Nov 8, 2022
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Ukraine-Studie: Überschätzt sich die ukrainische Regierung? Forscher bemängeln Plan zum Wiederaufbau

Written by Mareike Müller

Riga Einem Team von Wirtschaftswissenschaftlern zufolge bedarf der Plan zum Wiederaufbau der Ukraine, den die Regierung im Juli in Lugano vorgestellt hat, einer Reihe von Verbesserungen. Das geht aus den Ergebnissen einer am Mittwoch veröffentlichten Untersuchung des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) hervor.

Der Plan, der auf zehn Jahre und zwei Phasen ausgelegt ist, beinhaltet 850 konkrete Projekte. Die größten Posten darin sind für den Wiederaufbau und die Modernisierung von Gebäuden und der Infrastruktur vorgesehen sowie für die Instandsetzung von Logistik- und Transportnetzen. Für die Umsetzung braucht die Regierung Geld – etwa 750 Milliarden US-Dollar, ohne Militärausgaben würde die Summe immer noch 450 Milliarden Dollar betragen.

Diese Zahl setzen die Wiener Ökonomen etwas niedriger an: „Unter der Annahme, dass die intensivste Phase des Krieges bis Mitte 2023 andauert, geht die Studie davon aus, dass die internationalen Geber etwas weniger, nämlich rund 410 Milliarden US-Dollar, zum Wiederaufbau beisteuern müssen“, erklären die Forscher.

„Immer noch eine riesige Summe“

„Natürlich ist das immer noch eine riesige Summe“, betont Co-Autor Richard Grieveson, stellvertretender Direktor des WIIW. „Die EU, die ein starkes Eigeninteresse an einer demokratischen und prosperierenden Ukraine hat und das Land ja auch zum Beitrittskandidaten gemacht hat, wird daher ihre Anstrengungen in diesem Bereich massiv verstärken müssen“, sagt der Ökonom.

Eine Frau arbeitet am Haus ihrer Familie in Myroliubivka in der Region Cherson

Forschern zufolge überschätzt die ukrainische Regierung die Wachstumsaussichten nach dem Krieg.


(Foto: IVOR PRICKETT/The New York Times)

Unrealistisch scheine hingegen das Ziel einer Verfünffachung der Wirtschaftsleistung des Landes auf 500 Milliarden Dollar bis 2032. Zu diesem Schluss kommen die Experten durch Vergleiche mit Entwicklungen in anderen früheren Kriegsgebieten wie Bosnien oder Kroatien in den 1990er-Jahren. Bosnien habe eine Verdreifachung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zwischen 1996 und 2005, Kroatien eine Verdoppelung von 1994 bis 2003 erreicht.

Darüber hinaus kritisieren die Forscher die Verteilung der Gelder auf unterschiedliche Sektoren. Diese sei „nicht gut begründet“. Vor allem die Einstufung von Schwerindustrie und Agrarproduktion als Sektoren mit hoher Wertschöpfung „zweifelhaft“. Diese Bereiche sollen laut Plan beim Wiederaufbau Priorität haben und mit Milliardensummen gefördert werden.

Zudem seien andere Posten zu knapp berechnet, etwa der Finanzierungsbedarf für Verteidigung und Sicherheit, der bis 2032 auf 50 Milliarden Dollar geschätzt wird. Dieser Betrag scheine „eher niedrig“ im Hinblick auf die „Intensität des militärischen Kampfes“ und die „immensen Herausforderungen bei der Transformation der Verteidigungsindustrie und der Modernisierung der ukrainischen Streitkräfte“, heißt es in der Studie.

Denken Sie nur an den Bau überregionaler Verkehrsverbindungen oder die Angleichung der Wiederaufbaubemühungen an die EU-Standards. Tetiana Bogdan, Wirtschaftsinstitut Growford in Kiew und Gastforscherin am WIIW

Michael Landesmann, ehemaliger wissenschaftlicher Direktor des WIIW und Co-Autor der Studie, moniert: „Aus unserer Sicht stellt das eine rückwärtsgewandte Industriepolitik dar, die eine Konservierung bestehender Strukturen bedeutet, anstatt den notwendigen Strukturwandel hin zu einer nachhaltigen und grünen Wirtschaft zu forcieren.“ Dabei hätte die Ukraine gerade im IT-Bereich oder bei Umwelttechnologien großes Potenzial.

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Mit Blick auf geplante Steuersenkungen sehen die Verfasser sogar ein potenzielles Hindernis für den angestrebten EU-Beitritt. So seien konkret ein Verbot der Erstattung der Mehrwertsteuer auf Rohstoffexporte geplant, ebenso wie eine staatliche Förderung der Schwerindustrie. Diese Maßnahmen stünden „eindeutig im Widerspruch zu EU-Recht“, heißt es in der Studie.

In einer Situation, in der „Hunderte Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau benötigt werden“ und zudem „auch noch die Staatsschuldenquote sinken soll“, seien die Pläne, die Steuer- und Abgabenquote auf 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken, „wenig durchdacht“.

Geplante Maßnahmen umsetzen

Um die geplanten Maßnahmen in der Praxis umzusetzen, sieht der Plan der ukrainischen Regierung einen dezentralen Ansatz vor. Dabei sollen Aufbauprojekte in verschiedenen Regionen unter der Leitung verschiedener internationaler Partner stehen. Großbritannien wäre demnach für die Region um Kiew zuständig, Schweden für Odessa. Das sehen die Forscher skeptisch.

Internationale Expertenkonferenz zum Wiederaufbau der Ukraine in Berlin

Ende Oktober hatte zudem eine internationale Expertenkonferenz in Berlin beraten. Dabei hatten Politikerinnen und Politiker wiederholt betont, dass der Wiederaufbau die Modernisierung des Landes voranbringen solle.


(Foto: IMAGO/Christian Spicker)

Tetiana Bogdan, wissenschaftliche Direktorin des Wirtschaftsinstituts Growford in Kiew und Gastforscherin am WIIW, erklärt, dass die zentralen Wiederaufbauprogramme auf gesamtstaatlicher Ebene ausgearbeitet und verwaltet werden müssten, um eine landesweite Wirkung zu erzielen. „Denken Sie nur an den Bau überregionaler Verkehrsverbindungen oder die Angleichung der Wiederaufbaubemühungen an die EU-Standards“, sagt Bogdan.

Positiv seien allerdings die Bestrebungen, institutionelle Reformen in Angriff zu nehmen, die Macht der „bisher allgegenwärtigen Oligarchen“ zu beschneiden und „die Ukraine an EU-Standards heranzuführen“.

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Neben der Ukraine selbst befasst sich auch die internationale Gemeinschaft intensiv mit der Frage, wie der Wiederaufbau gelingen kann. So veröffentlichten beispielsweise auch Institutionen wie die Weltbank, die EU-Kommission oder der Thinktank German Marshall Fund of the United States entsprechende Pläne und Berechnungen. Diese Pläne konzentrieren sich aber zumeist auf die geplante Unterstützung durch die jeweilige Institution.

Ende Oktober hatte zudem eine internationale Expertenkonferenz in Berlin beraten. Dabei hatten Politikerinnen und Politiker wiederholt betont, dass der Wiederaufbau die Modernisierung des Landes voranbringen solle.

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