Jul 1, 2023
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Interview: Macrons Europastaatssekretärin: „Das Verhältnis ist nicht in einer Krise“

Written by Martin Greive

Berlin Ab Sonntag wird Emmanuel Macron als erster französischer Präsident seit 23 Jahren Deutschland einen offiziellen Staatsbesuch abstatten. Macron war bereits vorher mehrmals in Deutschland, allerdings bisher nicht in Form eines Staatsbesuchs mit allen protokollarischen Ehren. Die Visite soll die angespannten deutsch-französischen Beziehungen verbessern.

Die für Europa-Angelegenheiten zuständige Staatssekretärin Laurence Boone erklärt im Handelsblatt-Interview, was sich die französische Regierung von dem Besuch erhofft, wie Paris Berlin von einer schnelleren EU-Osterweiterung überzeugen will und warum sich die Deutschen in ihrer Kritik an der geplanten Reform der EU-Schuldenregeln irren.

Frau Boone, was erwarten Sie von Emmanuel Macrons Besuch in Deutschland?
Der Besuch unterstreicht die Tatsache, dass fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die deutsch-französische Freundschaft mehr denn je eine Säule der EU bleibt. Es ist wichtig, dies in einer Zeit zu betonen, in der wir einen Krieg an unserer Grenze haben, und eine Botschaft der unzerstörbaren Einheit für Europa zu senden.

Neben dem Besuch Macrons ist für Herbst auch ein gemeinsames Treffen der beiden Regierungen geplant. Zeigt so viel Symbolik nicht, dass das deutsch-französische Verhältnis in einer ernsten Krise steckt?
Das Verhältnis ist nicht in einer Krise. Und Symbolik ist wichtig, um unsere Freundschaft zu markieren und solche Signale an die Öffentlichkeit zu senden.

Aber die Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich und Deutschland in der Finanz-, Verteidigungs- oder Energiepolitik sind kaum zu übersehen …
Natürlich haben wir eine andere Kultur, eine andere Vergangenheit. Aber das hat uns nie daran gehindert, einen starken Beitrag zur EU-Integration zu leisten. Sehen Sie sich die Fortschritte an, die wir seit Oktober letzten Jahres in der Verteidigungspolitik erzielt haben. In der Energiepolitik haben wir dasselbe Ziel, nämlich die Dekarbonisierung, auch wenn wir nicht von derselben Ausgangssituation ausgehen; außerdem haben wir uns im letzten Winter auf viele Texte geeinigt. Der gemeinsame Besuch von Catherine Colonna und Annalena Baerbock in Äthiopien ist ein perfektes Beispiel dafür, dass die deutsch-französischen Beziehungen sehr intensiv sind.

Deutschland und Frankreich haben auch unterschiedliche Ansichten über die Osterweiterung der EU. Wie kam es zum Sinneswandel in Paris?
Die Welt hat sich verändert, der Krieg auf dem Kontinent ist wieder da, und die Spannungen halten an. Entweder schließen sich die osteuropäischen Beitrittskandidaten uns an, oder sie entfernen sich von uns und wenden sich Einflüssen zu, die der EU nicht gerade wohlgesonnen sind. Deshalb setzen wir auf diese Erweiterungsrunde, die vor mehr als einem Jahr begonnen hat, sie ist von strategischer Bedeutung.

Und wie überzeugen Sie Herrn Scholz?
Wir wollen die Lehren aus der letzten EU-Erweiterung ziehen. Die Beitrittskandidaten müssen sich selbst reformieren, das ist entscheidend für sie und für uns. Aber wir müssen ihnen auch helfen, was zum Beispiel einige skandinavische Länder bei der letzten Erweiterung mit den baltischen Ländern getan haben, um die Reformen zu beschleunigen und zu stärken. Die Aufnahme von Ländern wie der Ukraine in die EU wird sowohl für die EU als auch für die Länder, die uns beitreten, eine große Veränderung bedeuten. Und darauf müssen wir uns vorbereiten.

Aber muss sich die EU nicht erst reformieren, bevor sie erweitert werden kann?
Das geht Hand in Hand. Wir werden keine erweiterte EU haben, die so aussieht wie die EU-27, die wir heute haben. Politik, Haushalt und Verwaltung müssen überarbeitet werden.

Die Rede von Kanzler Scholz vor dem EU-Parlament in Straßburg wurde kürzlich als Kritik an Macrons Forderung interpretiert, die EU müsse zu einer Art dritten Weltmacht werden. Haben Sie seine Rede auch so verstanden?
Das würde ich den Leuten überlassen, die sie interpretieren. Was wir wollen, ist, die EU zu einer globalen geopolitischen Macht zu machen. Uns ist klar, dass wir, wenn wir eine solche Macht haben wollen, stärker sein müssen als nur ein Land, und das können wir nur als EU-Region erreichen.

Olaf Scholz im EU-Parlament

Der Bundeskanzler hielt in Straßburg eine weithin beachtete Rede.


(Foto: dpa)

Lassen Sie mich Ihnen ganz klar sagen, dass wir in der EU 440 Millionen Menschen mit einem BIP von pro Kopf über 25.000 Euro haben. Wir sind der erste Handelsblock der Welt, der erste für ausländische Investitionen. Wir haben die Mittel, um diese Macht zu sein.

Sollten die EU-Mitgliedstaaten neue Instrumente wie ein Outbound-Investitionsscreening einführen, um ihre eigenen Volkswirtschaften besser vor chinesischem Einfluss zu schützen?
Wirtschaftliche Sicherheit sollte nicht auf diese Art von Dingen reduziert werden. Es geht um die Abstimmung von Handels- und Außenpolitik, es geht um die Sicherung unseres Binnenmarktes, und es geht um Gegenseitigkeit.

Werden die USA Frankreich und Deutschland dazu drängen, in der Chinapolitik noch weiter zu gehen?
Nein, das sehe ich nicht. Wir sagen, China ist ein Partner, ein Konkurrent und ein systemischer Rivale. Unsere Abhängigkeiten haben zugenommen, daher wollen wir unsere Lieferketten entschärfen und stärken. Derisking richtet sich nicht gegen China, es ist eine Frage der Souveränität.

Emmanuel Macron und Xi Jinping in Peking

Frankreich will sich mit einer De-Risiking-Strategie nicht explizit gegen China richten, sagt Boone.

(Foto: via REUTERS)

Wir haben in Deutschland eine Debatte über Subventionen für Intel, das für eine Ansiedlung etwa zehn Milliarden Euro an Subventionen erhält. Befinden wir uns bereits in einem Subventionswettlauf mit China und den USA?
Sie sollten das nicht so sehen. Wenn die Bedingungen, die in Europa angeboten werden, mit denen in den USA vergleichbar sind, dann haben wir ein Interesse daran, die Unternehmen in Europa zu haben. Sowohl was die Arbeitsplätze als auch was die Technologie betrifft. Und auch, weil ein Arbeitsplatz in der Industrie in der Regel mit drei, vier oder fünf weiteren Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich einhergeht.

Aber wo liegt in Ihren Augen die rote Linie?
Chips sind unter den strategischen Sektoren dermaßen wichtig für alles, was wir tun, dass wir diese Investitionen sichern müssen. Sie verschaffen uns einen Wettbewerbsvorteil oder sind der Schlüssel für die Widerstandsfähigkeit der Lieferkette. Wir brauchen auch eine souveräne Cloud; die Alternative ist eine Cloud aus einem Drittland, das möglicherweise die Befugnis hat, unsere Daten einzusehen.

>> Lesen Sie auch: Macron will globalen Pakt für neue Finanzordnung schließen

Vor ein paar Monaten hat die französische Regierung in einem Papier feste Produktionsziele für bestimmte Güter vorgeschlagen. In Deutschland dachten viele Menschen, ach, typisch französische Planifikation.
Ist es aber nicht. Wir wollen nicht sagen, ihr müsst drei Kubikmeter Chips produzieren, sondern wir wollen ehrgeizige Ziele festlegen, damit die Leute investieren.

Macron will die Europäer auf die Entwicklung ihrer eigenen Waffensysteme einschwören. Deutschland verlässt sich in der Regel auf den Kauf von Standardprodukten aus den USA. Ein Fehler?
Es stimmt, dass Europa bei der Produktion von Waffen aufholen muss. Wollen wir bei der Ausrüstung vollständig von Drittländern abhängig sein? Das glaube ich nicht. Haben wir im Moment alles auf Lager? Nein. Was wir also tun müssen, ist, als Europäer zu investieren, um die europäische Verteidigungsindustrie zu entwickeln. Wir haben in Europa alles an Fachwissen und Fähigkeiten, um mehr zu produzieren.

Wir reden seit 15 Jahren über eine europäische Verteidigungspolitik, und nichts ist wirklich passiert.
Das ist nicht wahr. Und die Umstände sind anders. Ich meine, niemand hätte vor ein paar Jahren ein Europa der Verteidigung in Betracht gezogen. Das hat sich mit der Aggression Russlands dramatisch geändert: Sehen Sie sich den Anstieg der Verteidigungsausgaben an. Wir holen auf, und zwar schnell. Aber wir müssen auf jeden Fall schneller und stärker werden.

In der Debatte über die EU-Fiskalregeln haben Frankreich und Deutschland unterschiedliche Meinung. Wie wird eine Reform am Ende aussehen?
Die Reform ist notwendig, damit die Mitgliedstaaten strategische Investitionen tätigen und gleichzeitig solide öffentliche Finanzen gewährleisten können. Der Vorschlag der Kommission beruht auf diesen Grundsätzen. Wenn man öffentliche Einsparungen vornehmen muss, muss man die Bevölkerung mitnehmen. Ziel dieses Vorschlags ist es, das Gefühl der Eigenverantwortung der einzelnen Länder in Europa zu stärken. Das ist super wichtig.

Der deutsche Finanzminister Lindner mahnt, die Einhaltung der Schuldenregeln dürfe keine Verhandlungssache zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission sein.
Aber es geht nicht um Verhandlungen. Es geht darum, den besten Weg für die öffentlichen Finanzen zu finden, um zu nachhaltigen öffentlichen Finanzen zu gelangen, die auch von unserer Investitions- und Wachstumsfähigkeit abhängen. Wir haben gesehen, dass feste Regeln und Zielvorgaben in der Vergangenheit nicht zu all diesen Zielen geführt haben. Lassen Sie uns also die Regeln jetzt korrigieren und dafür sorgen, dass die Eigenverantwortung gestärkt wird und die Regeln zweckmäßiger sind.

Mehr: Wie Deutschland und Frankreich ihre Freundschaft retten wollen



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