Jan 7, 2023
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Robert Halver im Interview | ideas Magazin

Written by pinmin


ideas: Herr Halver, ein turbulentes Börsenjahr liegt hinter uns. Wie ist Ihr Fazit zu 2022?
Robert Halver: Viele Krisen auf einen Schlag wie höchste Inflation, ein Renten-Crash im Rekordtempo oder Krieg in Europa haben mir vor Augen geführt, dass die uns bislang bekannte heile (Finanz-)Welt nicht in Stein gemeißelt ist. Immerhin sorgt vieles, was bislang Gegenwind verursachte, zukünftig für Rückenwind. Hurra, wir leben noch!

Neben dem Krieg in der Ukraine waren vor allem die hohe Inflation und infolgedessen die massiven Leitzinserhöhungen von EZB und Fed ein Bremsklotz für die Aktienmärkte. Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass die Notenbanken im Jahr 2023 den Fuß vom »Zinserhöhungspedal« nehmen?
2022 mussten wir erkennen, dass Zinsen die natürlichen Feinde von Aktien sind. Aber in Amerika fällt die Inflationsrate bereits. Ab Frühjahr lässt insbesondere der Basiseffekt ansteigender Rohstoffpreise von 2022 immer stärker nach. Die Fed wird daher die Zinsschraube nicht überdrehen und die Liquiditätsverknappung nicht überreizen, um kein »hard landing« der Konjunktur zu riskieren. Damit wird die Zinsangst wieder abnehmen.
Die EZB bleibt ein »Softie«. Zunächst weist sie darauf hin, dass der Inflationsgipfel bald erreicht ist. Gegen scharfe Zinssteigerungen sprechen aber auch ihre Zusatzaufgaben, die teilweise in Konkurrenz zur Inflationsbekämpfung stehen. So sieht sie sich als »Finanzpartner« der grünen Transformation, des Ausbaus der Digitalisierung sowie der infrastrukturellen Erneuerung. Und unbedingt will sie die Stabilität der Eurozone wahren. Insgesamt werden Leitzinserhöhungen und der Liquiditätsabzug 2023 homöopathisch erfolgen. Die Leitzinswende könnte im Frühjahr bei rund 3 Prozent enden. Auch die Renditen der europäischen Staatsanleihen werden vergleichsweise niedrig bleiben. Grundsätzlich bleibt Zinssparen nach Inflationsabzug, also real, unattraktiv.

Besonders gelitten haben im abgelaufenen Jahr die Tech-Aktien, denn Anleger bevorzugten eher Aktien etablierter Unternehmen. Kann im neuen Jahr den Wachstumswerten ein Comeback gelingen?
Den früher teuren Tech-Aktien kommen die abnehmenden Zinsängste überproportional zugute. Ohnehin sind ihre Rekordgewinnbewertungen weitgehend abgebaut. Insbesondere aber sind viele Unternehmen in ihren Bereichen oft Monopolisten mit hoher Preissetzungsmacht. Und Digitalisierung, Datenspeicherung in der Cloud, 5G-Ausbau und Automatisierung von Industrieprozessen bleiben nachhaltige Megathemen, die schon aus Gründen der ständigen weltweiten Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit verlässliche Geschäftsmodelle sind. Die teilweise heftigen Kostensenkungsmaßnahmen wie Freisetzungen sollten an der Zukunftsfähigkeit zweifeln lassen. Sie dienen der kräftigen Aufbesserung der Margen. Allerdings ist die frühere allgemeine Euphorie einer deutlich kritischen Substanzbetrachtung gewichen: »Nur die Harten kommen in den Garten.«

Werfen wir einen Blick nach Deutschland. Hier haben nicht nur private Haushalte, sondern auch Unternehmen mit den immer höher werdenden Kosten für beispielsweise Energie zu kämpfen. Trauen Sie der Politik zu, wirksam gegen dieses Problem anzukämpfen, und wie schätzen Sie die Zukunft des deutschen Aktienmarkts ein?
Immerhin sind in Deutschland in etwa vier Monaten vier LNG-Terminals in Betrieb. Damit wären theoretisch insgesamt ca. 30 Prozent des deutschen Verbrauchs abgedeckt bzw. ungefähr 50 Prozent der russischen Vorkriegsgaslieferungen ausgeglichen. Wir brauchen praktisch aber ausreichend Flüssiggas. An diesem Punkt ist die deutsche Energiepolitik allerdings noch nicht, die dringend alle verfügbaren Quellen nutzen sollte, damit Energiesicherheit zu akzeptablen Preisen möglich ist.
Deutsche Aktiengesellschaften generieren immer mehr Umsätze und Gewinne außerhalb Europas. Sie können also vor den heimischen Energie- und Wirtschaftsrisiken zunehmend fliehen. In diesem Zusammenhang sollten Anleger die Schwächen des deutschen Wirtschaftsstandorts nicht auf seine börsennotierten Aktien übertragen.
Unabhängig davon ist jede Lockerung der chinesischen Null-Covid-Strategie gut für die Weltkonjunktur und die deutsche Exportwirtschaft. Überhaupt kommt konjunkturabhängigen Unternehmen, die im Infrastrukturgeschäft tätig sind, der dramatische Investitionsrückstand der vergangenen drei Jahre wegen Corona und des Ukraine-Kriegs zugute.
Nicht zuletzt wird im Jahr 2023 mit schätzungsweise rund 54 Milliarden Euro ein neuer Dividendenrekord der im DAX vertretenen Konzerne erzielt. Aus dem früheren Zubrot ist längst eine sättigende Mahlzeit geworden.

Viele unserer Leser kennen Sie aus Fachzeitschriften oder Finanzsendungen und nutzen Ihre Analysen als Informationsquelle. Wie informieren wiederum Sie sich als Experte über das aktuelle Marktgeschehen, um sich eine fundierte Meinung zu bilden?
Klassische Medien liefern eher Allgemeines. Es geht aber um die Feinheiten, das »Eingemachte«. Daher baue ich mir seit langem ein Netz an »Informanten« auf. Es ist wichtig, zum Beispiel von US-Amerikanern direkt etwas über ihre Wirtschaft zu erfahren. Und auf China und Asien kann man nicht durch die deutsche Brille blicken. Man braucht Einheimische, Native Speaker, die die Seele und Rahmenbedingungen ihres Landes kennen. Und der ein oder andere politische Kontakt kann auch bei der Deutschland- und Europa-Analyse nicht schaden. Ich nenne dies meine »Straßenanalyse«.

Seit einiger Zeit sind Sie auch mit einem eigenen YouTube-Kanal »on air«. Was fasziniert Sie an YouTube und welche Zielgruppe möchten Sie mit Ihren Videos erreichen?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man mit einfacher Sprache und klarer Meinung bei der noch nicht börseninteressierten Zielgruppe punktet. Gedrechselte Episteln und Schönrednerei sind ohnehin nicht mein Ding. Zur Verbreitung dieser Botschaften helfen Social Media mit ihrer großen Reichweite enorm. Vor allem geht es mir darum, die Aktienkultur populärer zu machen. Denn mit den immer noch niedrigen Zinsen, die von der Inflation förmlich aufgefressen werden, ist in puncto Altersvorsorge kein Blumentopf zu gewinnen.

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Schneider.



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