London Wenn eine britische Regierung nicht mehr weiß, wie sie die chronische Wachstumsschwäche Großbritanniens überwinden soll, ist der Brexit meist ihre letzte Hoffnung. Das war schon unter Boris Johnson und Liz Truss so.
Auch der amtierende Premier Rishi Sunak geht nach der gleichen Idee vor. „Unser Wachstumsplan ist ein Plan, der auf den Freiheiten aufbaut, die der Brexit bietet“, sagte Sunaks Finanzminister Jeremy Hunt am Freitag in London.
Er wolle das Königreich zum „nächsten Silicon Valley“ machen, versprach der konservative Politiker. Der Brexit sei eine Gelegenheit, um ein wirtschaftliches Umfeld zu schaffen, das „innovationsfreundlicher und wachstumsorientierter“ sei.
Hunt bekräftigte seine Absicht, bis zum Sommer die sogenannten Solvency-II-Regeln aus der Zeit der EU-Mitgliedschaft abzuschaffen. Versicherungen und Pensionsfonds sollten durch geringere Kapitalpuffer in den kommenden zehn Jahren in die Lage versetzt werden, bis zu 100 Milliarden Pfund (etwa 114 Milliarden Euro) in neue Technologien und Infrastrukturprojekte zu investieren.
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Dass Hunt sich gezwungen sah, noch vor der für Mitte März geplanten Haushaltsvorlage in einer Grundsatzrede seine Wachstumspläne zu erläutern, hat vor allem politische Gründe. In der konservativen Regierungspartei rumort es kräftig. Zwar ist es Sunak und Hunt gelungen, das Land nach dem chaotischen Intermezzo der Truss-Regierung politisch und finanziell wieder zu stabilisieren. Viele Tory-Abgeordnete vermissen jedoch einen Plan, der Großbritannien aus der aktuellen Wirtschaftskrise herausführt und die Aussichten der Tories für die vermutlich in knapp zwei Jahren stattfindenden Parlamentswahlen deutlich verbessert.
Erste Konservative verlangen bereits Steuersenkungen
In ihrer Not drängen einige Konservative wieder auf Abgabensenkungen. So fordert der frühere Brexit-Unterhändler David Frost erneut Steuer- und Ausgabenkürzungen. „Gib uns etwas, wofür wir kämpfen können. Und bring die Konservativen zurück in die Partei“, wendet sich Frost direkt an seinen Premier. Dem Vernehmen nach will auch die nach nur 49 Tagen zurückgetretene Liz Truss wieder in die Wachstumsdebatte einsteigen und für Steuersenkungen werben.
Dieser parteiinternen Attacke versuchte Hunt zuvorzukommen: „Die beste Steuersenkung im Moment ist eine Senkung der Inflation“, sagte der Schatzkanzler mit Blick auf eine aktuelle Preissteigerungsrate von immer noch mehr als zehn Prozent. Der Finanzminister hatte die Steuerpläne von Truss weitgehend rückgängig gemacht. Steuersenkungen könne es auf lange Sicht erst geben, wenn dafür bei den öffentlichen Leistungen gespart werde.
Für ihn sei Stabilität das Gebot der Stunde. „Privatpersonen und Unternehmen sind nur dann risikofreudig, wenn Regierungen für wirtschaftliche und finanzielle Stabilität sorgen.“
Für die Wachstumsschwäche – die britische Wirtschaft schrumpfte in den drei Monaten bis Oktober 2022 um 0,3 Prozent – machte Hunt die sinkende Beschäftigung verantwortlich. Etwa ein Fünftel der Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter seien nicht erwerbstätig.
Er wandte sich jedoch gegen düstere Prognosen vom „Niedergang Großbritanniens“ und behauptete, dass die britische Wirtschaft seit 2010 schneller gewachsen sei, als die Konkurrenz aus Frankreich, Italien und Japan. Außerdem habe das Königreich mehr „Unicorns“ produziert als Deutschland und Frankreich zusammen. Gemeint sind damit Tech-Start-ups mit einem Marktwert von mehr als einer Milliarde Dollar.
Dass das Wirtschaftswachstum in Großbritannien auch durch den Brexit gelitten hat, ließ Hunt dagegen unerwähnt. Nach Schätzungen der Denkfabrik Centre for European Reform (CER) hat der Austritt aus der EU das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Inselreiches um 5,5 Prozent verringert. Selbst das parteiunabhängige Office of Budget Responsibility (OBR) in London rechnet damit, dass der Brexit das Pro-Kopf-Einkommen in den 15 Jahren nach dem Referendum 2016 um vier Prozent drücken wird.
Der Finanzminister forderte mehr Ehrlichkeit mit den wirtschaftlichen Schwächen des Landes und wies auf das geringe Produktivitätswachstum, zu geringe Investitionen und auf die Wohlstandsunterschiede zwischen dem reichen Süden und dem armen Norden hin.
Niedergang der britischen Autoindustrie
Kein Wort verlor er jedoch über die industrielle Schwäche zum Beispiel der britischen Autoindustrie. Deren Produktion ist nach Angaben des Branchenverbandes SMMT im vergangenen Jahr um 10 Prozent auf 775.000 Fahrzeuge und damit auf den niedrigsten Stand seit 1956 gesunken.
Für ein Comeback bräuchten die Briten mehr als nur eine Batteriefabrik im eigenen Land. Das Start-up Britishvolt, das im Norden eine Gigafabrik für mehr als vier Milliarden Euro bauen wollte, hat jedoch gerade Konkurs angemeldet.
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