Nov 14, 2022
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G20-Gipfel: Von den „Fragilen Fünf“ zu den Top Ten – Indonesiens Rezept gegen die Wirtschaftskrise

Written by Mathias Peer


Bangkok Mit weißem Schutzhelm und violetter Warnweste tritt Indonesiens Präsident Joko Widodo am neuen Schnellbahnhof in Westjava vor die Kameras. Es ist eine Montur, in der sich der Staatschef gerne zeigt. Der 61-Jährige pflegt den Ruf des obersten Architekten in dem Land mit 275 Millionen Einwohnern, das unter seiner Führung zur größten Baustelle Südostasiens geworden ist.

Dieses Mal ist „Jokowi“ – so wird der Präsident in seiner Heimat meistens genannt – gekommen, um einen der Höhepunkte seiner Infrastrukturoffensive zu präsentieren: den ersten Hochgeschwindigkeitszug des Landes, der bald mit 350 Kilometern pro Stunde über die Hauptinsel Java rasen soll.

Die Reisezeit zwischen Jakarta und der 150 Kilometer entfernten Metropole Bandung soll mit der neuen Bahnverbindung ab Juni 2023 von drei Stunden auf 40 Minuten verkürzt werden. Er hoffe, dass das Projekt die Wettbewerbsfähigkeit seines Landes weiter stärke, sagte Widodo.

Gemessen an seiner bisherigen Bilanz, ist ihm das zuzutrauen: Während große Teile der Welt gegen den wirtschaftlichen Abschwung kämpfen, läuft Indonesiens Konjunktur unter Widodo auf Hochtouren.

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Wenige Wochen nach dem Auftritt am Bahnsteig kann der Politiker sein Land am Dienstag und Mittwoch auf der großen weltpolitischen Bühne präsentieren. Als Gastgeber des Gipfels der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G20) hat er sich vorgenommen, Impulse für ein Ende der globalen Krisen zu geben. Der erstaunliche Aufschwung in seiner Heimat kann dabei besonders anderen Schwellenländern als Vorbild dienen.

Noch 2013 – ein Jahr vor Widodos Amtsantritt – hatten Volkswirte der US-Investmentbank Morgan Stanley Indonesien unter den „Fragilen Fünf“ der Weltwirtschaft einsortiert. Gemeint waren damals Staaten, denen angesichts der Kapitalflucht aus den Schwellenländern eine massive Krise drohte.

Neue Hauptstadt für 34 Milliarden Dollar

Inzwischen ist von Fragilität nichts mehr zu spüren. Stattdessen kann das Land damit rechnen, von seinem aktuellen Rang 17 unter den weltgrößten Volkswirtschaften bis zum Ende des Jahrzehnts in die globalen Top Ten aufzusteigen.

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Eine leistungsfähige Infrastruktur sieht Widodo als wichtigste Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg. Für 34 Milliarden Dollar will er auf der Insel Kalimantan eine neue Hauptstadt errichten. In der bisherigen Hauptstadt Jakarta macht sich der Investitionsboom in Form lärmender Baumaschinen bemerkbar, die an der Erweiterung des U-Bahn-Systems werkeln.

Auch im Rest des Landes bleibt anscheinend kaum ein Stein auf dem anderen. Seit Widodos Amtsantritt entstanden neue Mautstraßen mit einer Länge von mehr als 2000 Kilometern, 38 Staudämme, 18 Häfen und 16 neue Flughäfen. Ein so massives Bauprogramm wie in den Widodo-Jahren hat Indonesien noch nicht erlebt.

Private Investoren zieht es massenhaft in den Tropenstaat. Im dritten Quartal verzeichnete Indonesien einen Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen um 64 Prozent auf ein neues Rekordhoch von umgerechnet knapp elf Milliarden Dollar. Das Exportvolumen wird nach Prognosen der Regierung in diesem Jahr auf einen Höchstwert von 280 Milliarden Dollar steigen – deutlich mehr als im Vorjahr, das mit rund 230 Milliarden Dollar ebenfalls einen Rekord brachte.

Indonesien schafft es tatsächlich, einen wachsenden Teil der Wertschöpfung ins eigene Land zu ziehen. Jan Rönnfeld, Leiter der deutschen Auslandshandelskammer (AHK) in Indonesien

Die guten Geschäfte schlagen sich auch im Wirtschaftswachstum nieder: Anfang November meldete die Statistikbehörde des Landes eine Wachstumsrate von 5,7 Prozent im dritten Quartal. Für das gesamte Jahr rechnet der Internationale Währungsfonds mit einem Plus von 5,3 Prozent. Unter den G20-Ländern läuft es nur in Indien und Saudi-Arabien besser.

Ein Teil des Erfolgs erklärt sich durch Indonesiens Rolle als Krisengewinner. Das Land ist reich an Rohstoffen: Es ist der weltgrößte Exporteur von Kraftwerkskohle, Palmöl und veredeltem Zinn. Die gestiegenen Weltmarktpreise als Folge von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine ließen die Einnahmen im Außenhandel stark steigen.

Ausfuhrbeschränkungen zur Stärkung der Industrie

Doch das Geschäftsmodell des reinen Rohstoffverkäufers ist Indonesien nicht mehr genug. Präsident Widodo will stattdessen die Materialien im eigenen Land zu hochwertigeren Produkten weiterverarbeiten und dadurch die heimische Industrie stärken. Er setzt dabei auf massive Markteingriffe.

Seit 2020 ist der Export von Nickelerz aus Indonesien verboten. Der Rohstoff kommt unter anderem bei der Produktion von Edelstahl und Batterien zum Einsatz – Indonesien verfügt über die weltgrößten Reserven. Wer Nickelerz haben möchte, muss nun in Indonesien investieren.

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Die Rechnung geht auf: Die bisherigen Käufer, viele aus China, haben in großem Stil neue Schmelzanlagen in Indonesien errichtet. Einer der größten Industrieparks in der Nickelabbauregion Sulawesi erwartet in diesem Jahr einen Anstieg der Investitionen auf rund 18 Milliarden Dollar – fast dreimal so viel wie noch vor drei Jahren.

„Indonesien schafft es tatsächlich, einen wachsenden Teil der Wertschöpfung ins eigene Land zu ziehen“, sagt Jan Rönnfeld, Leiter der deutschen Auslandshandelskammer (AHK) in Indonesien. „Industriepolitisch kann ich den Ansatz nachvollziehen. Wenn die Maßnahmen in Einklang mit internationalen Handelsregeln stehen, dann ist das der richtige Weg.“

EU wirft Indonesien Protektionismus vor

Inwieweit Indonesiens Ausfuhrbeschränkungen mit den Regeln der Welthandelsorganisation vereinbar sind, wird derzeit auf Antrag der EU geprüft. Die Regierung in Jakarta hält eine Niederlage zwar nicht für unwahrscheinlich. Aus Sicht von Widodo hat sich die Strategie aber in jedem Fall ausgezahlt – die angelockten Investoren werden schließlich nicht plötzlich wieder verschwinden. Gleichzeitig lässt der Präsident ähnliche Maßnahmen vorbereiten, um auch die Weiterverarbeitung von Bauxit, Kupfer und Zinn ins Land zu holen.

Den Vorwurf des Protektionismus weist Widodo dabei von sich. „Wir verschließen uns nicht, wir sind für jeden offen“, sagte er im Interview mit dem Handelsblatt. „Wir laden Unternehmen aus der ganzen Welt ein, hier zu investieren und sich an den Lieferketten zu beteiligen.“ Für das Gespräch zum Mittagessen lud er in den Sommerpalast Bogor ein, der rund 60 Kilometer südlich von Jakartas Zentrum liegt.

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Seine Mitarbeiter haben gebratenen Reis, Hähnchenspieße und frittierten Fisch vorbereitet. Durch die offenen Türen sind immer wieder die Ziegen zu hören, die Widodo im Palastgarten hält. Rund eine Stunde nimmt sich der Staatschef für das Interview Zeit – mit dem erklärten Ziel, über die deutsche Wirtschaftspresse potenzielle Investoren aus Deutschland zu erreichen. Besonders angetan hat es ihm die Automobilindustrie, die er dafür gewinnen möchte, mithilfe indonesischer Rohstoffe Batterien für Elektroautos in Indonesien zu fertigen.

Erste Kanzlerreise nach Südostasien seit mehr als einem Jahrzehnt

Der Nachholbedarf in den Geschäftsbeziehungen beider Länder ist groß. Unter den wichtigsten Exportmärkten der deutschen Wirtschaft liegt Indonesien – das gemessen an der Bevölkerungszahl viertgrößte Land der Welt – nur auf Rang 51.

Der Umfang der deutschen Direktinvestitionen in dem Land macht rund 2,5 Milliarden Euro aus – das deutlich kleinere Nachbarland Malaysia kommt auf die doppelte Summe. „Für kleine und mittelgroße Firmen aus Deutschland ist Indonesien oftmals einfach zu weit weg, um hier eine Produktionsstätte aufzubauen“, sagt AHK-Chef Rönnfeld. „Das könnte sich vielleicht ändern, wenn der Druck steigt, Alternativen zu China zu finden.“

Elf Verhandlungsrunden blieben bislang ohne Erfolg

Die Bundesregierung sieht Südostasien als wichtigen Partner, um die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Wenn man nicht alle Eier in einen Korb legen wolle, gehe es darum, „große Länder wie Indonesien“ in den Blick zu nehmen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Oktober. Seine Reise zum G20-Gipfel auf Bali ist Teil des ersten Südostasien-Besuchs eines deutschen Regierungschefs seit mehr als einem Jahrzehnt – zuletzt hatte Angela Merkel Indonesien im Juli 2012 besucht.

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Doch trotz des Wunsches nach einer engeren Zusammenarbeit gestaltet sich eine Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen schwierig. Bereits seit mehr als sechs Jahren verhandeln EU und Indonesien über ein Freihandelsabkommen. Die elf Verhandlungsrunden blieben aber bisher ohne Erfolg.

Während sich die Europäer an Indonesiens Beschränkungen bei der Nickelausfuhr stören, sieht sich die Regierung in Jakarta bei Palmölexporten in die EU benachteiligt. Das Thema dürfte auch auf der Agenda des für Dezember geplanten Gipfeltreffens der EU mit den Staatschefs Südostasiens stehen, an dem Widodo teilnehmen will.

Zugeständnisse bei der EU zu erreichen wäre für den Präsidenten ein wichtiger Erfolg, um heranziehende wirtschaftliche Probleme abzufedern: Angesichts der schwachen Konjunktur in Europa, Amerika und China erwartet die Regierung in Jakarta, dass der jüngste Exportboom bald nachlassen könnte.

Auch die Inflation lastet auf der Stimmung im Land – Widodos Entscheidung, subventionierte Kraftstoffpreise anzuheben, brachten ihm wochenlange Straßenproteste ein. Er verteidigte die Maßnahme als alternativlos, um zu verhindern, dass die Subventionskosten aus dem Ruder laufen.

Trotz der wachsenden Herausforderungen gibt sich der Politiker, dessen Amtszeit 2024 endet, aber betont optimistisch. „Wir stehen vor riesigen Chancen“, sagt er. „Die Zeit, in Indonesien zu investieren, ist jetzt.“

Mehr: Biden und Xi ringen um Einfluss bei Chinas Nachbarn – USA planen Stationierung von B-52-Bombern



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