Berlin Stahlbranche und Fachleute bewerten das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium zur Transformation der Industrie kritisch. Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, sagte dem Handelsblatt, mit seinen Empfehlungen greife der Beirat viel zu kurz.
Eine Beschränkung von Klimaschutzverträgen auf einzelne Pilotprojekte, wie vom Beirat vorgeschlagen, wäre kontraproduktiv, sagte Theuringer. Frank Peter, Direktor Industrie beim Thinktank Agora Energiewende, sagte dem Handelsblatt, die grüne Transformation der Industrie erfordere ein schlüssiges Gesamtkonzept. „Dazu gehören sowohl grüne Leitmärkte auf der Nachfrageseite als auch Klimaschutzverträge auf der Angebotsseite“, sagte er. Das sieht der Wissenschaftliche Beirat anders. In dem vor einigen Tagen vorgestellten Gutachten des Gremiums werden Klimaschutzverträge kritisch beurteilt. Der Beirat betont dagegen die Vorzüge grüner Leitmärkte.
Klimaschutzverträge werden zwischen einzelnen Unternehmen und der öffentlichen Hand geschlossen. Auf Basis der Verträge werden Mehrkosten von Unternehmen aus energieintensiven Industriebranchen wie Stahl, Zement- oder Düngemittelindustrie ausgeglichen, die den Unternehmen dadurch entstehen, dass sie im Vergleich zu herkömmlichen Anlagen klimafreundlichere Alternativen errichten und betreiben.
Klimaschutzverträge sind aus Sicht der Bundesregierung das Mittel der Wahl, um die Dekarbonisierung der Industrie voranzutreiben. Die Pläne des Bundeswirtschaftsministeriums zur Einführung von Klimaschutzverträgen sind sehr weit fortgeschritten. Die Verträge sollen eine Laufzeit von 15 Jahren haben. Das Ministerium will nach eigenen Angaben „einen zweistelligen Milliardenbetrag für Klimaschutzverträge zur Verfügung stellen, damit die energieintensive Industrie klimafreundlich produzieren kann“. In den kommenden Monaten sollen die ersten Verträge geschlossen werden, und zwar mit Unternehmen der Stahlindustrie.
Das Konzept grüner Leitmärkte verfolgt einen anderen Ansatz. Es setzt an der Nachfrageseite an. So können beispielsweise relevante Abnehmer von Stahl, etwa die Auto-, die Bau- oder die Windenergiebranche, über Quotenregelungen dazu verpflichtet werden, klimaneutral produzierten Stahl zu verwenden. Zugleich können Bund, Länder und Kommunen als Auftraggeber die Verwendung von grünem Stahl zur Bedingung von Ausschreibungen machen. So soll eine kalkulierbare Nachfrage nach grünem Stahl entstehen.
„Erschreckende Realitätsferne“ beim Gutachten
Der Wissenschaftliche Beirat wendet gegen Klimaschutzverträge ein, die Unternehmen hätten grundsätzlich genauere Kenntnis über ihre Mehrkosten als der Staat. Insofern könnten sie die Verhandlungen über die Höhe der Zahlungen zu ihrem Vorteil gestalten.
Insgesamt stellten die Verträge „einen tiefen Eingriff des Staates in die Produktionsentscheidungen der Unternehmen dar und sind mit zahlreichen gravierenden Problemen verbunden“, resümiert der Beirat. Darum sollten sie nur zur Anschubfinanzierung von Pilotprojekten verwendet werden, empfiehlt das Gremium. Dagegen seien grüne Leitmärkte „das bessere Instrument, um die Produktion klimaneutral produzierter Grundstoffe auszudehnen“. Sie seien mit weit geringeren Informationsanforderungen an den Staat gebunden.
Ein Manager aus der Stahlbranche sagte, das Gutachten weise eine „erschreckende Realitätsferne“ auf. Tatsächlich haben Unternehmen der Branche bereits Milliardeninvestitionen in neue, klimafreundliche Verfahren beschlossen. Dabei geht es nicht mehr um Pilotprojekte, sondern um den Komplettumbau bestehender Produktionsanlagen. Sie basieren darauf, die klassische Hochofenroute durch das wasserstoffbasierte Direktreduktionsverfahren zu ersetzen.
Mit grünen Leitmärkten wäre den Unternehmen nicht geholfen: „Da grüne Leitmärkte gegenwärtig noch nicht verfügbar sind, braucht es jetzt eine staatliche Anschubfinanzierung, um Investitionen auf den Weg zu bringen, den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zu ermöglichen und in großem Umfang Emissionen zu reduzieren“, sagte Theuringer. „Es geht jetzt um Geschwindigkeit und Skalierung. Anders werden die Klimaziele nicht erreicht werden“, ergänzte er.
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Auch Peter von Agora Energiewende verweist darauf, dass grüne Leitmärkte aktuell nur eine Idee sind. Die grüne Transformation erfordere ein schlüssiges Gesamtkonzept, zu dem sowohl grüne Leitmärkte auf der Nachfrageseite als auch Klimaschutzverträge auf der Angebotsseite gehörten. „Bei der Entwicklung von Nachfrageinstrumenten besteht im Vergleich zu den Förderinstrumenten noch Nachholbedarf“, sagte er.
Mehr: Milliarden für den Systemwechsel – Die Aussichten der Stahlbranche sind düster
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