Jun 14, 2023
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Wolfgang Ischinger: „Die europäische Perspektive kommt viel zu kurz“

Written by Jens Münchrath

Kaum ein Diplomat in Deutschland ist global so gut vernetzt wie Wolfgang Ischinger. Kaum einer kennt die internationalen Krisenherde so aus eigener Anschauung wie der ehemalige Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung sieht der ehemalige US-Botschafter mit großer Skepsis.

Es wäre ein Leichtes gewesen, die wichtigsten europäischen Partner in dem Strategie-Prozess mit einzubeziehen, findet Ischinger. Auch beim Thema Zwei-Prozent-Ziel für die Verteidigungsausgaben setze die Bundesregierung ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Ischinger fordert einen „Chief Risk Officer“ in Berlin.

Herr Ischinger, Sie mahnen seit Langem eine Nationale Sicherheitsstrategie an, nun hat die Koalition nach hitzigen Debatten geliefert. Was halten Sie von dem Ergebnis?
Zunächst einmal: Es ist gut, dass das Dokument jetzt, wenn auch mit Verspätung, vorliegt. Es ist auch gut, dass die Ressorts sich jetzt um einen gemeinsamen Ansatz bemühen. Aber integrierte Sicherheit umfasst sehr viel, dementsprechend deckt das Papier sehr viele Themen und Ziele ab – allerdings noch ohne präzise Festlegungen zu Mitteln und Methoden der Umsetzung.

Da ist Luft nach oben. Also ein ganz guter erster Aufschlag. Wichtig ist, dass das keine Eintagsfliege bleibt, sondern regelmäßig wiederholt und außerdem im Bundestag breit diskutiert wird.

>> Lesen Sie hier: Papier zur Sicherheitsstrategie als Download

Das klingt sehr wohlwollend, CDU– Chef Merz nannte das Strategiepapier „inhaltlich blutleer, strategisch irrelevant und außenpolitisch unabgestimmt“. Übertreibt er?
Ja, das ist etwas übertrieben, aber es gibt ohne Zweifel auch Schwachstellen. Mein größter Kritikpunkt: Die europäische Perspektive kommt meines Erachtens zu kurz. Bei den 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr etwa müsste klar festgelegt werden, welche Mittel für Zwecke der europäischen militärischen Forschung, Entwicklung und Produktion eingesetzt werden.

Mir fehlen Ansätze, die aus der Europäischen Union ein militärisch und außenpolitisch handlungsfähiges Konstrukt machen.

Das heißt, mir fehlen Ansätze, die aus der Europäischen Union ein militärisch und außenpolitisch handlungsfähiges Konstrukt machen. Hier liegt Deutschland in der Pflicht.

Das heißt, Berlin hinterlässt wieder den Eindruck, Alleingänge zu vollführen?
Es wäre jedenfalls ganz einfach gewesen zu sagen, wir machen einen Entwurf und beraten den dann zunächst mit den wichtigsten europäischen Verbündeten, um sicherzugehen, dass deren Sorgen und Nöte mitberücksichtigt werden. Hinzu kommt noch das Signal, dass Berlin es mit dem Zwei-Prozent-Ziel für die Verteidigung nicht so ernst meinen könnte.

Das Ziel wird doch in der jetzigen Strategie einmal mehr festgeschrieben. Wieder nur ein Papiertiger?
Sehen Sie, die Zwei-Prozent-Frage ist aus Sicht der Partner ein Lackmustest, wie ernst Berlin es meint. Aber allein die Debatte um die Haushaltsplanung, soweit ich sie kenne, ist nicht eben vertrauensbildend. Hier werden offensichtlich die 100 Milliarden Euro Sondervermögen so weit mit in den Haushalt eingerechnet werden, bis die zwei Prozent erreicht sind.

Kanzler Scholz vor einem Schützenpanzer Puma

Das Sondervermögen soll dazu beitragen, die Ausstattung der Bundeswehr schneller zu beschaffen, als dies im üblichen Haushaltsrhythmus möglich ist.


(Foto: Reuters)

Nur, dann ist das Sondervermögen möglicherweise innerhalb von zwei Jahren verbraucht. Da könnte der Eindruck entstehen, dass die Bundesregierung es mit der Zeitenwende doch nicht ganz so ernst nimmt.

Wesentlicher Bestandteil der Sicherheitsstrategie müsse ein Nationaler Sicherheitsrat nach dem Vorbild der USA sein, haben Sie wiederholt gefordert. Der wird aber nicht kommen. Warum ist ein solcher Rat so wichtig?
Meine Sorge ist, dass die Umsetzung jeder Strategie in einer Dreierkoalition von vornherein sehr komplex ist. Wenn dann wie hier das Instrumentarium zur vorausschauenden, systematischen und koordinierten Umsetzung fehlt, wird das Ergebnis unbefriedigend bleiben, weil jedes Ministerium auf dem Ressortprinzip beharren wird. Der Chief Risk Officer der Bundesregierung – den wird es so eben nicht geben. Einen solchen bräuchten wir aber.

Der Sicherheitsrat scheiterte am Konflikt zwischen Kanzleramt und Außenministerium, die beide die Ansiedlung des Rats für sich reklamierten. Was sagen Sie dazu, dass auch bei Fragen der nationalen Sicherheit Kompetenzstreitigkeiten eine wichtige Rolle spielen?
Ich bedauere sehr, dass dieser Kompetenzzwist überhaupt entstanden ist – zumal das unnötig ist. Der seit Jahrzehnten existierende Bundessicherheitsrat (BSR) war und ist natürlich im Kanzleramt angesiedelt. Das ist der – verfassungspolitisch richtige und politisch vernünftige – Präzedenzfall.

Übrigens könnte Scholz ganz einfach den BSR personell ausbauen und seinen außenpolitischen Berater als Leiter einsetzen, dann hätte er fast den Nationalen Sicherheitsrat. Aber es ist ja nicht sein Stil, solches zu erzwingen.

>> Lesen Sie hier: Deutschland braucht dringend einen echten nationalen Sicherheitsrat – aus vier Gründen

Liegen solche Konflikte auch darin begründet, dass die Außenministerin eher für eine wertegeleitete Außenpolitik steht und der Kanzler eher der realpolitischen Linie folgt?
Nein. Es geht aus meiner Sicht eher um Zuständigkeitsfragen als um grundsätzlichere Wertefragen.

Welcher der beiden Ansätze ist denn aus Ihrer Sicht im Verhältnis zu China der klügere?
Auf eine spezielle China-Strategie warten wir ja noch. Der entscheidende Punkt hier ist: China gegenüber mit einer klaren europäischen Stimme zu sprechen. Mit nationalen China-Strategien macht die EU es China allzu leicht, divide et impera zu betreiben! Wir brauchen dringend eine EU-China-Strategie. Das hat uns zuletzt der Macron-Besuch in Peking überdeutlich vor Augen geführt …

Frankreichs Präsident Macron und sein Amtskollege Xi Jinping

Macron sei fest davon überzeugt, dass China eine bedeutende Rolle bei der Förderung des Friedens im Ukraine-Krieg spielen könne.


(Foto: dpa)

… der französische Präsident hatte damals von einer Äquidistanz Europas zu Washington und Peking gesprochen. Was meinen Sie, sollten die Europäer sich der amerikanischen Eindämmungsstrategie anschließen, oder sollten sie einen eigenen Weg gehen?
Unsere China-Interessen sind nicht deckungsgleich mit den amerikanischen. Deshalb brauchen wir zwischen EU und USA ein ganz hochrangig angesiedeltes transatlantisches China-Konsultationsinstrumentarium, wenn wir erreichen wollen, dass die USA uns ernst nehmen und nicht bulldozerartig überfahren in Sachen China beziehungsweise Taiwan.

„China ist zumindest teilweise systemischer Rivale“

Äquidistanz aber wäre ganz falsch: Die USA sind unser Partner, China ist zumindest teilweise systemischer Rivale.

Gerade Berlin aber tendiert eher noch dazu, Peking als Partner zu betrachten. War es ein Fehler der Europäer, auf Druck von Ex-Kanzlerin Merkel ein Investitionsabkommen zu schließen, das derzeit blockiert ist? Und sollte Europa sich weiter um ein solches bemühen?
Im Prinzip war das keine schlechte Idee. Unser Problem ist jetzt das EU-Parlament. Wenn es das Abkommen trotz der bekannten Defizite, unter anderem auch im Menschenrechtsbereich, doch ratifizieren würde, wäre das strategisch sicherlich ein sinnvoller Schritt. Aber wir sind davon weit entfernt.

Halten Sie den deutschen Ansatz „Wandel durch Handel“, der sowohl die Russland-Beziehungen als auch die China-Beziehungen charakterisierte, für vollständig diskreditiert?
Nein, aber wir müssen die Erwartungen runterschrauben. Die Hoffnung, dass China sich durch Handel zu einem „responsible stakeholder“ entwickeln würde, im Sinne westlicher Ordnungsvorstellungen, hat sich offensichtlich nicht erfüllt. China verfolgt seine eigenen ordnungspolitischen Ziele. Trotzdem ist Handel stets hilfreich, nicht nur, weil er auch politische Kommunikationskanäle eröffnet und offen hält.

Herr Ischinger, vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellte Jens Münchrath.

Mehr: Scharfe Töne Richtung China – Bund beschließt erstmals Nationale Sicherheitsstrategie



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Politik

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