Nov 8, 2022
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Kliniken, Pflege, Kassenfinanzen: So kämpft Lauterbach um die große Reform des Gesundheitswesens

Written by Jürgen Klöckner

Berlin Die Idee war keine Woche in der Welt, da musste sie Gesundheitsminister Karl Lauterbach schon wieder kassieren. Um die Pflegekassen zu stützen, plante der SPD-Politiker, auf die Zahlung im kommenden Jahr von 1,6 Milliarden Euro an den Pflegevorsorgefonds zu verzichten und mit dem Geld das bestehende Defizit aufzufüllen. 

Die Kritik kam prompt. Der Vorsorgefonds solle ausgetrocknet werden, hieß es. In dem Fonds werden jährlich 0,1 Prozentpunkte der Beitragseinnahmen angelegt, um ab 2034 den Beitrag zu stabilisieren. In dieser Zeit werden voraussichtlich viele Babyboomer pflegebedürftig.

Nun die Kehrtwende. Lauterbach will die Zahlungen nicht aussetzen. Stattdessen soll der Betrag mit einem Mal Ende 2023 an den Fonds gehen statt wie derzeit üblich in monatlichen Raten. So steht es in einem Änderungsantrag der Ampelkoalition für das Krankenhauspflege-Entlastungsgesetz, der dem Handelsblatt vorliegt. Wie das Defizit der Kassen im kommenden Jahr stattdessen kleiner werden soll? Völlig unklar.

Die Geschwindigkeit, mit der Lauterbach Reformen anstößt, anpasst und stellenweise auch wieder absagt, ist bemerkenswert. Neben den Pflegekassen sind auch die gesetzlichen Krankenversicherungen dauerpleite. Eine groß angelegte Finanzreform hatte Lauterbach für dieses Jahr angekündigt. Stattdessen konnte er nur Minimaßnahmen in seiner Koalition durchsetzen, die das Problem auf das kommende Jahr verschieben – und dennoch großen Unmut erzeugten wie jüngst in der Geburtshilfe.

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Hebammen fürchten, ab 2025 aus dem Pflegebudget zu fallen, woraufhin auch hier Lauterbach anpassen musste. „Geburtshilfe und Kinderheilkunde dürfen nicht dem Spardiktat des alten Krankenhaussystems unterworfen sein“, sagte er der „Rheinischen Post“ am Mittwoch.

Dazu kommen die Versprechungen des Ministers für die Kliniken. Er plane „die größte Reform im Krankenhaussektor seit 20 Jahren“, sagte Lauterbach erst am Montag vor einem Millionenpublikum in der ARD-Sendung „Hart aber fair“. Lauterbach ist keine Messlatte zu hoch. Zu seinen Ambitionen gehört auch die Cannabis-Legalisierung, die so komplex ist, dass mehr als eine Handvoll Ministerien daran mitarbeiten müssen. 

>> Lesen Sie hier: Lauterbach will Zahlungen für Pflegevorsorgefonds aussetzen – „Kein gutes Omen“ für Rentenversicherung

Aber ob er auch liefern kann? Jede einzelne Baustelle ist so groß, dass sie einen Minister eine ganze Amtszeit auslasten könnte. Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn (CDU) etwa stieß Minireformen wie in der Pflege und einige größere Digitalisierungsprojekte wie das E-Rezept und die elektronische Patientenakte an. Spahn war ansonsten durch die Coronakrise ausgelastet. 

>> Lesen Sie hier: 20 Prozent der Kliniken droht die Pleite: Lauterbach will die Krankenhaus-Landschaft retten

Die Pandemie flaut zwar ab, ist für Lauterbach aber weiterhin ein zentrales Thema – eine weitere Baustelle. Im Herbst und Winter hofft der Minister auf eine groß angelegte Impfkampagne. Und aus seinen Beiträgen in den sozialen Medien ist zu entnehmen, dass er weiterhin viel Zeit damit verbringt, Studien über neue Virusvarianten und die Wirksamkeit von Vakzinen zu lesen. „Es geht immer weiter“, sagt er oft zu seinem Tatendrang. 

Der Kommission fehlen die Lobbyisten

Im Gesundheitswesen ist aber nicht die beste Reformidee die Kür, sondern die Umsetzung. Die mächtigen Interessenvertretungen sind notorisch zerstritten, weshalb nicht weiter verwundert, dass Lauterbach stellenweise einen miserablen Ruf genießt. Manche beschreiben ihn als Ankündigungsminister, der nichts liefert oder sich im Klein-Klein verliert, und sehen bereits eine weitere Legislatur ohne dringend nötige Reformen verstreichen. Andere beschreiben ihn als Eigenbrötler, wieder andere als schlicht unbelehrbar.

Pflegekräfte

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(Foto: dpa)

Lauterbach stört das nicht, im Gegenteil. Er lasse sich von jedem Vorschlag überzeugen, der besser sei, sagte er kürzlich etwa in der Debatte um das Infektionsschutzgesetz oder zu den Finanzhilfen für die gesetzlichen Krankenkassen. Zudem brüstet er sich damit, Lobbylärm weitestgehend zu ignorieren. 

>> Lesen Sie hier: Beiträge für gesetzliche Krankenkassen müssen 2023 auf Rekordhoch steigen

Die Vorschläge für seine Krankenhausreform etwa lässt Lauterbach von einer Kommission in seinem Ministerium erarbeiten, in der weder Klinik- noch Krankenkassenvertreter und auch niemand aus den Bundesländern sitzt. Die müssen aber am Ende die Maßnahmen umsetzen. Entsprechend groß war die Kritik von vielen Seiten, als die ersten Vorschläge in der Welt waren, etwa zu Tagesbehandlungen, die der Minister in den Kliniken ermöglichen will.

Wie zäh Reformen sein können, zeigte sich jüngst bei Lauterbachs Digitalagenda. Vergangene Woche stoppte die einzige Pilotregion die Einführung des elektronischen Rezepts. Der Grund war ein Veto des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber (SPD) im September. Eigentlich sollte die digitale Alternative zum Papierrezept schon zu Jahresbeginn in Deutschland überall verfügbar sein. Stattdessen ist das Vorhaben bislang ein Rohrkrepierer. 

Immerhin: Deutschland hat genügend Impfstoff für den Winter

Ähnlich zäh geht es bei der elektronischen Patientenakte (ePA) voran. Am Montag hatte Lauterbach das Opt-out-Verfahren auf den Weg gebracht, das der Akte zum Durchbruch verhelfen soll. Jeder, der nicht widerspricht, soll damit eine ePA erhalten. Gleichzeitig war es wieder der Bundesdatenschützer, der Protest anmeldete. Das Vorhaben halte er „datenschutzpolitisch für falsch“, schrieb er auf Twitter. 

>> Lesen Sie hier: Karl Lauterbachs Hohn für alle gesetzlich Versicherten

An anderer Stelle hat Lauterbach aber Ergebnisse vorzuweisen. Deutschland geht mit genügend Impfstoff in den Winter. Mit dem Krankenhauspflege-Entlastungsgesetz, das derzeit im Bundestag ist, wird wohl ein neuer Personalschlüssel eingeführt, auf den Beschäftigte seit Jahren warten.

Zudem nahm der Minister die Rufe der Kliniken ernst, die vor Insolvenzen angesichts der drastisch gestiegenen Energiepreise sowie der Inflation warnten. Sie sollen nun Hilfen erhalten. Die große Gesundheitsreform aber – sie steht noch aus.

Mehr: Jeder soll automatisch E-Patientenakte erhalten: Lauterbach bringt Opt-out-Verfahren auf den Weg



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Politik

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