WASHINGTON (dpa-AFX) – Zum ersten Mal seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist deren Präsident Wolodymyr Selenskyj ist Ausland gereist – und zwar in die USA, um dort US-Präsident Joe Biden zu treffen. Im Vorfeld wurde bekannt, dass die USA dabei die Lieferung neuer Flugabwehrsysteme vom Typ “Patriot” freigeben werden. Ziel des Besuchs in Washington sei die Stärkung der Stabilität und Verteidigungsfähigkeit der Ukraine, betonte Selenskyj. Er wollte auch eine Rede vor dem US-Kongress halten. Der Kreml warnte vor einer Verschärfung des Konflikts.
Russland kritisierte die USA-Reise Selenskyjs und die angekündigten neuen Waffenlieferungen. “Das alles führt zweifellos zu einer Verschärfung des Konflikts und verheißt an sich nichts Gutes für die Ukraine”, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Er erwarte nicht, dass Selenskyj nach seiner Reise verhandlungsbereiter gegenüber Moskau sein werde. Parallel zu Selenskyjs Flug in die USA sprach Russlands Präsident Wladimir Putin in Moskau bei einer erweiterten Sitzung des Verteidigungsministeriums. Dabei gab er sich siegessicher. “Ich bin sicher, dass wir Schritt für Schritt alle unsere Ziele erreichen”, sagte Putin.
Seit Kriegsbeginn am 24. Februar hatte Selenskyj sein Land nicht verlassen. Für Auftritte auf der politischen Weltbühne – etwa beim G7-Gipfel im bayerischen Elmau – ließ er sich stets digital aus der Ukraine zuschalten. Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sprach Selenskyj in einem Schreiben “Respekt und Bewunderung für seine außergewöhnliche Führungsstärke” aus. Der Kampf der Ukraine sei der Kampf für die Demokratie selbst. Selenskyj hatte bereits im März eine Videoansprache vor dem US-Kongress gehalten. Damals forderte er die Einrichtung einer Flugverbotszone zum Schutz der Ukraine.
Die frühere Sowjetrepublik hatte wegen der russischen Raketenangriffe auf ihre Städte und Energieversorgungs-Infrastruktur um weitere Flugabwehrsysteme gebeten. Die USA unterstützen das Land seit Ausbruch des Krieges mit milliardenschweren Militärhilfen. Biden wollte am Mittwoch ein weiteres Militärhilfe-Paket in Höhe von knapp zwei Milliarden US-Dollar ankündigen, wie ein hochrangiger Vertreter der US-Regierung mitteilte. Dieses werde auch das Patriot-Flugabwehrsystem enthalten.
Das Luftverteidigungssystem dürfte die Karten in dem Krieg nach Überzeugung von Experten neu mischen. Es kann Flugzeuge, Marschflugkörper, Drohnen und Raketen in Entfernung von etwa 100 Kilometern und bis in Höhen von 30 Kilometern abwehren. Der US-Regierungsvertreter sagte, die ukrainischen Streitkräfte würden in einem Drittland ausgebildet. Weitere Angaben dazu machte er nicht. Naheliegend ist, dass ukrainische Soldaten – wie auch bei anderen Waffensystemen schon praktiziert – in Deutschland ausgebildet werden, beispielsweise auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern.
Moskau warnte Washington schon vergangene Woche vor einer Patriot-Lieferung, nachdem es Berichte über entsprechende Pläne der US-Regierung gegeben hatte: Wie andere schwere Waffen auch würden diese Komplexe für die russischen Streitkräfte zu “rechtmäßigen vorrangigen Zielen”, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. Die US-Regierung liefert bereits Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars und das Flugabwehrsystem Nasams in die Ukraine.
“Wir sind nicht auf einen direkten Krieg mit Russland aus”, sagte der US-Regierungsvertreter. Und daran werde sich auch mit Selenskyjs Besuch und der Lieferung der Patriot-Batterie nichts ändern. “Es geht darum, eine Botschaft an Putin und an die Welt zu senden, dass Amerika für die Ukraine da sein wird, solange es nötig ist.” Der Besuch sei auch eine gute Möglichkeit für den ukrainischen Präsidenten, sich an das amerikanische Volk zu wenden.
Am Dienstag hatten sich Republikaner und Demokraten im US-Kongress auf einen Haushaltsentwurf geeinigt, der auch milliardenschwere Militärhilfen enthält. Das Paket mit einem Volumen von 1,7 Billionen US-Dollar (1,6 Billionen Euro) sieht unter anderem 44,9 Milliarden US-Dollar Hilfen für die Ukraine vor. Rund 19 Milliarden davon sind allerdings dafür vorgesehen, die Munitionsbestände und Lager des US-Militärs nach den Transfers an die Ukraine wieder aufzufüllen sowie für die Finanzierung zusätzlicher Aufwendungen der US-Truppen in Europa.
Es ist nun Selenskyjs zweiter Besuch im Weißen Haus seit dem Amtsantritt von Biden. Zuletzt hatte Biden ihn im Sommer 2021 in Washington empfangen. Die US-Regierung hatte früh öffentlich vor einem Angriffs Russlands auf die Ukraine gewarnt und sich dabei auf Geheimdienstinformationen berufen. Seit dem Einmarsch in die Ukraine haben die USA und ihre Verbündeten Russland mit harten Sanktionen belegt.
Dem Weißen Haus zufolge sprachen Biden und Selenskyj während eines Telefonats Mitte Dezember erstmals über einen möglichen Besuch in Washington. Später sei dann eine offizielle Einladung erfolgt./trö/DP/he
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