In Lützerath, einem mittlerweile unbewohnten Dorf im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, steht in diesen Tagen ein Stück weit die Zukunft der Grünen auf dem Spiel. Der Ort ist nicht nur zum Symbol für den Widerstand gegen die klimaschädliche Verstromung der Braunkohle geworden, sondern auch zum Symbol einer verfehlten Klimapolitik.
Seine Räumung könnte viele potenzielle Wähler der Ökopartei verprellen – und macht deutlich, wie gespalten die Partei bei dem Thema ist. Während die Grünenspitze zur Deeskalation aufruft und manche gar für die politische Entscheidung mitverantwortlich sind, protestieren andere vor Ort – allen voran der Parteinachwuchs.
Der Vorsitzende der Grünen Jugend, Timon Dzienus, meldete sich etwa am Mittwochmorgen auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit einem Foto aus Lützerath zu Wort, auf dem er mit erhobener Faust zu sehen ist. „Wir verteidigen“, schrieb er dazu. Gleichzeitig beschwor seine Co-Sprecherin Sarah-Lee Heinrich im ZDF-Morgenmagazin einen Konflikt mit der Mutterpartei in der Frage herauf.
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Kohleausstieg bis 2030 für das Weichen von Lützerath
„Wir haben auf dem Bundesparteitag nur denkbar knapp die Abstimmung zum Erhalt von Lützerath verloren“, sagte sie. Das bedeute, dass das nicht nur ein Konflikt zwischen der Grünen Jugend und den Grünen sei. Auch viele Menschen in Lützerath seien von den Grünen enttäuscht. „Wir haben eine Schlagzeile nach der nächsten, dass wir unsere Klimaziele in jedem Bereich eigentlich reißen.“
Die Grünen, eigentlich Verfechter eines schnellen Aus der Kohle, hatten sich 2022 zu einem Deal mit dem Kohlekonzern RWE durchgerungen, den viele Klimaschützer ablehnen: Schluss mit dem Kohleabbau im rheinischen Revier bis 2030, dafür aber ein Weichen des rheinischen Orts Lützerath, um die darunterliegende Kohle abzubauen.
Federführend waren die von den Grünen geführten Wirtschaftsministerien in Bund und Nordrhein-Westfalen, was vor allem in der Partei kritisch gesehen wird. Luisa Neubauer, Grünen-Mitglied und Fridays-For-Future-Aktivistin, sagte dieser Tage, ihre Partei habe eine „ganz fatale, eine falsche Entscheidung getroffen“. Wenn die Regierung eben keinen Schlussstrich ziehe, „dann machen wir das halt“.
Nordrhein-Westfalens Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) erklärte, er sei „im Reinen“ mit sich und dem Verhandlungsergebnis mit RWE. In Nordrhein-Westfalen sei der Kohleausstieg 2030 besiegelt, auch wenn zu dem viel gescholtenen Deal mit RWE gehöre, dass unter Lützerath die Kohle noch aus dem Boden geholt werden dürfe. „Angesichts der Energiekrise und eines gerichtlich bestätigten Anspruchs von RWE ist das nicht vermeidbar.“
Im Osten der Republik dagegen gilt bislang der Kohleausstieg 2038. „Was hier in Lützerath passiert, ist eigentlich die richtige Auseinandersetzung am falschen Ort“, sagte Krischer dem Handelsblatt.
Kritik kommt auch aus der Bundestagsfraktion
„Ich höre mit Interesse, dass jetzt gesagt wird, es geht nicht um Lützerath, sondern um eine unzureichende Klimapolitik insgesamt. Da bin ich zu 100 Prozent bei der Bewegung“, sagte Krischer weiter. „Dann müssen alle Aktivisten aber die Frage beantworten, warum sie jetzt in Lützerath um drei verlassene Häuser kämpfen und die Auseinandersetzung nicht dort suchen, wo, wie im Osten, grundsätzliche Fragen zu klären sind.“ Er hoffe nun inständig, dass niemand bei der Auseinandersetzung in Lützerath zu Schaden komme.
Lützerath ist beispielhaft dafür, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der die Klimakrise grausame Realität ist, gleichzeitig aber die Gesetze zum Schutz des Klimas nicht ausreichen und gleichzeitig der Kohlekonzern RWE eine unglaubliche Macht hat. Grünen-Abgeordnete Kathrin Henneberger
Doch die Kritik reicht bis in die Grünen-Bundestagsfraktion hinein. Die Abgeordnete Kathrin Henneberger etwa ist als parlamentarische Beobachterin seit Tagen vor Ort in Lützerath. „Die Grünen sind eine Partei mit einem breiten Meinungsspektrum“, sagte sie dem Handelsblatt. „Insofern ist es kein Problem, wenn ich der Ansicht bin, dass die Kohle unter dem Dorf nicht verfeuert werden darf.“
„Lützerath ist beispielhaft dafür, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der die Klimakrise grausame Realität ist, gleichzeitig aber die Gesetze zum Schutz des Klimas nicht ausreichen und gleichzeitig der Kohlekonzern RWE eine unglaubliche Macht hat“, sagte Henneberger. „All das müssen wir verändern.“
Die Grünen-Spitze bringen solche Äußerungen in Erklärungsnot und sie ringt spürbar um den richtigen Ton. Die Parteivorsitzende Ricarda Lang etwa forderte am Montag, auf Deeskalation zu setzen. Obwohl der Energiekonzern RWE hier einen Rechtsanspruch habe, sei es in Verhandlungen gelungen, dafür zu sorgen, dass im rheinischen Revier 2030 Schluss sei mit der Kohle und dass mehrere Dörfer, in denen noch Menschen leben, nicht abgebaggert würden, betonte Lang. Sie fügte aber hinzu, „trotzdem“ Verständnis für Menschen zu haben, die jetzt dort demonstrierten.
Dass eine solche Besänftigung nicht ausreichen würde, musste ihr und allen anderen in der Partei klar gewesen sein, in der viele bis zuletzt davon überzeugt waren, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist, der politische Preis für den Deal mit RWE nicht zu hoch.
>> Lesen Sie hier: RWE-Chef appelliert an Klimaaktivisten: Keine Gewalt in Lützerath
Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verteidigt die Aufgabe von Lützerath. „Es ist die richtige Entscheidung, es ist eine gute Entscheidung für den Klimaschutz“, sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch in Berlin.
Es gebe guten Grund, für Klimaschutz auf die Straße zu gehen und „laut und vernehmlich“ zu protestieren, sagte Habeck. Er glaube auch, dass Protest Symbole brauche. „Aber die leer gezogene Siedlung Lützerath, wo keiner mehr wohnt, ist aus meiner Sicht das falsche Symbol.“
Das Kampagnenteam der Grünen versandte noch Mittwochfrüh eine Rechtfertigungsmail und rief ebenfalls zu Deeskalation auf. „Die Bilder aus Lützerath lassen uns nicht kalt“, heißt es darin. Schließlich hätten die Grünen immer gegen die anhaltende Verfeuerung von Braunkohle gekämpft.
Man wolle nun im Blick behalten, worum es im Kern geht: „Dass der Kohleausstieg bis 2030 bundesweit erfolgt, dass wir unsere Klimaziele einhalten, dass wir Deutschland bis spätestens 2045 in die Klimaneutralität führen“.
Mehr: Das letzte Opfer für Garzweiler – Räumung im Dorf Lützerath läuft
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