Oct 16, 2022
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Energiekrise: AKW-Gipfel von Scholz, Habeck und Lindner – Grünen-Parteitag zieht klare Linie

Written by Jan Hildebrand

Bonn, Berlin Während der Bundesparteitag der Grünen in Bonn noch lief, trafen sich in Berlin am Sonntagmittag Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) im Kanzleramt. Die drei wollten endlich einen Kompromiss in dem Konflikt finden, der auch den Grünen-Parteitag am Wochenende dominiert: Wie geht es weiter mit der Atomkraft in Deutschland?

Ergebnisse aus dem Treffen von Scholz, Habeck und Lindner wurden nicht bekannt. Aus dem Umfeld der Beteiligten hieß es zunächst, dass eine Einigung am Sonntag denkbar sei. Am Nachmittag verließen dann aber Wirtschafts- und Finanzminister das Kanzleramt wortlos.

Die Grünen selbst hatten sich zuvor positioniert, endgültig, der Ton war gesetzt. Am Freitag stimmten die Delegierten in Bonn einem befristeten Weiterbetrieb der beiden süddeutschen Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim bis Mitte April 2023 als Einsatzreserve zur Stabilisierung des Stromnetzes zu. Eigentlich „eine Zumutung“ für die Partei, wie Bundesumweltministerin Steffi Lemke findet. Doch wenn diese Kraftwerke „auch nur einen kleinen Beitrag“ leisten könnten, die Energieversorgung im Winter zu sichern, „dann sollten wir davor nicht die Augen verschließen“, sagte Lemke weiter.

Kein Kauf neuer Brennstäbe

Eine Weiternutzung auch des dritten noch am Netz befindlichen AKW Emsland nach dem 31. Dezember 2022 wurde ausdrücklich ausgeschlossen. Schon die Einsatzreserve für Isar 2 und Neckarwestheim war auf dem Parteitag umstritten, wurde aber mehrheitlich akzeptiert.

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Eine Verlängerung über den 15. April hinaus wollen die Grünen ebenfalls nicht. „Eine Rückkehr zur Atomkraft: Das wird es mit uns nicht geben“, versprach Wirtschaftsminister Habeck. Parteichefin Ricarda Lang hatte zuvor den Kauf neuer Brennstäbe für Atomkraftwerke kategorisch ausgeschlossen. Hintergrund ist, dass erst der Kauf neuer Brennstäbe einen Weiterbetrieb der AKWs über das Frühjahr hinaus ermöglichen würde.

Bundesparteitag der Grünen

Eine Delegierte trägt ein Plakat für Frieden durch die Veranstaltungshalle.



(Foto: dpa)

Doch während für die Grünen Mitte April endgültig Schluss sein soll, ließen die Liberalen in den vergangenen Wochen nicht locker, die Grünen zu einem längeren Weiterbetrieb zu drängen. FDP-Chef Lindner hatte die Vorlage von Habeck schon zweimal im Kabinett blockiert, um weitere Forderungen der Liberalen durchzusetzen. Dazu gehört inzwischen auch eine Wiederinbetriebnahme bereits stillgelegter Atomkraftwerke. Bislang sieht das Atomgesetz das Ende der Atomkraft in Deutschland Ende 2022 vor.

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Jan Philipp Albrecht, Vorstand der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, wies Vorwürfe zurück, die Grünen seien die „Bremser der Nation“. Tatsächlich sei das Gegenteil der Fall, sagte Albrecht dem Handelsblatt.

„Die Erzählung vieler Grünen-Kritiker, die Partei gefährde mit ihrer reservierten Haltung zur Atomkraft die Energiesicherheit, ist unsinnig und populistisch“, sagte Albrecht weiter.

Podcast: Haben die Grünen im AKW-Streit zu früh rote Linie gezogen?

Die Grünen hätten mit ihrer Zustimmung für einen Streckbetrieb der zwei Atommeiler im Süden genau richtig gehandelt: „Ein Weiterbetrieb über das Frühjahr 2023 hinaus wäre für die Energieversorgung wenig hilfreich, sie wäre teuer und sie wäre rückwärtsgewandt. Die Regierung muss vielmehr alles dafür tun, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben.“

Viele konfliktbeladene Themen

Die Atomfrage war nicht das einzige konfliktbeladene Thema beim Parteitag. Vieles hatten sich die Grünen anders vorgestellt nach der Regierungsübernahme im vergangenen Dezember. Jetzt müssen sie Entscheidungen treffen, die permanent Kompromisse und Zumutungen bedeuten. Waffenlieferungen, die Reaktivierung von Kohlekraftwerken, der Bau von Flüssiggasterminals. Und doch zieht die Basis mit, auch auf diesem Bundesparteitag.

Erstmals seit drei Jahren trafen sich die Grünen wieder auf einem Parteitag, bei dem die Delegierten in voller Stärke vor Ort waren. Beflügelt von dem guten Landtagswahlergebnis in Niedersachsen, das den Grünen wahrscheinlich eine weitere Regierungsbeteiligung beschert, traten sie selbstbewusst auf, auch wenn sie zuletzt leicht an Zustimmung verloren. Im Sonntagstrend, den das Meinungsforschungsinstitut Insa wöchentlich für die „Bild am Sonntag“ erhebt, fallen die Grünen in dieser Woche hinter die SPD zurück und kommen auf 18 Prozent. Das ist ein Prozentpunkt weniger als in der Vorwoche.

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Hinter der Partei liegen politisch schwere Wochen. Es gab Ärger um die ursprünglich geplante Gasumlage, die Bundeswirtschaftsminister Habeck erst verteidigen und dann wieder einkassieren musste.

Problematisch für die Partei ist auch der kürzliche Beschluss der Bundesregierung von Munitionslieferungen an Saudi-Arabien. Schließlich fordern die Grünen seit Jahren ein Verbot von Rüstungsexporten in Krisen- und Kriegsregionen. Die Genehmigung sei eine Folge von Altverträgen bei europäischen Rüstungsprojekten, verteidigte sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in Bonn.

Wie bei der Atomkraft fanden die Grünen einen Kompromiss. Demnach lehnten die Delegierten Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zwar ab, forderten aber keine Rücknahme der Exportgenehmigung. Auch auf weitere Waffenlieferungen an die Ukraine einigten sich die Grünen.

Die Delegierten votierten auch für Anträge, welche in der Ampelkoalition, vor allem bei der FDP, nicht gut ankommen werden. So beschloss der Parteitag 100 Milliarden Euro für zusätzliche Klimaschutzinvestitionen – ohne zu beantworten, wie eine solche Forderung angesichts ohnehin hoher Belastungen für den Haushalt und des Beharrens des Koalitionspartners FDP auf der Schuldenbremse umsetzbar sein könnte. Auch eine Vermögensteuer zur Krisenbewältigung soll kommen – was mit der FDP wohl ebenfalls kaum machbar sein wird.

Scharfe Debatte zu Lützerath

Eine scharfe, aufgewühlte Debatte führten die Grünen am Sonntag zur Klimapolitik. „Wir haben für den Klimaschutz nicht nur Hilfreiches beschlossen“, gab Bundesumweltministerin Lemke zu und spielte damit vor allem auf den Kohledeal der grün-geführten Wirtschaftsministerien im Bund und in Nordrhein-Westfalen mit dem Energiekonzern RWE an.

So spielt der geplante Kohleausstieg bis 2030 in Nordrhein-Westfalen den Grünen zwar in die Hände, doch gleichzeitig wirft ihnen die Klimabewegung vor, das Pariser Klimaschutzabkommen zu verraten, weil angesichts der Energiekrise zwei Braunkohlekraftwerke im nordrhein-westfälischen Revier länger als bislang geplant laufen sollen. Das Dorf Lützerath, ein Symbol für die Klimaschutzbewegung, soll abgerissen werden, um Kohle zu fördern.

„Lützerath muss bleiben“, forderte der Grüne Karl-Wilhelm Koch, der auf Parteitagen regelmäßig den Finger in die Wunde legt.

Grünen-Parteitag: Applaus für kritische Rede von Luisa Neubauer

Schwere Anschuldigungen an die Adresse der Grünen erhob die Klimaaktivistin Luisa Neubauer, selbst Parteimitglied, in ihrer Rede am Sonntagnachmittag.

Sie zweifelte auch die Zahlen an, die der Kohlevereinbarung zugrunde liegen. Mit dem Deal könnten die Klimaversprechen nicht eingehalten werden, die sich die Bundesregierung selbst gegeben habe. Die Kohlemenge, die RWE nach der Vereinbarung nun noch verfeuern könne, sei etwa viermal größer als die Menge, die nach dem Pariser Klimaabkommen noch verbrennbar wäre. Es liege an den Grünen, die ökologischen Grenzen zu ziehen, sagte Neubauer. Es sei kein einziger weiterer Tag zu verschwenden, keine weitere Legislaturperiode.

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Der nordrhein-westfälische Umweltminister Oliver Krischer ermahnte die Delegierten, ihre Entscheidung genau zu überdenken: „Wenn ihr jetzt für den Erhalt von Lützerath stimmt, dann gibt es keinen Kohleausstieg 2030. Dann sind wir wieder bei 2038.“ Letztlich setzte sich die Parteiführung auch hier durch: Der Vorstoß gegen die Vereinbarung zum Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen 2030 scheiterte knapp.

Mehr: „Grüne Ideologie nimmt Pleiten in Kauf“ – Familienunternehmer demonstrieren vor Parteitag.



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Politik

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