Sep 16, 2023
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„Shrinkflation“: Regierung will „Mogelpackungen“ im Supermarkt verbieten

Written by Dietmar Neuerer

Berlin, Düsseldorf Bundes-Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) geht gegen versteckte Preiserhöhungen im Einzelhandel vor. „Mogelpackungen sind ein großes Ärgernis. Hier werden die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Irre geführt“, sagte Lemke dem Handelsblatt. „Dem möchte ich einen Riegel vorschieben.“

Laut der Ministerin soll künftig klar geregelt werden, „dass gleichbleibend große Verpackungen bei verringertem Inhalt unzulässig sind“. Das Gleiche gelte, wenn der Inhalt gleich bleibe und die Verpackung vergrößert werde. „Solche Praktiken sind sowohl aus Sicht des Verbraucherschutzes als auch aus Sicht der Abfallvermeidung problematisch“, betonte Lemke.

Entsprechende Vorgaben soll es im Rahmen der Novellierung des Verpackungsgesetzes geben. Ein Gesetzentwurf durchläuft derzeit die regierungsinterne Ressortabstimmung. Der SPD-Verbraucherpolitiker Carsten Träger nannte die angestrebte Gesetzesänderung einen „notwendigen Schritt für den Umwelt- und Verbraucherschutz“. Es werde klargestellt, „dass weniger Füllmenge bei gleicher Verpackungsgröße unzulässig ist“.

Anlass ist ein Problem, das sich zuletzt deutlich verschärft hat – die sogenannte „Shrinkflation“. Der Begriff kombiniert das englische Wort „to shrink“ (übersetzt: „schrumpfen“) mit „Inflation“. Verbraucherschützer meldeten Ende August einen neuen Rekord bei dieser Form der versteckten Preiserhöhung. Anbieter verteuern Produkte, indem sie in weitgehend gewohnter Packung weniger Inhalt verkaufen. Der Preis bleibt der gleiche oder steigt.

Die Verbraucherzentrale Hamburg und die Stiftung Warentest nannten mehrere Beispiele. So schrumpfte das Kakaopulver „Suchard Express“ von 500 auf 400 Gramm und ist damit 25 Prozent teurer. Das Duschgel „Duschdas Sport“ hat weniger Inhalt, und gleichzeitig steigt der Preis – eine Verteuerung um 22 Prozent.

Stiftung Warentest: „Die meisten der von uns gezeigten Beispiele übertreffen bei Weitem die Inflationsrate“

Auch bei der aktuellen „Mogelpackung des Monats“ der Verbraucherzentrale Hamburg, die Mundspülung „Listerine“ Total Care Mundschutz von Johnson & Johnson, gab es eine doppelte Preiserhöhung: Die Packungsgröße schrumpfte von 600 auf 500 Milliliter. Gleichzeitig stieg der Preis im Handel von 4,45 Euro auf 4,95 Euro. Der Kunde zahlt also de facto über ein Drittel mehr.

Supermarkt-Gang

Die Verbraucher sind nicht nur mit steigenden Preisen, sondern auch mit kleineren Packungen konfrontiert.

(Foto: DigitalVision/Getty Images)

Johnson & Johnson begründete das Vorgehen damit, dass man wie viele andere Hersteller auch mit Kostensteigerungen konfrontiert sei, insbesondere bei den Rohstoff- und Produktionskosten. Im Rahmen eines Relaunches sei das Unternehmen auf die branchenübliche Packungsgröße umgestiegen. Dabei sei die unverbindliche Preisempfehlung angepasst worden.

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Andere Hersteller rechtfertigten sich gegenüber der Stiftung Warentest auch mit gestiegenen Energiekosten. Umweltfreundlichere Verpackungen könnten unter Umständen ebenfalls teurer in der Herstellung sein, heißt es in dem Untersuchungsbericht. Da Supermärkte jedoch ungern Preise erhöhten, sähen sich die Hersteller zu einer Mengenreduzierung gezwungen, um ihre Mehrkosten auszugleichen, sagte Armin Valet, Experte der Verbraucherzentrale Hamburg.

„Verboten ist das nicht“, sagte Valet weiter. Die Füllmenge stehe ja auf der Packung. „Eine fiese Trickserei, mit der Verbraucher hinters Licht geführt werden sollen, ist das trotzdem.“ Ina Bockholt von der Stiftung Warentest erklärte: „Die meisten der von uns gezeigten Beispiele übertreffen bei Weitem die Inflationsrate.“

Mogelpackungen gab es schon immer. Laut Verbraucherzentrale Hamburg verstärkt sich der Trend versteckter Preiserhöhungen seit Beginn der Inflation 2022 aber: Vom ersten auf das zweite Halbjahr verdoppelten sich die bestätigten Fälle fast. Zudem zeigte sich das Phänomen nicht mehr überwiegend bei klassischen Marken, sondern inzwischen öfter auch bei Discounter- und Biomarken.

Der Handelsverband Lebensmittel (BVLH) äußerte sich auf Anfrage nicht konkret zu den Gesetzesplänen. Ein Sprecher sagte lediglich: „Jeder Hersteller ist selbst für seine Produkte verantwortlich. Das gilt auch für die Packungsgröße und die Füllmenge.“

Französische Supermarktkette warnt vor versteckten Preiserhöhungen

„Die Tricksereien funktionieren, weil sie für Hersteller wie für Händler ein Gewinn sind“, sagte Verbraucherschützer Valet. Händler könnten wichtige Preisschwellen etwa von 1,99 Euro halten, sodass Verbraucher nicht verschreckt würden. „Versteckte Preiserhöhungen über kleinere Füllmengen sind weitverbreitet, um psychologische Preisschwellen zu halten“, bestätigte ein bekannter Markenhersteller, der ungenannt bleiben möchte. Er begrüßt deshalb das geplante Gesetz. „Wir ärgern uns oft genug über Konkurrenten, die sich mit weniger Inhalt in gleichgroßer Packung unfaire Wettbewerbsvorteile erschleichen. Damit muss Schluss sein.“

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In diesem Jahr haben die Verbraucherschützer bislang 75 Produkte mit versteckten Preiserhöhungen registriert – ein Anstieg um 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Wir gehen daher davon aus, dass unsere Jahresbilanz für 2023 deutlich mehr versteckte Preiserhöhungen enthalten wird als im vergangenen Jahr 2022“, erklärte die Verbraucherzentrale Hamburg.

Der SPD-Verbraucherpolitiker Träger lobte das Vorgehen der französischen Supermarktkette Carrefour. Das Unternehmen will ab Montag mit Aufklebern auf einer Reihe von Lebensmitteln vor versteckten Preiserhöhungen warnen.

„Shrinkflation, das Gewicht dieses Produktes hat sich verringert, und der Preis unseres Lieferanten ist gestiegen“, heißt es auf den Aufklebern, die Carrefour unter anderem auf Packungen mit Kaffee, Chips, Mayonnaise und Eistee anbringen will. Die versteckten Preiserhöhungen lägen zwischen acht und 40 Prozent. „Wir setzen uns dafür ein, den Preis neu zu verhandeln“, heißt es auf dem Sticker weiter.

Auch Regierung in Frankreich geht gegen Mogelpackungen vor

Carrefour greift damit einem Gesetzesentwurf vor, mit dem die französische Regierung die Industrie verpflichten möchte, klar erkennbar auf Produkten sichtbar zu machen, wenn sich bei gleicher Packung der Inhalt verringert. „Einige Hersteller reduzieren den Inhalt ihrer Produkte bei gleichbleibender Verpackung und erhöhen manchmal sogar die Preise. Das ist skandalös“ sagte Wirtschaftsminister Bruno Le Maire. „Wir werden im Oktober die Verpflichtung gesetzlich verankern, die Reduzierung des Inhalts sichtbar anzuzeigen, wenn die Verpackung die gleiche ist.“

Schilder in einer Carrefour-Filiale

In Frankreich gibt es bereits einen konkreten Gesetzentwurf, wie die Regierung gegen die „Shrinkflation“ vorgehen möchte.


(Foto: Reuters)

Träger sagte mit Blick auf Carrefour. „Wenn deutsche Händler diesem Beispiel folgen, wäre das ein begrüßenswerter Schritt zu mehr Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher.“

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Die FDP-Verbraucherpolitikerin Katharina Willkomm wandte sich indes gegen die Pläne von Verbraucherschutzministerin Lemke. „In einer freien Marktwirtschaft steht es Herstellern frei, den Preis für ihre Ware und die Größe der Verpackung zu bestimmen oder beides zu ändern“, sagte Willkomm dem Handelsblatt. „Ein gesetzliches Schrumpfungsverbot braucht es nicht.“

Außerdem finde eine ausreichende Sozialkontrolle durch Negativpreise wie die „Mogelpackung des Jahres“ statt. „Verbraucher, die sich vom Produkt verschaukelt fühlen, sollten beim nächsten Einkauf konsequent die Marke wechseln.“

Mehr: Carrefour prangert Nestlé, Pepsi und Unilever wegen versteckter Preiserhöhungen an



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