Oct 28, 2022
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Geldpolitik: Das Leitzins-Tabu – Was Japan beim Kampf gegen die Inflation anders macht

Written by Martin Kölling


Tokio Ein Land schwimmt gegen den Strom: Inflationsbekämpfung bleibt in Japan Sache der Regierung, nicht der Notenbank. Regierungschef Fumio Kishida kündigte am Freitag ein neues, 39 Billionen Yen (265 Milliarden Euro) großes Konjunkturprogramm an. Damit will die Regierung die Teuerung, die im Oktober landesweit bei drei Prozent lag, um 1,2 Prozentpunkte senken.

Neben Investitionen in neue Technologien wie Halbleiter und Roboter versprach Kishida, die Stromkosten für Privathaushalte durch Subventionen zeitlich befristet um 20 Prozent zu dämpfen. Auch die Gaspreise sollen bezuschusst werden wie jetzt schon der Ölpreis. Für Benzin zahlen Japaner bereits fast ein Viertel weniger, als dies unter Marktbedingungen möglich wäre.

„Wir müssen die Lebensgrundlagen, Arbeitsplätze und Unternehmen der Menschen schützen“, sagte Kishida. Dafür erklärte die Zentralbank, an ihrer ultralockeren Geldpolitik festhalten.

In vielen anderen Staaten sind es die Notenbanken, die durch drastische Zinserhöhungen die Teuerung geldpolitisch bekämpfen. So hatte die Europäische Zentralbank erst am Donnerstag die Leitzinsen um 0,75 Prozentpunkte auf zwei Prozent angehoben. Das ist der Dramatik der Situation geschuldet: Allein in Deutschland liegt die Inflationsrate im Oktober bereits bei 10,4 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte.

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Ganz anders Japan. Die Zentralbank beließ nach einer zweitägigen geldpolitischen Sitzung am Freitag die obere Zinsgrenze für zehnjährige japanische Staatsanleihen (JGBs) bei 0,25 Prozent. Dabei heizt dieser geldpolitische Sonderweg die Inflation an, auch wenn die Werte signifikant niedriger sind als in Europa und den USA: In der Hauptstadt Tokio betrug die Teuerung in diesem Monat 3,5 Prozent. Dennoch: Für Japan ist dies eine besorgniserregende Zahl, denn die Inflationsrate war schon seit 40 Jahren nicht mehr so hoch.

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Der Preisauftrieb wird in Japan durch einen rasanten Absturz des Yens verstärkt. Seit Jahresanfang hat die Währung gegenüber dem Dollar um etwa ein Drittel an Wert verloren, gegenüber dem Euro ein Zehntel. Denn die Anleger am Devisenmarkt lassen sich derzeit stark von dem wachsenden Zinsunterschied zwischen Japan und den anderen großen Märkten beeinflussen.

Fumio Kishida

Japans Premier kämpft gegen seine schwindende Popularität – und treibt die Verschuldung weiter in die Höhe.



(Foto: Reuters)

Vorige Woche stieg der Dollar erstmals seit über 30 Jahren auf fast 152 Yen. Daraufhin intervenierte Japans Finanzministerium über die Notenbank zum zweiten Mal in vier Wochen am Währungsmarkt. Analysten glauben jedoch, dass dies den Wertverlust des Yens nur kurzfristig aufhalten kann. Denn Notenbankchef Haruhiko Kuroda betonte am Freitag erneut: „Wir haben nicht die Absicht, demnächst die Zinsen anzuheben.“

Begründung für die geldpolitische Passivität: Nach Ansicht der japanischen Notenbank hat das Land im Gegensatz zu den USA und anderen Ländern wirtschaftlich noch nicht das vorpandemische Niveau erreicht. Außerdem sei die Nachfrage noch nicht stark genug, um inflationär zu wirken. Stattdessen treiben vor allem steigende Kosten die Preise, wie die neun Mitglieder des geldpolitischen Ausschusses in ihrem vierteljährlichen Wirtschaftsbericht zeigten.

Energiesubventionen dämpfen den Preisanstieg

Sie hoben zwar ihre Inflationsprognose für das seit April 2022 laufende Haushaltsjahr von 2,3 auf 2,9 Prozent an und verfehlten damit das Inflationsziel von zwei Prozent. Für die kommenden zwei Jahre erwarten die Geldpolitiker wegen der staatlichen Energiesubventionen aber wieder einen Rückgang der Preissteigerung auf jeweils 1,6 Prozent. Zugleich verliert die Wirtschaft deutlich an Schwung. Für das laufende Haushaltsjahr senkte der geldpolitische Ausschuss die Wachstumsprognose von 2,4 auf 2 Prozent, für 2023 von 2 auf 1,9 Prozent.

Tokio

In der Hauptstadt stieg die Teuerung zuletzt auf 3,5 Prozent. Nach Jahrzehnten der Preisstabilität ist das für die Japaner ein Schock.


(Foto: mauritius images / robertharding)

Stefan Angrick, Volkswirt von Moody’s Analytics, prognostiziert eine gewisse Kontinuität. Er ist überzeugt davon, dass die Niedrigzinspolitik der Notenbank auch nach dem Ende von Kurodas Amtszeit im April 2023 fortbesteht. „Letztlich werden sich die Fakten, besonders das Fehlen von robustem Lohnwachstum, auch unter einem neuen Notenbankchef nicht ändern.“

Steigende Preise, fallende Popularität: Kishida handelt

Bei weitgehender Passivität der Zentralbank gerät die Politik, namentlich Kishida, weiter unter Druck. Seine sinkenden Popularitätswerte sind bemerkenswert. Zum einen nehmen viele Japaner ihm die engen Verbindungen seiner Liberaldemokratischen Partei zur Moon-Sekte übel. Zum anderen lasten die Menschen ihm die ungewohnten Preissprünge an.

Denn nach mehr als 20 Jahren Deflation entfalten selbst moderat anziehende Preise in Japan eine regelrechte Schockwirkung. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum der Regierungschef nun bereits das zweite große Konjunkturpaket seiner erst 13-monatigen Amtszeit auflegt: Er will seinen Popularitätsschwund stoppen.

Straßenszene in Tokio

Ein gewaltiges Konjunkturpaket soll die steigenden Preise für Energie und Lebensmittel bremsen.



(Foto: Reuters)

Zunächst erwog die Regierung, lediglich einkommensschwache Familien zu entlasten, nun allerdings dehnt sie die Wohltaten auf die gesamte Bevölkerung aus. Allein die Strompreissubventionen könnten sich im kommenden Jahr durchschnittlich auf 45.000 Yen (306 Euro) pro Haushalt belaufen.

Inklusive der Ausgaben von Zentral- und Lokalregierungen sowie öffentlichen und privaten Unternehmen beläuft sich das Programm auf 71,6 Billionen Yen (490 Milliarden Euro). Doch nur 260 Milliarden sollen aus dem Staatssäckel stammen.

Ökonomen zweifeln nicht daran, dass die Subventionen ihre inflationssenkende Kraft entfalten werden. Der Politologe Harukata Takenaka vom National Graduate Institute for Policy Studies warnt jedoch: „Dies ist eine populistische Politik.“ Es bestehe die Gefahr, dass die Subventionen dauerhaft blieben und damit das ohnehin hohe Defizit noch weiter in die Höhe trieben. Japan blickt auf einen Schuldenberg von 235 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – in Deutschland sind es lediglich 70 Prozent.

Mehr: Japan greift am Devisenmarkt ein – Der Yen unterbricht seinen Absturz



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Politik

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