenhöhe mit Standorten in anderen Ländern“, sagt der 59-jährige promovierte Ingenieur. „Es ist ein Land, das Exportchancen in Verbindung mit moderner Technologie sieht und das natürliche Ressourcen hat, von denen viele nur träumen.“

Bei den Auslandsinvestitionen lässt sich das wachsende Vertrauen in Brasilien ablesen: Letztes Jahr investierten ausländische Konzerne rund 80 Milliarden Dollar in Brasilien. Damit war Brasilien die Nummer vier weltweit als Standort. Dieses Jahr sollen es erneut 70 Milliarden Dollar werden, so JP Morgan.

Handelsabkommen könnte einen Schub geben

Eine ganze Reihe von Rahmenbedingungen spreche für Brasilien, sagt Russwurm. „Es ist eine stabile Demokratie, wenn auch mit großen Pendelschwüngen.“ Das Risiko werde bei Investitionen mittlerweile immer mitbedacht. „Unternehmen legen nicht mehr alle Eier in einen Korb, sondern stellen sich in ihren Lieferketten und Wertschöpfungsverbünden breit auf.“

Für die brasilianische Wirtschaft gehe es nun darum, mehr Wertschöpfung ins Land zu holen. Eine Chance dafür sei das Abkommen über die EU-Mercosur-Freihandelszone. Unter Lulas Vorgänger, dem Rechtsextremen Jair Bolsonaro, konnte sich die EU nicht dazu durchringen, das Abkommen zu ratifizieren. Entscheidet sie sich nun dafür, würde Brasiliens Industrie von den verbilligten Importen an Kapitalgütern profitieren. In den anderen Mercosur-Ländern Argentinien, Paraguay und Uruguay spielt die Industrie eine weniger wichtige Rolle.

Russwurm hofft, dass Europa und der Mercosur in den nächsten Monaten das Abkommen in Kraft setzen. Es ließen sich 85 Prozent der europäischen Ausfuhrzölle in die Region und damit jährlich mehrere Milliarden Euro Abgaben für Unternehmen vermeiden. Den Bedenken in Europa käme man entgegen, mit hohen Standards bei Umweltschutz und Arbeitnehmerrechten.

Zudem verpflichte man die südamerikanischen Länder, das Pariser Klimaschutzübereinkommen wirksam umzusetzen. Russwurm mahnt: „Wir dürfen die Chance nicht verpassen, eines der wichtigsten Projekte auf unserer bilateralen Handelsagenda umzusetzen.“

Mehr: Brasiliens Außenminister: Freihandelsvertrag mit EU im Sommer unterschriftsreif



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