Oct 10, 2022
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Außenwirtschaft: Kanadas Konjunktur ist auf Talfahrt – Ökonomen erwarten Rezession trotz Energiereichtum

Written by Claudia Scholz


Toronto Wirtschaftsexperten gehen derzeit von einem wirtschaftlichen Abschwung in Kanada aus. Der in Kanada ansässige Handelsexperte Daniel Lenkeit von der Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest (GTAI) erwartet für Ende 2022 eine Stagnation – und er hält eine Rezession im Verlauf der ersten drei Quartale 2023 für wahrscheinlich.

Tony Stillo, Direktor für Kanadas Wirtschaft beim Analyseunternehmen Oxford Economics, sagt eine moderate Rezession schon ab dem vierten Quartal 2022 voraus. Er schätzt, dass Kanadas Bruttoinlandsprodukt (BIP) Ende dieses Jahres bis zum zweiten Quartal 2023 um 1,8 Prozent schrumpfen wird.

Der Einbruch sei vor allem auf die Auswirkungen der höheren Zinssätze durch die Bank of Canada zurückzuführen, so die Experten. Ebenso wie auf eine länger anhaltende höhere Inflation und eine schwächere Auslandsnachfrage, die auf drohende Rezessionen in den USA und anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften zurückgeht. „Wenn die USA in die Rezession rutschen, ist Kanadas Wirtschaft betroffen“, sagt Ökonom Lenkeit. Denn die kanadische sei mit der amerikanischen Wirtschaft sehr stark verknüpft. Drei Viertel der kanadischen Exporte gehen in die USA, die Hälfte der kanadischen Importe kommt aus den USA.

Gründe sind Lieferkettenprobleme und hohe Energiepreise

Die US-Wirtschaft wird aktuell durch mehrere Entwicklungen gebremst, darunter die hohe Inflation und starke Zinsanhebungen der Notenbank Federal Reserve (Fed). Oxford Economics rechnet mit einer leichten Rezession in den USA am Anfang des kommenden Jahres.

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Die Einkaufsmanagerindizes – ein Indikator für die Entwicklung des verarbeitenden Gewerbes – in den USA und Kanada tendieren seit Monaten nach unten, analysiert Lenkeit. In den USA begann der negative Trend letztes Jahr im August, in Kanada im Juni 2022.

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Das bedeutet: Unternehmen erwarten weniger Aufträge und kurz- bis mittelfristig keine Besserung der Lieferkettenprobleme. „Belastend wirken die anhaltend hohen Preise für Energie und Vorleistungsgüter sowie die steigenden Zinsen“, sagt Lenkeit. Die hohen Preise für Vorgüter und Rohmaterialien würden die Unternehmen in der Regel an die Konsumenten weitergeben, oder sie müssten mit geringeren Margen leben beziehungsweise anders Kosten reduzieren.

Der kanadische Konsum werde in den nächsten Quartalen deutlich zurückgehen. „Konsumenten werden immer weniger in der Lage sein, die anhaltend hohen Preise zu zahlen. Käufe von langlebigen Konsumgütern dürften dann als Erstes zurückgehen“, sagt der GTAI-Ökonom.

Mehr Energie zu exportieren ist schwierig

Kanada steht an vierter Stelle der weltweit führenden Erdölförderländer und war 2020 mit 165 Milliarden Kubikmetern der viertgrößte Förderer von Erdgas. Doch obwohl das Land über derart große Energieressourcen verfügt, wird es die drohende Rezession kaum abwenden können.

Grund dafür ist, dass die weltweite Energiekrise sich hauptsächlich auf Europa konzentriert. „Kanada hat aufgrund von Verteilungsengpässen aber nur ein geringes Potenzial, mehr Öl nach Europa zu liefern beziehungsweise zu exportieren“, sagt Wirtschaftsexperte Stillo.

Das Land verfügt zudem über keine inländische Infrastruktur für den Export von Flüssiggas (LNG). Das einzige LNG-Ausfuhrterminal, das in der Entwicklung steckt, wird erst 2025 an der Westküste des Landes fertiggestellt sein.

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Die hohen Weltmarktpreise erhöhen zwar die Einnahmen der kanadischen Öl- und Gasproduzenten und steigern die Einkommen in Regionen, die stark von der Öl- und Gasproduktion abhängig sind. „Längerfristige Kapitalinvestitionen würden jedoch anhaltend hohe Preise voraussetzen, was wir nicht erwarten“, sagt Stillo, „zumal die Rezessionen in Kanada, den USA, der Europäischen Union und anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften zu einer schwächeren weltweiten Energienachfrage führen.“

Der größte Teil des aus Kanada exportierten Rohöls geht in die Vereinigten Staaten. Im Jahr 2021 erhielten die USA mehr als 187 Millionen Tonnen Öl aus Kanada, während Europa 4,1 Millionen Tonnen erhielt.

Doch die USA werden in einer Rezession weniger Energie nachfragen. Die wirtschaftliche Gesamtnachfrage geht dann zurück: weniger Investitionen, weniger Produktion, weniger Energiebedarf.

Der Preis für kanadisches Öl ist mittlerweile von 100 Dollar je Barrel im März auf jetzt 59 Dollar gesunken – und er dürfte in einem Abschwung vermutlich weiter sinken. Ein sinkender künftiger Ölpreis auf dem Markt für langfristige Lieferverträge, dem sogenannten Terminmarkt, sei ein weiterer Indikator für eine Rezession, sagt GTAI-Experte Lenkeit. Für November 2023 liegen die Preise für Öl auf dem Terminmarkt aktuell etwa zwölf Prozent unter den Kontrakten für November 2022.

Verschuldung in der Bevölkerung nimmt zu

Als Rezessionsfaktor kommt noch hinzu, dass die Bank of Canada den Leitzins seit März auf ein Vierzehnjahreshoch von 3,25 Prozent im September angehoben hat. Die kanadische Wirtschaft reagiere aber wegen der Rekordverschuldung der privaten Haushalte und der Immobilienpreise viel empfindlicher auf die hohen Zinssätze als andere Länder, analysiert Experte Stillo. „Wir gehen davon ausgehen, dass die Rezession die kanadischen Haushalte und den Immobilienmarkt am stärksten treffen wird.“

Die Verschuldung der privaten Haushalte im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen ist in Kanada nach wie vor so hoch wie nie zuvor und liegt im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung deutlich höher als in den USA vor der globalen Finanzkrise 2008/2009.

Im zweiten Quartal 2022 schuldete der durchschnittliche kanadische Haushalt für jeden Dollar an verfügbarem Einkommens 1,80 kanadische Dollar. Und die Verschuldung in der Bevölkerung wird weiter zunehmen, prophezeit Lenkeit.

Die steigenden Zinssätze treiben die Kreditkosten in die Höhe. Immer weniger Geld bleibt den Haushalten, um den Konsum zu finanzieren. „Darüber hinaus wird das geringere Realeinkommen aufgrund der hartnäckig hohen Inflation die Haushalte weiter belasten und zu Kürzungen bei den privaten Ausgaben führen“, sagt Stillo. Die Inflationsrate lag im August bei sieben Prozent.

Auch auf dem Arbeitsmarkt ist eine Verlangsamung zu beobachten. Im August gingen 39.700 Arbeitsplätze (minus 0,2 Prozent) verloren – der dritte monatliche Rückgang in Folge – und die Arbeitslosenquote stieg um 0,5 Prozentpunkte auf 5,4 Prozent. Oxford Economics erwartet, dass die zunehmenden Entlassungen die Arbeitslosenquote Anfang 2024 auf einen Höchststand von 8,2 Prozent ansteigen lassen werden.

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