Jan 23, 2023
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Paris und Berlin wollen EU bei Verteidigung und Industrie stärken

Written by pinmin


– von Andreas Rinke

Paris (Reuters) – Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordern eine selbstbewusstere Rolle der EU in der Welt.

“Womöglich stehen wir vor einer noch viel größeren Zeitenwende. Einer Zeitenwende hin zu einer multipolaren Welt, der wir nicht mit dem Rückzug ins nationale Schneckenhaus begegnen können”, sagte Scholz am Sonntag in Paris bei der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages (Elysee-Vertrag). Man könne sich “kein kleines, verzagtes Europa” mehr leisten, das sich nationalen Egoismen hingebe und Gräben aufreiße zwischen Ost und West, Nord und Süd. Ähnlich äußerte sich Macron. Beide betonten, die EU werde ihre Unterstützung für die Ukraine gegen den russischen Angreifer fortsetzen. “Putins Imperialismus wird nicht siegen”, sagte Scholz. Zusagen etwa für Panzerlieferungen machten beide aber nicht.

In einer gemeinsamen Erklärung nach dem Treffen beider Kabinette heißt es: “Die Stärkung der europäischen Verteidigungskapazitäten ist von entscheidender Bedeutung.” Ausdrücklich bekennen sich die Regierungen zur Entwicklung eines gemeinsamen Kampfpanzers. Nach Vorbild der Ende 2022 erzielten Vereinbarung über den nächsten Schritt beim künftigen Luftkampfsystem (FCAS) solle es Fortschritte “in demselben Geist” bei dem Bodenkampfsystem (MGCS) geben. Eine Zusammenarbeit beim Aufbau eines gemeinsamen europäischen Raketenabwehrschirms wird dagegen nicht erwähnt.

Die Bundesregierung akzeptierte in der gemeinsamen Erklärung, dass die Erneuerbaren Energien zwar “drastisch” ausgebaut und die Kernfusions-Forschung fortgesetzt werden sollen. In der Debatte über die umweltfreundliche Erzeugung von Wasserstoff heißt es mit Blick auf die französische Atomenergie aber: “Wir werden außerdem sicherstellen, dass sowohl erneuerbarer als auch kohlenstoffarmer Wasserstoff bei den europäischen Dekarbonisierungszielen berücksichtigt werden kann.” Zudem wurde ein neues bilaterales Forschungsprogramm zu neuen Batterietechnologien angekündigt, mit dem beide Länder “eine globale Führungsrolle” einnehmen wollen.

Scholz und Macron betonten das Ziel, dass Europa auch technologisch souveräner werden und eine Antwort auf die US-Subventionen für klimafreundliche Technologien finden müsse. Beide forderten in diesem Zusammenhang eine Lockerung der EU-Beihilferegeln und einen Abbau von Bürokratie.

Zu den Feierlichkeiten waren die Kabinette und Parlamente beider Länder zusammen gekommen. Der Kanzler spielte in seiner Rede Differenzen zwischen Paris und Berlin herunter. “Der deutsch-französische Motor ist eine Kompromissmaschine – gut geölt, aber zuweilen eben auch laut und gezeichnet von harter Arbeit”, betonte er. “Seinen Antrieb bezieht er nicht aus süßem Schmus und leerer Symbolik. Sondern aus unserem festen Willen, Kontroversen und Interessenunterschiede immer wieder in gleichgerichtetes Handeln umzuwandeln.”

Es sei normal, dass es wegen unterschiedlicher Strukturen der Politik und Wirtschaft sowie anderen historischen Erfahrungen immer wieder Differenzen zwischen beiden Ländern gebe, fügte der Kanzler mit Blick auf Meinungsverschiedenheiten etwa in der EU-Finanz- und Industriepolitik hinzu. Gerade deshalb seien Lösungen aber auch für andere in der EU akzeptabel. In mehreren Reden in einem Festakt an der Pariser Sorbonne-Universität wurde die Aussöhnung beider Länder nach dem Zweiten Weltkrieg gelobt. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte vor wenigen Tagen in Berlin davor gewarnt, dass zwei Staaten die EU führen wollten.

Der deutsch-französische Ministerrat hatte eigentlich schon im Herbst stattfinden sollen, war aber verschoben worden. Die Bundesregierung hat nur mit Frankreich Treffen der gesamten Kabinette beider Länder vereinbart. Das gesamte Bundeskabinett war bis auf Arbeitsminister Hubertus Heil nach Paris geflogen.

Deutschland will im Herbst 2023 die Kabinette beider Länder zu einer breiter angelegten Klausurtagung einladen.

(Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)



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