Paris Die französische linke Gewerkschaft CGT (Confédération Générale du Travail) hat am Freitag für eine Überraschung gesorgt: Mit Sophie Binet wurde erstmals in 128 Jahren eine Frau an die Spitze der Gewerkschaft gewählt. Für die CGT ist die Wahl eine Modernisierung. Der bisherige Generalsekretär Philippe Martinez geht. Auf den kämpferischen 61-Jährigen mit dem markanten Schnauzbart folgt die 41-jährige Binet.
Sie wurde auf dem Gewerkschaftskongress mit großer Mehrheit gewählt, womit niemand gerechnet hatte. Binet war seit 2018 bei der CGT Generalsekretärin der Abteilung für Führungskräfte, Ingenieure und Techniker. Als Favoritinnen für den Posten galten aber zwei andere Kandidatinnen.
Die Wunschkandidatin des bisherigen Gewerkschaftschefs Martinez, Marie Buisson, steht für Reformen. Deren Gegnerin Céline Verzeletti vertritt hingegen eine harte Linie. Binet war die Kompromisslösung.
Die CGT soll in Zukunft mehr wie ein Kollektiv arbeiten. „Alle gemeinsam“, jubelten Binets Anhänger bei der Wahl. Die neue Chefin erklärte beim Kongress: „Ich bin sicher, dass wir mit einer geeinten CGT alle Herausforderungen meisten können.“ Dazu gehört für sie auch „den Kapitalismus zurückzudrängen“.
Die französische Premierministerin Élisabeth Borne begrüßte die Wahl. Die Entscheidung für Binet sei „eine gute Nachricht für alle Frauen“. Binet ist Frauenrechtlerin, in der Zentrale der CGT in Montreuil bei Paris war sie für die Gleichheit von Frauen und Männern zuständig. Für sie ist der Kampf für Gleichberechtigung mindestens ebenso wichtig wie der „Klassenkampf“, sagte sie. Sie setzt sich auch für Umweltthemen ein.
Gewerkschaften kämpfen gemeinsam gegen die Rentenreform
Die studierte Philosophin weiß, dass eine komplizierte Aufgabe auf sie wartet. Dabei kann sie aber auf Erfahrung aus ihrer Zeit als Mitglied der Chefriege der größten französischen Studentengewerkschaft Unef zurückgreifen.
Die Gewerkschaft führte 2006 den erfolgreichen Kampf gegen den sogenannten Contrat première embauche (Vertrag bei Ersteinstellung). Das Gesetz schwächte die Rechte junger Arbeitnehmer. Nach Massenprotesten zog die Regierung um den damaligen Präsidenten Jacques Chirac das Gesetz zurück. Der damalige Widerstand gilt als großes Vorbild für den Kampf gegen die Rentenreform des regierenden Präsidenten Emmanuel Macron.
Binet muss sich direkt nach ihrer Wahl bei den Streiks gegen die Reform bewähren. Bisher waren die Gewerkschaften gemeinsam gegen das Rentengesetz angetreten, was in Frankreich eher selten ist. Binet entschied sich, die Linie fortzuführen.
Die CGT setzt sich mit den anderen Gewerkschaften am kommenden Mittwoch zu Verhandlungen mit Premierministerin Borne an den Tisch. Binet erklärte: „Wir fordern gewerkschaftsübergreifend den Rückzug der Rentenreform.“ Man werde nicht zurückweichen.
Proteste gegen französische Rentenreform eskalieren
Sie gilt als geschickt bei Verhandlungen, entschieden, aber nicht radikal. Karel Yon, Soziologe für den Gewerkschaftsbereich und soziale Bewegungen, erklärt, die bislang von Binet geleitete Abteilung sei innerhalb der CGT „eher reformbereit“ gewesen.
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Auch Politologe und Gewerkschaftsspezialist Pierre Rouxel sieht Binet als „Wahl des Kompromisses“ und der „Öffnung“. Sie versuche, eine Einigung innerhalb der gespaltenen Gewerkschaft zu finden.
Binets Vorgänger Martinez leitete die Gewerkschaft acht Jahre lang. Die Bilanz seiner Amtszeit wurde beim Kongress der Gewerkschaft kritisiert. Martinez galt als einsamer Anführer, die interne Demokratie kam unter ihm vielen Mitgliedern der CGT zu kurz.
Mitgliederzahl der CGT sinkt
Während seiner Zeit als Generalsekretär war die einst stärkste Gewerkschaft Frankreichs außerdem im Jahr 2018 in den Betrieben auf den zweiten Platz gerutscht und wurde von der gemäßigten CFDT (Confédération française démocratique du travail) überholt. Die Zahl der Mitglieder ging unter Martinez von 676.000 Mitgliedern auf 640.000 im Jahr 2022 zurück. Im Jahr 1946, auf ihrem Höhepunkt, hatte die CGT noch 4,5 Millionen Mitglieder.
Die CFDT mit 800.000 Mitgliedern wird seit 2012 von dem 54-jährigen Laurent Berger angeführt. Bei der Rentenreform ziehen die konkurrierenden Gewerkschaften noch an einem Strang. Doch Berger ist medial stets präsent und stand bei den Protesten gegen die Reform in erster Linie.
Binet muss ihren Kampf um die Position ihrer Gewerkschaft deshalb auch in den Medien austragen. Noch ist sie kaum in der Öffentlichkeit bekannt. Leicht wird es für sie nicht gegen den übermächtigen Berger. Dieser wird von Linken und Sozialisten in Frankreich schon als möglicher Präsidentschaftskandidat für 2027 gehandelt.
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