Nov 7, 2022
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Sozialreformen: Ampel und Länder streiten weiter über das Bürgergeld – Auch an der Wohngeldreform gibt es Kritik

Written by Heike Anger

Bundesländer mit Unionsbeteiligung, ohne deren Zustimmung das Bürgergeld nicht in Kraft treten kann, erklärten, die Änderungsvorschläge änderten nichts an den gröbsten „Webfehlern“ des Gesetzes. Man habe erhebliche Probleme mit den geplanten Vertrauens- und Karenzzeiten, sagte Nordrhein-Westfalens Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU).

Daran will aber die Ampel nicht rütteln. In der zweijährigen Karenzzeit wird das Vermögen von Leistungsbeziehern nicht angerechnet, und sie müssen auch nicht aus einer zu großen Wohnung ausziehen. In einer sechsmonatigen Vertrauenszeit sind nur sehr eingeschränkt Leistungskürzungen möglich.

Die Regierungsfraktionen hatten sich Ende vergangener Woche auf einige Änderungen am Entwurf verständigt. So sollen etwa die Jobcenter die Heizkosten von Bürgergeld-Empfängern nur noch in der angemessenen und nicht in der tatsächlichen Höhe erstatten. Auch sollen Bürgergeld-Empfänger, die über Vermögen verfügen, dieses zumindest grob aufschlüsseln müssen.

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Ampelvertreter warfen der Union in teils scharfem Ton vor, die Sozialreform aus parteitaktischen Erwägungen zu blockieren. SPD-Chef Lars Klingbeil hatte am Wochenende beim „Debattencamp“ seiner Partei gesagt, die Union verbreite wie einst Ex-US-Präsident Donald Trump „Fake News“, um die Gesellschaft zu spalten.

Kritik an Vorschlag von Merz

Trotz Klingbeils „Brunnenvergiftung“ habe CDU-Chef Friedrich Merz aber einen gangbaren Weg aufgezeigt, um den Konflikt zu lösen, sagte Gröhe. Merz hatte am Wochenende vorgeschlagen, über die geplante Anhebung der Regelsätze, hinter der auch die Union steht, separat zu entscheiden und das Bürgergeld-Gesetz später zu behandeln.

Diesen Vorschlag wies die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, als „Ablenkungsmanöver“ zurück. Jeden Tag erfinde der CDU-Chef einen anderen Grund, um das Bürgergeld abzulehnen. „Letzte Woche war es noch die Erhöhung der Regelsätze, der er jetzt zustimmen will. Dann war es das Schonvermögen, dem die CDU schon zweimal im Bundestag zugestimmt hat. Jetzt ist es das ganze Bürgergeld außer der Erhöhung.“

Tatsächlich hatte die Union Änderungen am Schonvermögen zugestimmt, aber nur der befristeten Corona-Sonderregelung, die die Ampel nun in die Karenzzeit überführen will. Schon damit das bruchlos geschehe, müsse nicht nur über die Regelsätze, sondern auch über die Karenzzeit rasch entschieden werden, hieß es aus den Ampelfraktionen.

Nachdem sich am Montag in einer öffentlichen Anhörung im Bundestag Fachleute noch einmal teils sehr kritisch zum Bürgergeld geäußert haben, steht am Donnerstag im Bundestag die abschließende Beratung an. Ob es vonseiten der Ampel oder der Länder bis dahin noch ein Entgegenkommen gibt, ist offen.

Friedrich Merz

Merz hatte am Wochenende vorgeschlagen, über die geplante Anhebung der Regelsätze, hinter der auch die Union steht, separat zu entscheiden und das Bürgergeld-Gesetz später zu behandeln.



(Foto: dpa)

Sollte es keine Einigung geben, landet das Bürgergeld im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat. Wenn zumindest die Erhöhung der Regelsätze nicht noch im November beschlossen werde, könnten die Jobcenter sie nicht mehr wie geplant zum 1. Januar umsetzen, warnte Gröhe.

Streit über Wohngeld plus

Auch bei der zweiten großen Sozialreform der Ampel, dem Wohngeld plus, gibt es Probleme. Wegen der steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten sollen einkommensschwache Haushalte bei den Wohnkosten unterstützt werden. Dafür soll der staatliche Mietzuschuss zum 1. Januar von durchschnittlich rund 180 Euro pro Monat auf rund 370 Euro steigen. Außerdem ist vorgesehen, den Empfängerkreis von derzeit 600.000 auf zwei Millionen Haushalte zu erweitern. Bund und Länder teilen sich die Kosten, es geht um insgesamt 5,1 Milliarden Euro.

Jobcenter in Sachsen-Anhalt

Die Vermittler sollen Leistungsbeziehern künftig mehr Freiräume lassen.



(Foto: dpa)

Doch bei der öffentlichen Anhörung des Bauausschusses des Bundestags am Montag wurde deutlich: Die Ziele des Gesetzes werden zwar allseits begrüßt, bei der Umsetzung sehen Fachleute aber große Probleme. So warnten etwa Städtetag und Städte- und Gemeindebund vor einem „Kollaps des Wohngeldsystems“. Sollten die noch zu programmierenden IT-Verfahren in den Ländern nicht verlässlich laufen, könnten in den ersten Wochen bis Monaten des Jahres 2023 gar keine Wohngeldanträge beschieden werden.

Zudem sei eine „auch nur annähernd ausreichende“ Ausstattung mit Fachpersonal „keinesfalls erreichbar“. Was Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als „größte Wohngeld-Reform in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ angekündigt hat, droht demnach zu einer „großen Enttäuschung“ zu werden. Schon jetzt sei die Stimmungslage vor Ort gegenüber dem Behördenpersonal „zunehmend von Ungeduld, Unverständnis und Aggression“ geprägt.

Lesen Sie hier mehr zu den geplanten Sozialreformen

Konkret fordern Städte und Gemeinden wie auch die Wohnungswirtschaft, die vorgesehene vorläufige Zahlung des Wohngeldes aus dem Gesetzentwurf zu streichen. Was die Regierung als unbürokratische und schnelle Hilfe vorgesehen hatte, wird von den Experten als doppelte Arbeit kritisiert.

Denn von den Wohngeldbehörden müssten „so tiefgreifende Überprüfungen vorgenommen werden, dass diese einer Wohngeldbewilligung fast gleichkämen“, schreibt der Verband Haus & Grund, der in Deutschland die privaten Vermieter vertritt, in seiner Stellungnahme. Die vorläufige Zahlung würde die Bearbeitung der Anträge nur verzögern und „personelle Kapazitäten auf ineffektive Weise“ binden.

>> Lesen Sie hier: NRW-Ministerin attackiert Regierung frontal: „Bund beim Wohngeld unredlich“

Das Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung (InWIS) rechnete vor: Bei bis zu 43 Prozent der deutschen Haushalte liegt die Wohnkostenbelastung bereits oberhalb von 40 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens beziehungsweise sie sind als gefährdet anzusehen, in diese Überlastung zu rutschen.

Mehr: Bis zu 1742 Euro für eine Familie mit zwei Kindern – So viel Bürgergeld zahlt der Staat künftig  



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