Berlin Vor den Beratungen über den Wehretat geht die Union mit der Bundesregierung hart ins Gericht. Die größte Oppositionsfraktion im Bundestag wirft der Ampelkoalition vor, die Bundeswehr mit dem Haushalt und den in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen Ausgaben vorsätzlich „an die Wand zu fahren“, wie der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn (CSU), am Dienstag in Berlin sagte.
Am Mittwoch wird der Bundestag über den Haushalt von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) für 2024 debattieren. 51,8 Milliarden Euro will die Ampelkoalition für die äußere Sicherheit Deutschlands ausgeben – knapp 1,7 Milliarden Euro mehr als im laufenden Jahr. Hinzu kommen rund 19,2 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Bundeswehr für militärische Beschaffungen.
Spätestens wenn das insgesamt 100 Milliarden Euro umfassende Sondervermögen aufgebraucht ist, fehlen laut CSU-Verteidigungspolitiker Hahn aber 30 Milliarden pro Jahr im Wehretat.
Die Bundesregierung sende ein „fatales Signal“ an die Truppe, an die Verbündeten und an Russlands Präsident Wladimir Putin, der nun wisse, dass er die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik nicht ernst nehmen müsse, kritisierte Hahn.
Die Union glaubt nicht an das immer wieder erneuerte Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), dass Deutschland künftig Jahr für Jahr mindestens zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investieren wird.
Aufstockung beim Wehretat fließt nur in Personal- und Betriebskosten
Die geplante Steigerung bei den Verteidigungsausgaben werde durch höhere Personal- und Betriebskosten aufgebraucht, erklärte der für den Verteidigungshaushalt zuständige Berichterstatter der Unionsfraktion, Ingo Gädechens (CDU).
Die Bundesregierung nutze das Sondervermögen, um Löcher im regulären Haushalt zu stopfen, kritisierte der frühere Berufssoldat – eine Praxis, die der Bundesrechnungshof gerade erst gerügt hat.
In einem aktuellen Gutachten kritisieren die Haushaltswächter, dass die Bundesregierung mehrere Ausrüstungsvorhaben aus dem regulären Verteidigungshaushalt in den Wirtschaftsplan des Sondervermögens verschiebe und sie danach aus dem regulären Etat weiterfinanzieren wolle, wenn die 100 Milliarden Euro aufgebraucht seien.
Eine solche „Mischfinanzierung“ sei aber „rechtlich unzulässig“, schreibt der Rechnungshof in dem Gutachten, das dem Handelsblatt vorliegt.
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Der Wirtschaftsplan wurde dahin gehend geändert, dass aus dem Topf nicht nur große Rüstungsprojekte wie die Anschaffung des Kampfjets F-35 finanziert werden können. Stattdessen können die Gelder nun auch dafür verwendet werden, Munition anzuschaffen oder Kasernen zu sanieren.
Die Union, die der für das Sondervermögen notwendigen Grundgesetzänderung zugestimmt hatte, behalte sich eine Klage gegen die Umwidmung von Mitteln vor, sagte Hahn. Dies sei aber erst möglich, wenn der Haushalt verabschiedet sei.
Auch in den Regierungsfraktionen sind nicht alle zufrieden mit der Zweckentfremdung der Mittel. Dass das Sondervermögen nun auch für Munitionsausgaben und andere kleinere Beschaffungen genutzt werden könne, helfe zwar, die Truppe schneller auszustatten, sagte der Vizevorsitzende des Haushaltsgremiums für das Sondervermögen, Sebastian Schäfer (Grüne). „Der Schwerpunkt des Sondervermögens muss aber weiterhin auf der Finanzierung von Großvorhaben liegen, um die Lücken bei der Ausrüstung möglichst schnell zu schließen.“
Viele ursprünglich geplante Rüstungsvorhaben finden sich nicht im Sondervermögen
CSU-Politiker Hahn beklagt, dass für eine ganze Reihe von Rüstungsvorhaben schlicht kein Geld da sei. So sei die Anschaffung eines neuen Radpanzers vorerst ebenso gestrichen worden wie die Nachfolge des Transportpanzers Fuchs.
Als Ersatz für die 90 Tornado-Kampfjets im Bestand der Bundeswehr sollten nur 50 Maschinen nachbeschafft werden – 35 Jets des Typs F-35 aus den USA und 15 Eurofighter. Die Luftwaffe werde also nach der Zeitenwende eine kleinere Flugzeugflotte haben als vor der Zeitenwende, kritisierte Hahn.
Experten gingen davon aus, dass allein für die Aufstellung der Brigade mit 4000 Soldatinnen und Soldaten, die künftig dauerhaft in Litauen stationiert werden solle, ein finanzieller Mehraufwand von 4,5 bis sechs Milliarden Euro bestehe, rechnete Hahn vor. Das Geld sei bisher nirgendwo eingeplant.
Die Union forderte nicht nur, das Sondervermögen zweckmäßig einzusetzen und das Beschaffungswesen zu reformieren, sondern auch, den jährlichen Verteidigungsetat um zehn Milliarden Euro aufzustocken. Dafür habe sich auch Pistorius eingesetzt.
Beschaffungsamt will dieses Jahr noch Verträge in zweistelliger Milliardenhöhe schließen
Dem Verteidigungsminister sei aber ziemlich schnell „die Puste ausgegangen“, kritisierten die Unionspolitiker. Mit der richtigen Prioritätensetzung ließe sich aus dem Bundeshaushalt durchaus noch mehr Geld für die Bundeswehr herausholen, sagte Gädechens.
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In der zweiten Hälfte dieses Jahres soll der Haushaltsausschuss noch über 38 konkrete Beschaffungsprojekte entscheiden. Das sieht eine Auflistung des Verteidigungsministeriums über geplante sogenannte 25-Millionen-Euro-Vorlagen vor. Projekte im Volumen von mehr als 25 Millionen Euro werden vorab dem Haushaltsausschuss des Bundestags vorgelegt.
Berücksichtigt sind unter anderem die Beschaffung des israelischen Luftverteidigungssystems Arrow 3, der Kauf von drei Seefernaufklärern P-8A Poseidon sowie der Erwerb des schweren Waffenträgers für die Infanterie und des neuen leichten Kampfhubschraubers. Es geht aber auch darum, Material zu ersetzen, das an die Ukraine abgegeben wurde. Dazu gehören Panzerabwehrminen oder Flugkörper für das Luftverteidigungssystem Iris-T.
Die neue Präsidentin des Bundeswehr-Beschaffungsamtes (BAAINBw), Annette Lehnigk-Emden, hatte Mitte August angekündigt, dass ihre Behörde im laufenden Jahr noch Verträge in zweistelliger Milliardenhöhe schließen werde. Die Gelder dafür sollen sowohl aus dem Wehretat als auch aus dem Sondervermögen stammen.
Lehnigk-Emden geht davon aus, dass die 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr im kommenden Jahr vollständig ausgegeben sein werden. Damit erhalte die wehrtechnische Industrie Planungssicherheit, um zusätzliche Produktionskapazitäten aufbauen zu können. „Aber dann muss sie auch liefern – und zwar schnell“, sagte die Chefin des Beschaffungsamtes.
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