Stärkster Auftakt seit 1977, Analyse zum Anleihemarkt von Kai
Johannsen
Frankfurt (ots) – So mancher Börsianer dürfte sich am Freitagmittag verwundert
die Augen gerieben haben. Denn all diejenigen Börsenakteure, die sich nicht
gerade im ruhestandsfähigen Alter befinden oder auf jenes so langsam zusteuern,
haben einen derartigen Jahresstart an den Bondmärkten noch nicht miterlebt – den
besten seit fast einem halben Jahrhundert.
Die zehnjährige Bundrendite lag mittags bei 2,3 Prozent und hatte damit seit dem
Wochenbeginn fast 30 Basispunkte (BP) verloren. Doch es standen ja noch die
US-Arbeitsmarktdaten und damit weiteres Renditeabwärtspotenzial bevor. Nach der
Vorlage des monatlichen Daten-Highlights aus den USA ging es gemessen am
Tagestief der zehnjährigen Bundrendite von 2,19 Prozent nochmals um gut 10 BP
nach unten. Mit diesem Renditerückgang markierte die zehnjährige Bundesanleihe
laut Datenhistorie von Refinitiv die stärkste Jahresauftaktwoche seit 1977!
Seinerzeit handelten die heutigen Benchmarkpapiere der Eurozone noch in D-Mark,
und diese Währung kennt mancher “Banklehrling” von heute auch nur noch von
Erzählungen oder aus dem Geschichtsbuch.
In den USA entstanden im Dezember 223000 neue Stellen außerhalb der
Landwirtschaft, wie die Regierung in Washington mitteilte. Von Reuters befragte
Ökonomen hatten lediglich 200000 neue Jobs auf dem Zettel. Allerdings waren die
Erwartungen von so manchen Volkswirt kurzfristig noch auf 220000 nach oben
angehoben worden, die Abweichung war somit doch nicht mehr so groß. Die Werte
für die Monate November und Oktober wurden nach unten revidiert. Die
Arbeitslosenquote fiel auf 3,5 von 3,6 Prozent im November.
Starke Beachtung fand am Markt offensichtlich aber, dass der Lohndruck nachließ:
Die Stundenlöhne stiegen nur um 0,3 Prozent, mancher hatte hier 0,4 Prozent und
mehr erwartet. Das befeuerte im Handel Spekulationen: Wenn es keinen so starken
Lohndruck gibt, dann verliert das Inflationsgespenst, das die Märkte praktisch
im gesamten Vorjahr unter Druck gesetzt hatte – es gab einen enormen
Renditeanstieg – so langsam seinen Schrecken. Und dann kann die Federal Reserve
ihr Zinserhöhungstempo Anfang Februar womöglich sogar noch weiter drosseln, so
die Lesart an den Märkten. Nun gut – die weiteren Daten werden es zeigen.
Allerdings blieb unter dem Strich festzuhalten, dass die jüngsten
US-Beschäftigtendaten ins Bild passten: nachlassender Inflationsdruck. Das
hatten in der abgelaufenen Woche auch schon die Importpreise unterstrichen. Ein
Rekordrückgang der Preise für Importe gab es in Deutschland zu vermelden. Die
Einfuhren verbilligten sich im November um 4,5 Prozent gegenüber Oktober – einen
Preisrückgang in dieser Dimension hatte es bisher noch nicht gegeben, hielt das
Statistische Bundesamt fest. Ökonomen hatten lediglich mit einem Rückgang der
Preise von 1,6 Prozent gerechnet.
Auch an anderen Punkten der Zinskurve des Bundes gingen die Renditen in den
ersten Handelstagen des neuen Jahres – mit Ausnahme der Verschnaufpause am
Donnerstag – auf Tauchstation. Bei der 30-jährigen Bundrendite kam mit einem
Tagestief von 2,06 Prozent die Zweiprozentmarke wieder in Sichtweite. Die
Bundrenditekurve ist vollkommen invertiert. Der Markt preist seit geraumer Zeit
Rezession ein.
Aber nicht nur am Sekundärmarkt der Bundesanleihen oder bei Inflationsdaten
wurden historische Werte erreicht, sondern auch am Bondprimärmarkt wurden
Meilensteine in der ersten Handelswoche 2023 gesetzt. Regierungen und
Unternehmen aus den Emerging Markets verkauften Bonds für rund 28 Mrd. Dollar –
so viel wie nie zuvor. Offenkundig nutzten die Adressen die aktuell gute
Stimmung am Markt, um gleich mal ein paar Papiere loszuschlagen. Das lief
offenbar sehr gut. Bemerkenswert ist dies auch aufgrund des Umstandes, dass in
der ersten Handelswoche eines neuen Jahres weite Anlegerkreise üblicherweise
noch im verlängerten Weihnachts- bzw. Silvesterurlaub sind. Die Nachfrage ist
dann meistens recht mau. Dass dies derzeit nicht so ist, stellte auch das
Segment der grünen Anleihen unter Beweis. Von der grünen Insel kam ein Green
Bond über 3,5 Mrd. Euro, der auf ein Orderbuch von mehr als 35 Mrd. Euro traf.
Die Iren realisierten an nur einem Tag der ersten Handelswoche rund die Hälfte
ihres diesjährigen Refinanzierungsbedarfs. Da hat sich so mancher Börsianer wohl
auch verwundert die Augen gerieben.
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