Berlin Für Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist das elektronische Rezept eines der wichtigsten Digitalisierungsprojekte im Gesundheitswesen. Es soll spätestens 2023 alle Papierrezepte aus Apotheken, Arztpraxen und Kliniken verbannen – will aber einfach nicht in die Gänge kommen.
Der jüngste Rückschlag ereignete sich am Donnerstag, als die bundesweit einzige noch verbleibende Pilotregion Westfalen-Lippe die Reißleine zog. Bereits im August stieg Schleswig-Holstein noch vor dem Start des Pilotversuchs wieder aus. Das Vorhaben entwickelt sich damit zu einem Fiasko, das auch ein schlechtes Licht auf die vorläufige Digitalisierungsbilanz des Ministers wirft.
Denn eigentlich sollten die Regionen voranschreiten. Vor rund einem Jahr hatte sich Lauterbach entschieden, die eigentlich für 2022 geplante verpflichtende Einführung des elektronischen Rezepts zu verschieben und in Testläufen wie in Westfalen-Lippen letzte technische Bedenken auszuräumen.
Im Dezember dann sollten sechs weitere, noch zu benennende Regionen das elektronische Rezept einführen. Daraus wird nun aufgrund der jüngsten Rückschläge nichts, die vor allem auf Bedenken des Bundesdatenschützers Ulrich Kelber (SPD) zurückgehen.
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Der hatte im September ein Veto gegen den Plan eingelegt, die Versicherungskarte für das elektronische Rezept zu nutzen. Bisher kann man das E-Rezept nur über sein Handy beziehungsweise über einen Ausdruck abrufen. Für die entsprechende App braucht man eine spezielle Versichertenkarte mit einer dazugehörigen PIN. Die bekommt man nur nach einer persönlichen Verifizierung vor Ort bei seiner Kasse oder bei der Post. Offenbar ist vielen das Prozedere zu mühsam, Anträge für die PIN gab es nur wenige. Der Weg, das E-Rezept allein mit der Versicherungskarte in der Apotheke einzulösen, sollte eine praxistaugliche Alternative darstellen.
Datenschutzrechtliche Bedenken
Kelber aber befürchtet, dass es dadurch Datenmissbrauch in Apotheken geben könnte. Notwendige technische Nachrüstungen mit unter anderem Updates für Konnektoren – also Routern – und die Apotheken-Software dauern wohl bis Mitte 2023. Solange wollte man in Westfalen-Lippe nicht warten. Thomas Müller, Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), sagte dem Handelsblatt: „Wir sind überzeugt von dem E-Rezept, aber nur, wenn es bis zur Herausgabe des Medikaments in reiner digitaler Form vorliegt.“
Bisher müssten Ärzte aufgrund der geringen Verbreitung der entsprechenden App das E-Rezept in den allermeisten Fällen ausdrucken – in Form eines Codes, der wie ein QR-Code aussieht. Patienten lassen den Code dann in der Apotheke einscannen und erhalten ihr Medikament.
Das angestrebte Ziel, dass 25 Prozent aller Verschreibungen von gesetzlich Versicherten elektronisch erfolgen, könne nicht erreicht werden. Zur Einordnung: In Deutschland werden derzeit rund 500 Millionen Verschreibungen pro Jahr ausgestellt, davon waren in diesem Jahr nur etwas mehr als 500.000 digital. Dies entspricht einem Anteil von 0,1 Prozent.
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Ärztevertreter zeigen Verständnis für die Entscheidung. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung forderte eine mit dem Datenschutz kompatible Lösung. Der Deutsche Hausärzteverband wiederum teilte mit, das E-Rezept sei in der aktuellen Form für Ärzte nicht sinnvoll nutzbar. Es bleibe aber weiterhin eine sinnvolle Anwendung, von der künftig insbesondere Patienten profitieren könnten.
Flächendeckende Einführung weiterhin für 2023 geplant
Lauterbachs Ministerium äußerte sich angesichts der Entscheidung in Westfalen-Lippe enttäuscht. „Das Bundesgesundheitsministerium bedauert die Entscheidung der KVWL”, teilte ein Sprecher dem Handelsblatt mit. Trotzdem ginge die Einführung und Entwicklung des E-Rezepts weiter. Es könne weiterhin bundesweit eingesetzt werden. „Und Mitte kommenden Jahres werden wir die Nutzung des E-Rezeptes mit einer einfacheren und sicheren Lösung ermöglichen.“
Dem gesundheitspolitischen Sprecher der Union, Tino Sorge (CDU), reicht das nicht. „Die Aufgabe des Ministers wird es nun sein, beim E-Rezept Führung zu zeigen“, sagte er dem Handelsblatt. Lauterbach müsse mit den beteiligten Akteuren einen neuen Fahrplan zur Umsetzung entwickeln. „Kommendes Jahr sollte es bundesweit starten, doch ohne Testregionen wird der bisherige Zeitplan kaum zu halten sein.“
Seit Anfang Oktober haben laut der für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zuständigen Firma Gematik mehr als 3700 Arztpraxen E-Rezepte ausgestellt, die in mehr als 9200 Apotheken eingelöst worden seien. Die Anzahl der für die App „Das E-Rezept“ ausgegebenen PIN sei zwar noch niedrig, aber Berichte von Patienten bestätigten die Vorteile des komplett papierlosen Wegs.
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Die nächsten Schritte für die bundesweite Einführung des E-Rezepts werden die Gesellschafter des Unternehmens – neben dem Mehrheitseigner Bundesgesundheitsministerium auch Interessenorganisationen aus der Gesundheitsbranche – bei einer ihrer nächsten Versammlungen abstimmen. Das Ziel einer flächendeckenden Einführung des E-Rezepts im Jahr 2023 bleibe bestehen, heißt es aus dem Unternehmen.
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<< Den vollständigen Artikel: Digitalisierung: Rückschlag für Lauterbachs Digitalprojekt – Pilotregion stoppt E-Rezept-Testphase >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.