Berlin Nach breiter Kritik aus Politik und Wirtschaft könnte die Ampel doch mehr Geld aus dem Bundeshaushalt für die Digitalisierung staatlicher Dienstleistungen zur Verfügung stellen. „Natürlich werden wir genau hinschauen und dort nachbessern, wo benötigte Gelder fehlen“, sagte der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jens Zimmermann, dem Handelsblatt.
Hintergrund sind die Haushaltsberatungen im Bundestag. Am Dienstag legte Finanzminister Christian Lindner (FDP) dem Parlament seinen Entwurf für das Haushaltsgesetz 2024 und den Finanzplan für 2023 bis 2027 vor. Über den Etat des Bundesinnenministeriums wird am Donnerstag beraten.
Das Ressort von Nancy Faeser (SPD) ist auch für den Bereich „Digitalisierung der Verwaltung und Verwaltungsdienstleistungen“ zuständig. Hier hat es zuletzt deutlich gehakt. Nach dem Anfang Juli vom Kabinett beschlossenen Entwurf für den Bundeshaushalt sind für das kommende Jahr für die Verwaltungsdigitalisierung statt bisher 377 Millionen nur noch 3,3 Millionen Euro eingeplant.
Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz warnte vor Kürzungen. „Um staatliches Handeln effizienter, moderner und serviceorientierter zu machen, muss Deutschland bei der Verwaltungsdigitalisierung endlich echte Fortschritte machen“, sagte er dem Handelsblatt. „Die Finanzierung dieses zweifellos sehr wichtigen Vorhabens muss sichergestellt werden“, mahnte von Notz.
Nachdem Bund und Länder ihr selbst gestecktes Ziel verfehlt haben, bis Ende vergangenen Jahres Hunderte Verwaltungsdienstleistungen zu digitalisieren, startet die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP mit der Reform des Onlinezugangsgesetzes (OZG) jetzt einen neuen Anlauf. Ein zusammengestrichener Digitalhaushalt passt da nicht ins Bild.
Bitkom-Präsident: „Wir liegen etwa 20 Jahre gegenüber anderen Ländern zurück“
Entsprechend groß war der Unmut auch in den Ländern. „Wir wollen den Digitalisierungs-Turbo zünden und nicht die Digitalisierungs-Bremse anziehen“, sagte der Digitalminister von Baden-Württemberg Thomas Strobl (CDU). Der SPD-Abgeordnete Zimmermann wies indes darauf hin, dass der gesamte Haushalt „von deutlichen Mittelkürzungen geprägt“ sei und dies alle Bereiche betreffe.
Die Kürzungen sind dem Umstand geschuldet, dass Bundesfinanzminister Lindner nach den krisenbedingten Mehrausgaben der Vorjahre einen Sparkurs einschlagen will, um die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse einhalten zu können. Das Bundesinnenministerium relativierte derweil, dass es sich bei der für die Verwaltungsdigitalisierung anvisierte deutlich geringere Summe nicht um das Gesamtbudget handele. Dank nicht ausgegebener Gelder aus den Vorjahren werde die Etatkürzung größtenteils aufgefangen.
Die Grünen-Digitalexpertin Tabea Rößner wies zudem darauf hin, dass künftig der laufende Mehraufwand für den Bund durch die Umsetzung des neuen „OZG 2.0“ aus den Budgets der jeweiligen Ministerien zu finanzieren sei – also nicht mehr zentral durch das Bundesinnenministerium. „Hier werden wir bei den Haushaltsberatungen darauf achten, dass diese Mittel in den jeweiligen Ministerien auch eingeplant werden“, sagte sie. Auf eine „bedarfsgerechte“ Mittelverwendung legten auch die Liberalen wert, betonte Maximilian Funke-Kaiser, digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.
Dass bei der Verwaltungsdigitalisierung Tempo geboten ist, ist unumstritten. „Wir liegen etwa 20 Jahre gegenüber anderen Ländern zurück“, sagte der Präsident des IT-Verbands Bitkom, Ralf Wintergerst, dem Handelsblatt. Daher sei es „weder sinnhaft noch akzeptabel“, das Digitalbudget zu kürzen oder Vorhaben aufzuschieben. „Wir müssten nicht weniger, sondern im Gegenteil deutlich mehr Geld in unsere Ämter und Behörden stecken“, mahnte Wintergerst.
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Wie schleppend die Digitalisierung der Behörden hierzulande vorankommt, zeigt auch der Vergleich mit anderen Ländern, wie zum Beispiel im „Digital Economy and Society Index“. Die EU-Kommission analysiert jährlich die digitale Leistungsfähigkeit aller EU-Mitgliedstaaten. Deutschland lag 2022 im Mittelfeld auf Platz 13, bei der digitalen Verwaltung aber deutlich hinter dem EU-Durchschnitt auf Platz 19.
FDP: Zusätzliches Geld bedeutet nicht zwangsläufig mehr Digitalisierung
Die Politik hat das Thema lange vernachlässigt. Erst 2017 startete die Große Koalition mit dem ursprünglichen Onlinezugangsgesetz einen ersten Anlauf, die überfällige Digitalisierung voranzutreiben. Das Innenministerium weist allerdings darauf hin, dass die Verwaltungsdigitalisierung alle staatlichen Ebenen betreffe und die meisten Verwaltungsleistungen von den Kommunen und den Ländern zur Verfügung gestellt würden, nicht vom Bund.
Von einer Maßnahme, der sogenannten BundID, erhofft sich die Ampel nun große Fortschritte. Dieses zentrale Bürgerkonto ist Teil des „OZG 2.0“. Es ermöglicht Bürgerinnen und Bürgern, spätestens 2024 besonders wichtige Behördenangelegenheiten digital zu beantragen.
Zusammen mit Ländern und Kommunen fokussiert sich der Bund auf zunächst 15 besonders wichtige Leistungen, darunter beispielsweise die Ummeldung, das Elterngeld, die Eheschließung, die Kfz-An- und Ummeldung, die Baugenehmigung, der Führerschein und das Wohngeld.
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Das Bürgerkonto beinhaltet auch ein digitales Postfach, über das die Kommunikation mit Behörden erfolgen und Bescheide zugestellt werden können. „Das ist ein großer Gewinn für die Bürgerinnen und Bürger – und ein Meilenstein auf dem Weg zum digitalen Staat“, sagte Innenministerin Faeser.
Bitkom-Präsident Wintergerst sieht im Onlinezugangsgesetz 2.0 „ein Herzstück der Verwaltungsdigitalisierung“. Allerdings hat er Zweifel, ob die Umsetzung gelingt, sollte die Finanzierung der Maßnahmen ungewiss bleiben. Der FDP-Abgeordnete Funke-Kaiser argumentiert dagegen, „dass zusätzliches Geld nicht zwangsläufig mehr Digitalisierung bedeutet, wie uns die Vergangenheit eindrücklich gelehrt hat“.
Und der SPD-Digitalpolitiker Zimmermann betont: „Digitalisierung heißt „Hands On“. Dafür ist Geld nicht das einzige Mittel.“ Er sei aber „überzeugt, dass dieser Spirit bei Bund, Ländern und Kommunen angekommen ist“.
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