Berlin Wenn eine Ministerin für ihr Prestigeprojekt zehn Milliarden Euro mehr ausgeben will, als der Finanzminister für sie bereitstellen will, dann lässt sich durchaus von unüberbrückbaren Differenzen sprechen.
Doch Paus pocht trotz der ohnehin komplizierten Verhandlungen um den Bundeshaushalt auf ihren Finanzbedarf und macht darum nun einen Vorschlag, woher das zusätzliche Geld kommen könnte. „Ich werde mal einen Schritt konkreter“, verkündete die 54-Jährige am Montag in Berlin. Ihr Plan: Sie will die Kinderfreibeträge senken, um zumindest einen Teil der fehlenden zehn Milliarden aufzutreiben.
Ziel ist, eine Kindergrundsicherung zu schaffen. Die Koalition hatte vereinbart, die bisherigen finanziellen Förderungen wie das Kindergeld, die Sozialleistungen für Kinder, den Kinderzuschlag und Teile des Bildungs- und Teilhabepakets in einer Leistung zu bündeln und diese automatisch zu gewähren.
Am Ende soll es einen Garantiebetrag für jedes Kind geben und dazu noch einen vom Elterneinkommen abhängigen Zusatzbetrag. Das Ganze ist kompliziert, weil zum Beispiel Verflechtungen mit Unterhaltsleistungen, Wohngeld oder Bafög bestehen.
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Aktuell nehmen viele Familien Teile des Geldes, das ihnen eigentlich zusteht, nicht in Anspruch. Sei es, weil einzelne Leistungen nicht bekannt – oder die bürokratischen Hürden schlicht zu hoch sind.
Kinderfreibetrag: Komplexes steuerliches Konstrukt
Mit dem Kinderfreibetrag spricht Paus ein komplexes steuerliches Konstrukt an. Zum einen gibt es Kindergeld. Das beträgt derzeit für jedes Kind mindestens 250 Euro pro Monat. Zum anderen gibt es aber auch die steuerlichen Kinderfreibeträge.
Bei der Steuerberechnung werden die Freibeträge – der Kinderfreibetrag sowie der Freibetrag für Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf der Kinder (BEA) – vom Einkommen abgezogen, sodass sich die Steuerlast verringert.
Das Finanzamt prüft bei der jährlichen Einkommensteuerveranlagung dann, ob für die Eltern die Freibeträge für Kinder günstiger sind oder das ausbezahlte Kindergeld. Davon profitieren Spitzenverdiener: Ihre Steuerersparnis ist größer als die Summe des ausgezahlten Kindergeldes.
Konkret rechnete Paus vor: „Spitzenverdiener erhalten auf den Monat durch den Kinderfreibetrag umgerechnet 373 Euro, Gering- und Normalverdiener über das monatliche Kindergeld nur 250 Euro.“
Paus schlägt einen Betrag für alle vor
Die Grünen-Politikerin hält das nicht nur für sozial ungerecht. Sie erkennt hier auch eine Einnahmequelle für die Kindergrundsicherung. Würde der Kinderfreibetrag auf das Niveau des Kindergeldes abgesenkt, bestünde für alle Kinder monatlich der gleiche Garantiebetrag – und es gäbe Steuermehreinnahmen von den Spitzenverdienern.
Diese Mehreinnahmen könnten dann, so die Idee der Ministerin, in die Finanzierung der Kindergrundsicherung fließen. Paus schlägt darum vor, den Teilbetrag für Betreuung, Erziehung oder Ausbildung abzusenken. Dabei hat die ehemalige finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag durchaus die verfassungsrechtlichen Hürden im Blick.
Denn: Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach klargestellt, dass das Existenzminimum von Kindern von der Steuer freigestellt werden muss. Dies geschehe durch den Kinderfreibetrag, aber auch durch den BEA-Freibetrag.
Das Gericht hat immer wieder betont, dass das Existenzminimum eines Kindes steuerfrei sein muss.
(Foto: IMAGO/Political-Moments)
Dass die letzte Klarstellung aus Karlsruhe zum BEA-Freibetrag nun schon rund zehn Jahre zurückliegt, sieht die Ministerin als Hebel für ihren Plan: Mittlerweile gebe es eine viel bessere Betreuungsinfrastruktur für Kinder sowie die zusätzliche steuerliche Absetzbarkeit von Betreuungskosten. Paus‘ Fazit: „Den BEA-Freibetrag braucht es nicht.“
Um sich für den Konflikt mit Lindner zu wappnen, hat die Grünen-Politikerin sogar ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das „bald“ vorliegen soll. „Mein Plan ist also nicht Nirwana, sondern rechtlich abgesichert“, erklärte sie.
Der Paritätische Gesamtverband forderte am Montag die Bundesregierung auf, bei den Haushaltsverhandlungen einen Weg zur Finanzierung der Kindergrundsicherung zu finden. Jedes fünfte Kind in Deutschland sei von Armut betroffen. So etwas dürfe der gesamten Ampel nicht egal sein. „Vom derzeitigen System des Kindergeldes und der Kinderfreibeträge profitieren Spitzenverdiener deutlich stärker als ärmere Familien“, erklärte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider und fügte hinzu: „Alle Kinder müssen dem Staat gleich viel wert sein.“
Mehrheit der Deutschen spricht sich für Kindergrundsicherung aus
Den steuerlichen Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung abzusenken sei darum überlegenswert. „Damit würden Besserverdienende ihren Beitrag dazu leisten, dass ärmere Familien zukünftig bessere Chancen haben“, sagte Schneider.
Das Institut für Demoskopie Allensbach lieferte am Montag – wenn auch im Auftrag des Familienministeriums – frische Daten: Demnach befürworten 60 Prozent der Bevölkerung die Einführung einer Kindergrundsicherung. Auch dann, wenn auf die damit verbundenen Kosten hingewiesen wird.
Der Koalitionspartner FDP sieht das freilich anders. Per Twitter trat Finanzminister Lindner der Familienministerin entgegen. Er wies auf jüngste Erhöhungen hin. So habe es beim Kindergeld gerade das größte Plus seit 1996 gegeben, der Kinderzuschlag sei ebenfalls gestiegen, dazu komme ein Sofortzuschlag für von Armut betroffene Kinder.
„Insgesamt sieben Milliarden Euro jährlich mehr setzen wir für die Bekämpfung von Kinderarmut ein“, erklärte Lindner. Jetzt gehe es darum, mit jedem Euro das Maximale zu erreichen. „Viele Leistungen werden nicht abgerufen, weil sie unbekannt oder kompliziert sind. Das zu ändern sollte die Priorität sein.“
Doch auch das wird teuer: Laut Ministerin Paus würde es „allein schon fünf Milliarden Euro kosten“, würden alle Leistungen abgerufen, für die derzeit der Anspruch eines Kindes besteht.
Mehr: Kindergeld und Co. – Die familienpolitischen Leistungen im Überblick
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