Nov 10, 2022
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VZBV-Chefin im Interview: Ramona Pop: „Das bisherige Krisenmanagement der Regierung überzeugt nicht“

Written by Silke Kersting

Berlin Die Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), Ramona Pop, hat wegen der Energiepreiskrise vor Dauerschäden für die deutsche Wirtschaft gewarnt. „Es nützt niemandem, wenn der industrielle Kern unserer Wirtschaft beschädigt wird“, sagte Pop dem Handelsblatt. Deshalb müsse die Politik dafür sorgen, dass die Unternehmen gut durch diese Krise kommen. „Es geht auch um die Frage, ob wir Wohlstand und Arbeitsplätze erhalten.“

Aber auch die Unternehmen müssten ihren Teil beitragen, sagte Pop weiter. „Wenn Subventionen fließen, können nicht davon Gewinne oder Gehaltsboni ausgezahlt werden.“ Deutliche Kritik übte Pop am bisherigen Umgang der Ampelregierung mit der Krise. „Es gab zu viel Hickhack in der Koalition und zu wenig gemeinsames Krisenmanagement“, sagte sie. Wenn Kanzler Olaf Scholz (SPD) sage, niemand werde alleingelassen, „dann muss er dieses Versprechen einlösen und nachvollziehbar für eine Stabilisierung der Situation sorgen“.

Doch das bisherige Krisenmanagement der Regierung überzeuge nicht. Es sei vielmehr „wertvolle Zeit verloren gegangen“. Die Gaspreisbremse zum Beispiel komme viel zu spät, weil versäumt worden sei, die Gaskommission „deutlich früher“ einzusetzen.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Kanzler Olaf Scholz hat mit dem Satz „Youll never walk alone“ das Signal an die Bevölkerung ausgegeben, dass in der Krise niemand alleingelassen wird. Hält die Bundesregierung das Versprechen?
Die Bundesregierung hat inzwischen umfangreiche Entlastungen auf den Weg gebracht, keine Frage. Das ist gut und wird den Verbrauchern helfen. Doch das bisherige Krisenmanagement der Regierung überzeugt nicht. Die Maßnahmen kommen zum Teil sehr spät. Es ist wertvolle Zeit verloren gegangen. Die Gaskommission zum Beispiel hätte deutlich früher eingesetzt werden müssen.

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Sie hat dann aber doch schnell gearbeitet und Vorschläge präsentiert.
Ja, aber die verlorene Zeit lässt sich nicht aufholen. Die Gaspreisbremse kommt viel zu spät. Nun soll sie wohl ab Februar zumindest rückwirkend gelten. Dabei brauchen die Verbraucher die Entlastung kurzfristig, weil die hohen Zusatzkosten bei vielen Haushalten jetzt und in den nächsten Monaten anfallen. Ich sage deshalb, ein rückwirkender Start der Gaspreisbremse ab Januar wäre wichtig und sinnvoll. Nun wird versucht, mit anderen Lösungen die Winterzeit zu überbrücken. Es wäre aus meiner Sicht fatal, wenn die Hilfen im Winter stocken.

Es war absehbar, dass der Winter schwierig wird. Haben Sie nicht genug gewarnt?
Wir haben immer wieder betont, dass es einer größeren Entlastung bedarf und die angekündigten Maßnahmen schnell und spürbar bei den Menschen ankommen müssen.

Fanden Sie kein Gehör?
Es gab zu viel Hickhack in der Koalition und zu wenig gemeinsames Krisenmanagement. Gestritten wurde über Fragen der Finanzierung, den richtigen Energiemix und vieles andere mehr.

Koalition hat bei vielen Themen „keine gemeinsame Linie“

Auch über die vermurkste Gasumlage aus dem Wirtschaftsministerium von Robert Habeck.
Es gab viele Themen, bei denen die Koalition keine gemeinsame Linie hatte. Unterm Strich haben alle in der Regierung ihren Teil dazu beigetragen, dass man nicht schnell vom Fleck gekommen ist. Nun liegt ein großes Entlastungspaket auf dem Tisch, es enthält aber noch Unwägbarkeiten.

Entlastung für Strom- und Gaskosten

Eine Einmalzahlung für die hohen Gaskosten soll den Gaskunden auf ihrer Dezember-Rechnung gutgeschrieben werden.


(Foto: IMAGO/Laci Perenyi)

Was wieder zu Verwirrung und Unsicherheit führt?
Natürlich sorgt das für Verwirrung. Wer versteht denn bitte, wie viel er oder sie wann genau erhalten wird? Nun soll es wegen der verspäteten Gaspreisbremse eine Dezember-Abschlagszahlung als Soforthilfe geben. Schnelle Hilfen begrüßen wir. Aber diese Hilfe muss allen zugutekommen.

Inwiefern?
Viele Mieter bekommen die Einmalzahlung erst mit der Betriebskostenabrechnung ihres Vermieters im nächsten Jahr, also nicht schon im Dezember. Das führt die Soforthilfe ad absurdum und kann so nicht bleiben. Und was ist mit den Menschen auf dem Land, die zum Beispiel mit Flüssiggas heizen?

>> Lesen Sie auch: Was Sie jetzt zur Gas- und Strompreisbremse wissen müssen

Vergessen wurden zuerst auch Verbraucher, die zum Beispiel mit Holzpellets oder Öl heizen. Nun soll es auch hier Hilfen geben.
Gerade in der Krise ist Politik gefragt, Versprechen einzuhalten. Wenn der Kanzler sagt, niemand werde alleingelassen, dann muss er dieses Versprechen einlösen und nachvollziehbar für eine Stabilisierung der Situation sorgen.

Braucht es eine bessere Krisenkommunikation?
Die Politik muss die Menschen auch emotional mitnehmen und klarmachen: Es gibt ein Netz, das euch in diesem Winter auffängt. Nicht nur in finanzieller Hinsicht. Wichtig ist auch, dass Verbraucher nicht ihre Wohnung verlieren, wenn sie trotz der Entlastungen ihre Miete nicht in voller Höhe bezahlen können. Deswegen ist es gut, dass die Gaskommission einen vorübergehenden Kündigungsschutz für stark belastete Mieterinnen und Mieter vorgeschlagen hat. Das muss auch so kommen! Genauso wie ein Moratorium für Energiesperren.

CO2-Preis-Aufteilung brauche es jetzt

Auch bei der CO2-Preis-Aufteilung zwischen Mietern und Vermietern hat sich die Ampelregierung verhakt. Die FDP will die für Januar geplante Einführung verschieben.
Es braucht die Aufteilung jetzt, um die Mieter endlich zu entlasten, und auch, damit es überhaupt einen Anreiz für Vermieter gibt, Heizungen zu tauschen und Wohngebäude energetisch zu sanieren. Bislang wird der CO2-Preis an die Mieter durchgereicht. Das darf so nicht bleiben.

Ramona Pop (M.), Chefin Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), Handelsblatt-Redakteure Silke Kersting und Dietmar Neuerer

Die Fragen stellten die Handelsblatt-Redakteure Silke Kersting und Dietmar Neuerer.


(Foto: Handelsblatt)

An dem Ziel zweifelt ja auch die FDP nicht, kritisiert aber den bürokratischen Aufwand für die Vermieter in der jetzigen Situation.
Ich halte eine faire Verteilung der Lasten für angebracht. Das steht auch so im Koalitionsvertrag, und es gibt einen Kabinettsbeschluss. Jetzt muss das Vorhaben endlich auf den Weg gebracht werden.

Kommt das Thema Energiesparen bei den ganzen Entlastungsdebatten zu kurz? Müssen die Bürger mehr zum Sparen motiviert werden?
Die letzten Zahlen zeigen, dass auch Privathaushalte zusammen mit kleinen Unternehmen in den letzten Wochen und Monaten viel Energie eingespart haben. Aber nichtsdestotrotz entbindet uns das alle nicht davon, dass wir in unseren Bemühungen nicht nachlassen dürfen und in diesem Winter weiter Energie einsparen müssen, jede Woche, jeden Monat. Ich finde es allerdings bedauerlich, dass gerade beim Thema Energiesparen die guten Vorschläge der Gaskommission viel zu wenig Beachtung bei der Bundesregierung gefunden haben.

>> Lesen Sie auch: So viel Mehrkosten entstehen im Winter durchs Homeoffice

Was meinen Sie konkret?
Die Experten haben zum Beispiel dazu geraten, dass die Menschen besser über ihren Verbrauch informiert werden und dass Bund und Länder mehr Geld für die energetische Gebäudesanierung bereitstellen. Wir brauchen definitiv mehr finanzielle Unterstützung in diesem Bereich, damit wir auch mittel- und langfristig Energie sparen können.

„Gemeinsam durch die Krise steuern“

Als Verbraucherschützerin haben Sie vor allem die Belange der Verbraucher im Blick. Was ist mit den Unternehmen?
Wir sollten hier keinen Gegensatz aufbauen, sondern gemeinsam durch die Krise steuern. Es nützt niemandem, wenn der industrielle Kern unserer Wirtschaft beschädigt wird. Deshalb muss die Politik dafür sorgen, dass die Unternehmen gut durch diese Krise kommen. Es geht auch um die Frage, ob wir Wohlstand und Arbeitsplätze erhalten. Aber auch die Unternehmen müssen ihren Teil beitragen. Wenn Subventionen fließen, können nicht davon Gewinne oder Gehaltsboni ausgezahlt werden.

Olaf Scholz

Der Bevölkerung hat der Kanzler die Unterstützung der Bundesregierung zugesagt. „Mir ist wichtig, es noch einmal deutlich zu sagen: Die Bundesregierung lässt niemanden mit der Last allein. You’ll never walk alone. Dieses Versprechen gilt.“



(Foto: dpa)

Ein weiteres Thema, das die Menschen umtreibt, sind die Verspätungen bei der Bahn. Müssen die Entschädigungsregeln bei der Bahn überdacht werden?
Im Sommer gab es neben dem Bahn- auch das Flughafenchaos. Unpünktlichkeit gehört inzwischen leider zur Normalität des Fernverkehrs. Hier muss die Bahn besser werden, ganz klar. Die Fahrgastrechte gehören auf den Prüfstand. Wenn sich jetzt Verspätungen häufen, dann sollte die Bahn bereits ab 30 Minuten Verspätung eine Entschädigung zahlen, nicht erst ab einer Stunde. Das wäre auch ein Anreiz, dass die Bahn pünktlicher wird.

Müsste eine Entschädigung nicht auch automatisch erfolgen – die Buchungsdaten sind der Bahn ja bekannt?
Die Fahrgäste können ihre Entschädigung online beantragen – solange sie ihr Ticket auch online gekauft haben. Aber ein automatisiertes Entschädigungssystem wäre der bessere und einfachere Weg.

Mehr: Wie lange reicht das Gas? Das sind die Szenarien für den Winter



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